Die STIL-Hörspielserie: "Prof. Sigmund Freud"

  • Die dritte Folge trägt den Titel 'Versehrung' und handelt von einem Soldaten, der sich mit einer Waffe auf einem Kirchturm verschanzt und scheinbar wahllos auf Menschen schießt. Gruber will ein Blutvergießen vermeiden und bittet Freud um Hilfe. Doch die Zeit drängt, denn Grubers Kollegen wollen den Kirchturm stürmen.

    Dies ist die einzige Folge, deren Inhalt ich zumindest noch halbwegs in Erinnerung hatte. Sie hatte mich beim erstmaligen Hören seinerzeit schwer beeindruckt und war für mich der Höhepunkt der Reihe. Nach dem erneuten Hören teile ich diese Einschätzung nicht mehr unbedingt, denn die ersten beiden Episoden fand ich diesmal besser.

    Dennoch ist 'Versehrung' eine sehr gute Folge. Man kennt das Triumvirat Freud - Anna - Gruber bereits und freut sich auf das Wiederhören sowie auf die tollen Dialoge und das Zusammenspiel der Charaktere. All das ist in dieser Folge wieder ausgezeichnet gelungen. Auch die Atmosphäre stimmt und versetzt ins Wien der 20er Jahre. Die Figuren gewinnen zunehmend an Tiefe, was sich an Kleinigkeiten (z. B. Annas schnippische Reaktion auf Grubers Bemerkung, sie komme gut mit ihrem Vater zurecht) als auch an Enthüllungen wie Grubers Traumatisierung durch seine Kriegserlebnisse festmachen lässt. Die Folge spielt also erneut auf hohem Niveau.

    Zudem ist Folge 3 diejenige mit dem bisher üppigsten Sounddesign. Die Outdoor-Szenen klingen großartig und fühlen sich 'echt' an. Die Musik ist diesmal um einiges abwechslungsreicher als in den bisherigen Episoden. Man gibt das bisherige Konzept damit nicht auf, aber zeigt die Möglichkeiten: Die Serie kann nicht nur mit den Inhalten punkten, sondern auch mit Sounds und Musik überwältigen. Man kennt das aus anderen STIL-Produktionen, aber es fasziniert doch immer wieder.

    Mein 'Problem' beim nochmaligen Hören war, dass ich die Taten des Snipers nicht so richtig mit Freuds Theorien in Verbindung bringen konnte. Was führte nun dazu, dass er auf den Kirchtum hinaufstieg und schoss? Rache? Traumata? Übertragung? Alles zusammen? Beruhigt hat mich dann, dass die Expertin am Ende ähnlich ratlos schien, denn sie machte in ihren Ausführungen einen zhiemlich wilden Ritt durch verschiedene psychologische Phänomene und Theorien, deren Bezug zur aktuellen Folge mir nicht klar wurde.

    Mein Fazit zu 'Versehrung':
    Erneut eine tolle Folge mit großartigen Sprecherleistungen, viel Spannung und bewegenden Szenen, diesmal vor einer wuchtigeren Geräuschkulisse. Inhaltlich aber im Vergleich zu den ersten beiden Folgen teils etwas wirr.

    Nicht jeder Verkannte ist ein Genie. (Walter Moers)

  • Ich denke mal der gute Soldat war einfach vollkommen traumatisiert und litt unter einer Überlastung bzw. posttraumatischen Belastungsstörung. Jedes Mal wenn ich an der Votivkirche vorbei fahre, sie ist nahe der Wiener Ringstrasse und der Universität, dann muss ich an dieses Hörspiel denken. Und besonders cool ist, dass jener Park, der die Votivkirche vorgelagert ist, der sogenannte Sigmund Freud Park ist. Wahrscheinlich ist dies auch ein Grund wie es zu dieser Folge kam. Ich glaube sogar Anna meinte zu Freud scherzhalber man werde noch mal einen Park nach ihm benennen :thumbup:

    Wie Akita Takeo richtig über den Hörspieltalk von morgen schrieb:

    Solange es Leute wie uns drei gibt und wir hier schreiben, bleibt es hoffentlich bestehen. Noch lange! #top#

  • Ich glaube sogar Anna meinte zu Freud scherzhalber man werde noch mal einen Park nach ihm benennen

    Ja, da musste ich auch grinsen. Aber gerade mal bei google maps geschaut: Dass der Park tatsächlich bei der Kirche ist, macht es noch mal witziger. Selbst die Gags haben also bei dieser Serie ein gewisses Niveau :thumbup:

    Nicht jeder Verkannte ist ein Genie. (Walter Moers)

  • 'Stimulus' ist der Titel der vierten Folge um den kriminalistisch tätigen Professor Freud. Diesmal wird Freud beschuldigt, eine Patientin während einer Sitzung sexuell missbraucht zu haben. Und während das Gerichtsverfahren läuft, versuchen Anna und Karl, das Opfer aus seinem Wachkoma zu holen, damit es zu Gunsten von Freud aussagen kann.

    Spätestens mit dieser Folge ist klar, dass der Freud aus den Hörspielen nur lose an den tatsächlichen Sigmund Freud angelehnt ist. Denn ein Gerichtsverfahren gegen den echten Psychoanalytiker gab es nie. Gleichzeitig ist die Folge aber wieder stark von der Zeit, in der sie spielt, bestimmt. Waren es beim Vorgänger 'Versehrung' die Wunden, die der erste Weltkrieg in der Psyche der Menschen hinterlassen hat, so geht es diesmal um den aufkommenden Judenhass der Zeit. So mancher Dialog ('Nur weil du den Judenhass ablehnst, heißt das nicht, dass es ihn nicht gibt.') scheint dabei für die Ewigkeit geschrieben.

    Der Fall ist packend, auch wenn man nicht eine einzige Sekunde daran glaubt, dass Freud tatsächlich der Täter gewesen sein könnte. An Inhalt, Spannungsbogen, Dialogen und Charakterzeichnungen gibt es wie mittlerweile gewohnt nicht das Geringste auszusetzen. Erneut ganz großes Kino. Und auch diesmal fällt auf, dass es nicht die eine, richtige und psychologisch stimmige Erklärung gibt, sondern der Fall wieder multifaktoriell erklärbar ist. Das wird Freuds Ansatz sicher gerecht. Es gehört aber auf Seiten der Autoren einiges dazu, ein solches Skript zu schreiben. Mir fällt keine andere Hörspielserie ein, die das so konsequent umsetzen würde.

    Die Story wird auf verschiedenen Handlungsebenen und in Rückblenden erzählt. Das ist auch diesmal wieder sehr gut gelungen und erneut hört man gespannt zu, um die Auflösung zu erfahren. Bemerkenswert, dass man dennoch nie den Überblick zu verlieren droht. Es ergibt sich einfach alles logisch bzw. erklärt sich aus sich selbst. Besonderes 'Schmankerl' ist diesmal ein Auftritt des Freud-Schülers und späteren Kontrahenten C. G. Jung.

    Und was soll man nun zur Umsetzung in Musik und Geräusche sagen? Eigentlich kann man sich nur wiederholen: Das ist wie schon in den drei Folgen zuvor hervorragend gemacht und atmosphärisch ungeheuer dicht. Das bekannte Klavierthema, Cello-Musik, erneut die 'Diskussionen' zwischen ES, ICH und ÜBER-ICH: Mittlerweile kennt man das alles bereits. Was in den ersten Folgen noch ungewohnt geklungen hat, erkennt man nun wieder und kann es umso mehr genießen.

    Mein Fazit zu 'Stimulus': Komplex, spannend, packend, perfekt umgesetzt. Kurz: großartig.

    Nicht jeder Verkannte ist ein Genie. (Walter Moers)

  • Wieder eine sehr schöne Rezi #danke# Ja, die Verknüpfung von geschichtlichen Tatsachen und fiktiven Kriminalfällen finde ich auch sehr gelungen. Der Judenhass und die Änderung der politischen Stimmung in Wien sind ein packendes Thema, das hier sehr subtil vorgetragen wird. Tolles Hörspiel!

    Wie Akita Takeo richtig über den Hörspieltalk von morgen schrieb:

    Solange es Leute wie uns drei gibt und wir hier schreiben, bleibt es hoffentlich bestehen. Noch lange! #top#

  • Zu Beginn der fünften Folge, die den schönen Titel 'Friedhof der Namenlosen' trägt, wird die Leiche einer Prostituierten aus der Donau gezogen. Doch Karl und Anna entdecken, dass es sich nicht um Suizid, sondern um Mord handelt. Im Verlauf zieht Gruber sowohl Anna als auch Freud selbst in das Milieu hinein.

    Es beginnt ganz klassisch wie ein Krimi, verlässt diese Pfade im Verlauf aber zunehmend. Am Ende gibt es zwei Tote, einen aufgeklärten Fall, aber keine befriedigende Erklärung des Wie und Warum. Das mag für manche Hörer*innen enttäuschend sein, tut aber m. E. der Wirkung des Hörspiels keinen Abbruch. Ganz im Gegenteil: Gerade diese Unbestimmtheit hebt den Fall weit über die gewohnte Krimikost hinaus. Selbst wenn man mit dem Kriminalfall diesmal nicht zufrieden sein sollte, so ist das Skript dennoch wieder über alle Zweifel erhaben. Atmosphärisch überaus stimmig, beim Spannungsaufbau genau die richtigen Akzente setzend und dem tieftraurigen Thema zum Trotz den Humor nicht außer Acht lassend. Auch mit diesem fünften Fall (den ich nach all den Jahren komplett nicht mehr in Erinnerung hatte) beweist die Serie ihre Ausnahmestellung.

    Was zudem auffällt: Das Zusammenspiel der drei Hauptcharaktere bereitet von Folge zu Folge immer mehr Vergnügen. Man kehrt als Hörer zunehmend gern zu den Figuren zurück und freut sich regelrecht darauf, wie sie diesmal zusammenarbeiten und sich gegenseitig aufziehen werden. Mein Highlight dabei: Freud fragt Anna, wann sie sich denn einen Mann zu suchen gedenke. Annas Mutter meint, der Herr Gruber sei doch ein netter Mann. Darauf entgegnet Freud, er würde es wohl doch vorziehen, wenn Annas Mann nicht regelmäßig bei ihm auf der Couch läge. Und meint dann: 'Obwohl, wenn ich so darüber nachdenke...' Kein schenkelklopfender Humor, aber es bringt mich doch zum Grinsen.

    Wie schon in den vorherigen Folgen gibt es nicht 'die eine' Freudsche Theorie, die als Erklärung herhalten muss. Freud kämpft diesmal damit, sich als Vater unzulänglich zu fühlen. Der Fall dreht sich um Obsessionen, Idealisierungen und Narzissmus. Dies führt auch der Experte am Ende der Folge aus. Am Ende muss man sich bei dieser Folge aber selbst einen Reim darauf machen, warum die junge Frau nun sterben musste und ob ihr Mörder mehr Täter oder mehr gequälte Seele war. Die Nebenhandlung um eine Patientin, die sexuelle Bedürfnisse auf ihren Therapeuten überträgt, ist übrigens nur scheinbar für den Hauptfall ohne Belang. Denn das Thema ist das selbe: Idealisierung und Übertragung.

    'Friedhof der Namenlosen' ist die fünfte Folge (von fünf), in der das zu Beginn erläuterte Konzept der Serie, nach dem Anna und Gruber ermitteln, die Erkenntnisse an Freud berichten und dieser daraus dann Schlüsse zieht, über den Haufen geworfen wird. Auch diesmal muss Freud seine Praxis verlassen, um den Fall lösen zu können. Und wie er dabei sein Treffen mit einer Prostituierten zur Sitzung ummodelt, indem er sie 'auf die Couch' legt, ist ein großartiger Drehbuch-Einfall. Ich halte dieses ständige Umgehen des 'eigentlichen' Handlungsschemas für einen 'running gag'. Ziemlich meta allerdings.

    Mein Fazit zu 'Friedhof der Namenlosen': Ein tieftrauriger Fall, der durch die humoristischen Einschübe sogar noch an Wirkung gewinnt. Als Hörer fühlt man sich mittlerweile heimisch in der Serie - und weiß doch nie, was einen erwarten wird.

    Nicht jeder Verkannte ist ein Genie. (Walter Moers)

  • Unter dem Titel 'Sein und Haben' löst Professor Freud seinen mittlerweile sechsten Fall. Diesmal dreht es sich um einen Banküberfall. Einer der Täter wird erschossen, einer verhaftet, die anderen können fliehen. Sigmund Freud soll Informationen aus dem Verhafteten holen, der laut Grubers Einschätzung 'geistig nicht ganz auf der Höhe' ist. Der Krimi ist in der Zeit der Hyperinflation zwischen den Weltkriegen in Österreich angesiedelt. In Nebenhandlungen geht es um zwei Patient*innen von Freud. Der eine ist spielsüchtig, die andere träumt von verschiedenen Toren, zwischen denen sie eine Wahl treffen muss.

    Natürlich ist die Produktion auch diesmal wieder über alle Zweifel erhaben: Tolle Sprecher*innen, überzeugende Soundkulisse, teils dissonante Musik. Und doch ist einiges anders als in den Folgen vorher. Anna Freud ist in diesem Fall nicht viel mehr als eine Stichwortgeberin, die diesmal nichts anderes zu tun bekommt, als Freuds Praxis zu putzen. Der Kriminalfall und die Nebenhandlungen stehen in keinem auf Anhieb erkennbaren Zusammenhang. Man mag die Diskrepanz zwischen dem, was man hat und ist, sowie dem, was man eigentlich haben und sein möchte, als übergeordnetes Thema ansehen, aber da ist dann vielleicht auch schon zuviel hineininterpretiert.

    Auf jeden Fall sind alle drei Handlungsstränge interessant. Der Humor entsteht in dieser Folge weniger aus dem Zusammenspiel der drei Hauptpersonen, sondern vielmehr aus Freuds Erklärungen zu den Ursachen der Probleme seiner Patient*innen. Klar: Wer möchte sich schon sagen lassen, er sei heute spielsüchtig, weil er als Kind beim Onanieren an seine Mutter gedacht habe? Die Ernsthaftigkeit von Freud und das beschämte Leugnen des Patienten in dieser Szene sind ein Juwel.

    Der Kriminalfall ist solide und die Auflösung stellt eine faustdicke, gelungene Überraschung dar. Das hat ein bisschen Ähnlichkeit mit einer Columbo-Folge, wenn der Inspektor dem Täter eine Falle stellt. Nur: Wie kam der Professor überhaupt auf diese Lösung?
    "Seit wann wissen Sie es schon?" - "Es war mehr so eine Ahnung."
    Für meinen Geschmack ist diese Herleitung deutlich zu dünn geraten.

    Selbstverständlich kann Professor Freud auch in dieser Folge nicht in seiner Praxis bleiben, sondern muss sich dem Verbrechen 'draußen' stellen. Man hat hier erstmals das Gefühl, dass er das nicht nur umständehalber tut, sondern ein wenig auch genießt.

    Eine Expertin, die im Anschluss die Hintergründe zum Fall erläutert, gibt es diesmal nicht. Man vermisst sie aber auch nicht wirklich.

    Mein Fazit zu 'Sein und Haben': Ein guter Krimi mit einigen gelungenen Szenen und wenigen kleineren 'Mängeln'. Gewohnt souverän umgesetzt.

    Nicht jeder Verkannte ist ein Genie. (Walter Moers)

  • Melancholische Härte. Hellwachs IST Freud. Die Besetzung dieser markant-erschütterlichen Thrillerdrama-Reihe überaus prägnant. Andreas Fröhlich wiederum als introvertierter Gendarm Gruber in einer durchaus ernsten Rolle, die jedoch mit pointiert-trockenen Bemerkungen in dezent humorvollen Augenblicken auflockert. Die Grundstimmung in diesem hochatmosphärisch präsentierten Wiener Stadtbild Anfang der 1920er Jahre anthrazitfarben skizziert, trist und trübe. Düstere Momentaufnahmen einer vielgesichtigen Metropole hinter einem regenverhangenen Schleier. Inmitten dieser emotionalen Kälte thront das stille Behandlungszimmer in der Stadtwohnung des klugen Psychoanalytikers als mentaler Ruhepol, hinter dessen schweren Vorhängen sich so manch grausame Enthüllung manifestiert.

    Die Fälle gestalten sich als vielschichtig, ergreifend, gar lehrreich, der Hörer erhält zudem ein detailfreudiges Abbild Wiens, ähnlich wie in "Amadeus" durchaus plastisch wiedergegeben. Zu bemängeln habe ich lediglich die hektischen Sequenzen der Ich-Über-Ich-Gedankenpassagen, die konträr zur übrigen bedachten Inszenierung der Hörspiele etwas wirr und laut tönend dargestellt werden. Sicherlich akustisch passend im Sinne eines rasenden Gedankenstrudels, doch anstrengend im Nachgang. Auch die in den ersten Fällen nach Ende der Folge sich anschließenden Kommentare einer Freud-Fachfrau mögen zwar tiefenpsychologisch gemeint sein, doch sind diese leider komplett knochentrocken, sogar langweilig. Nun kann man argumentieren, dass dies durchaus zur nüchternen Freud-Kernthematik passt und der Hörer nach dem Spiel nun zusätzlich reale Informationsketten bekommt, aber dann bitte nicht so freudlos ;) womöglich hat man dies auch erkannt, finden sich diese Abschlussgedanken in den späteren Folgen nicht mehr.

    Einmal editiert, zuletzt von DySFunCtiON (2. April 2024 um 08:13)

  • Schön geschrieben! Ein wunderbarer Farbtupfer in meiner Hörspielsammlung. Ich habe das Fehlen der Analyse nach dem Ende der Geschichte vermisst.

    Wie Akita Takeo richtig über den Hörspieltalk von morgen schrieb:

    Solange es Leute wie uns drei gibt und wir hier schreiben, bleibt es hoffentlich bestehen. Noch lange! #top#

  • Ich sehe absolut den Sinn dieser Kommentare als kompetent fachliche Abrundung ohnehin schon anspruchsvoller Kost, doch kann ich mich noch erinnern, dass mich das beim ersten Durchhören irgendwie gestört hat. Bin grundsätzlich jedoch ein Freund von solchen Zusatzinfos

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