Schall und Rauch im Zeitgeistexpress

  • Der heutige Austausch mit @Markus G. hat mich doch zum nachdenken gebracht.

    Ich als 1990 geborener bin in einer volldigitalisierten Welt aufgewachsen und war die letzte Generation, welche in der Kindheit noch mit dem Medium MC in Berührung kam. Die ersten MCs schenkte mir mein Vater im Alter von 3 Jahren. Unter anderem war das "Brüderchen und Schwesterchen" als Europa-Weißrücken drunter vertreten.

    Der Anlass dieser Kolummne ist das veränderte Hörverhalten. Seit Jahren geht alles immer mehr in Richtung Streaming. So sehr ich diese Form des Konsums schätzen und lieben gelernt habe (insbesondere auf Urlaubsreisen) geht mir doch im Vergleich zur MC etwas ab. Ich habe immer öfter den Eindruck, dass gestreamtes austauschbar ist und man den Bezug zum Produkt zunehmend verliert.

    Ich kann noch sehr genau wiedergeben, welche MCs ich im vorigen Jahr gehört habe, erinnere mich aber kaum an das, was ich letzte Woche gestreamt habe.

    Man kann also sagen, dass der Stream ein Medium ist, welches ziemlich "spurlos" an einem vorüberzieht. Dies hat sicherlich irgendwann für meine Hinterbliebenen gewisse Vorteile, aber im Hier und Jetzt geht mir doch auch was ab.

    Daher die philosophisch anmutende Frage: Ist Streaming nur Schall und Rauch?


    Da ich die CD als Medium nie sonderlich gemocht habe, bleiben mir nur wenige LP/MC-Veröffentlichungen, um diesen Zustand zu ändern.

    Ein vielleicht nutzloser Thread, aber dennoch war es mir wichtig, diesen Gedankengang mal in den Raum zu werfen.

  • @Glenda schrieb…

    Zitat

    Man kann also sagen, dass der Stream ein Medium ist, welches ziemlich "spurlos" an einem vorüberzieht. Dies hat sicherlich irgendwann für meine Hinterbliebenen gewisse Vorteile, aber im Hier und Jetzt geht mir doch auch was ab.


    Kann sein, dass es bei vielen durch die verfügbare Masse an Hörspielen im Stream so empfunden wird, kommt aber letztlich auch immer auf den Konsumierenden und sein Verhalten an. Ich picke mir sehr gezielt meine Hörspiele aus dem Stream, ähnlich wie damals schon, als ich Hörspiele auf Datenträger oder als Download gekauft habe. Nur weil ich All-You-Can-Eat bestellt habe, muß ich mir nicht mutwillig den Magen verderben. ^^
    Daher empfinde ich persönlich auch keine solche Flut, wie von anderen oft geschrieben. Ich kann mich an Hörspiele gut erinnern, wenn sie insgesamt gut waren, unabhängig von Stream oder Datenträger.
    Aber ich denke schon, dass die Gefahr der „Reizüberflutung“ im Stream ungleich größer ist. Wer genug Geld in der Tasche hat, konnte allerdings eine solche Reizüberflutung aber auch schon zu Datenträgerzeiten erleben. Wurde in den Foren nicht oft geschrieben, dass noch viele CDs ungehört im Regal verweilen und man nicht nachkommt? Ist also immer eine Frage des Konsums, nicht des Mediums.

  • Ich möchte mal als Anstoß zur Diskussion mitgeben, dass wir ALLE im Bereich Filme und Serien eigentlich mit einer Unterart, oder sagen wir besser Ableger von STREAM aufgewachsen sind und IMMER NOCH darüber diskutieren oder uns austauschen.

    Gemeint ist das FERNSEHEN oder auch der KINOBESUCH.

    Warum ich das mit Streaming vergleiche?
    Man hat konsumiert und danach nichts mehr in der Hand - kein Medium!
    Und doch haben sich die Filme und Serien unserer Kindheit tief in uns eingebrannt!

    Ich weiß, der Vergleich hinkt. Etwas Wahres ist aber trotzdem dran:
    Es geht auch ohne Heimmedien.


    Eins und eins ist zwei - von London bis Shanghai!

  • @gruenspatz: Ein guter Vergleich, allerdings war damals die Auswahl im Fernsehen nicht so groß wie heute und hat sich durchs Streaming nochmals vervielfacht. Ich denke es hat absolut nichts mit dem Medium zu schaffen, ob wir uns später noch daran erinnern, aber eine Reizüberflutung im allgemeinen kann sicherlich dazu beitragen, dass wir uns nicht mehr so viel merken können.

  • Was wohl auch eine Rolle spielt, ist das Alter, in dem man etwas konsumiert. In jungen Jahren, wenn man noch nicht viel ähnliches gesehen oder gehört hat, hinterlässt es mehr Spuren. Je älter man wird, desto weniger beeindruckt es einen. Weil man es ja schon kennt...
    Ausnahmen bestätigen die Regel ;)

  • Guten Tag,

    ich bin was meinen Hörspielkonsum angeht immer mit der Zeit gegangen. Begonnen mit MCs als Kind, dann CDs, danach Downloads und nun eben Streming.
    Ich streame gern und viel, vor allem auch Podcasts.
    Was Hörspiele angeht gibt es noch ein paar Serien, die ich auf CD sammle, wobei wir aber zum Beispiel nur noch einen CD-Player im Haus haben. Das Meiste wird digitalisert und via Smartphone bzw. Tablet konsumiert.
    Ich finde das unglaublich praktisch und freue mich auf die vielen (Wieder-)Veröffentlichungen bei Spotify.
    CDs sind für mich (noch) schöne Sammelobjekte, mich würde allerdings nicht wundern, wenn meine Kinder einmal nichts mehr mit den Silberlingen anfangen können, weil sie alles (auch Filme) ausschließlich digital konsumieren.
    Für Sammler von MCs und CDs wird ja auch immer noch was geboten, z.B. Kleinstauflagen bei Pop.de.

    Wer´s braucht, soll sich daran freuen, ich denke dass sich auf lange Sicht das Streaming durchsetzen wird.

  • Ein sehr schöner Beitrag @Glenda #applaus# Und #danke# für den Gedanken-Anstoß!

    Zitat

    Daher die philosophisch anmutende Frage: Ist Streaming nur Schall und Rauch?

    Ich würde mal sagen - Ja & Nein

    Es stimmt schon, man hat beim Streaming im wahrsten Sinne des Wortes nichts zum „anhalten“. Es bleibt nichts bleibendes, außer im Kopf. So gibt es kein richtiges Cover-Bild zum anfassen, keine Sprecherangaben, nichts zum herzeigen, und noch einiges mehr. Sie verblassen deutlich früher. Ähnlich wie Erinnerungen an einen geliebten Menschen von denen man keine oder zu wenige Bilder hat. Alles wird langsam aus dem Gedächtnis verschwinden, wird blasser oder verschwommener. Und wenn die Hörspiele nicht mehr im Stream sind, dann sind sie vollends verschwunden. Von daher Ja, Streaming ist für die Gegenwart geschaffen, hat aber nichts nostalgisches, nicht Bleibendes an sich.

    Auf der anderen Seite sind es nicht zwingend immer nur die Hörspiel-Hüllen & Booklets, die sich bei mir im Kopf eingeprägt hat. Es sind die Hörspiele selbst. Und jene Erlebnisse, Erfahrungen und Zustände, die man beim Hören gleichzeitig hatte. So werde ich mein ganzes Leben lang genau wissen wo ich gerade war als ich die ??? und das Gespensterschloss, Phantomsee oder flüsternde Mumie gehört habe. Ich werde mich immer erinnern als ich Das Schloss des Grauens hören durfte und was ich gemacht habe als ich Durch die Wüste gelauscht habe. Ohne Cover. Ohne Hülle. Und sogar ohne Hörspiel selbst. Aber wenn ich diese Höre bin ich wieder genau dort. Wie eine Zeitmaschine. Egal ob ich auf CD, Streaming oder Kassette höre. Es ist also nicht nur Schall und Rauch. Sondern es ist und bleibt da! Für immer. Im Regal in meinem Kopf.

    Wie Akita Takeo richtig über den Hörspieltalk von morgen schrieb:

    Solange es Leute wie uns drei gibt und wir hier schreiben, bleibt es hoffentlich bestehen. Noch lange! #top#

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