„Carmilla“ von J. S. LeFanu ist ein Klassiker des Schauerromans. Die Beliebtheit des recht kurzen Werkes dürfte dabei nicht zuletzt der gekonnten Vermischung von Vampirgrusel und Erotik geschuldet sein. Die lesbischen Untertöne des Werkes kann man auch beim besten Willen nicht überhören bzw. überlesen. Und das ist auch gut so, möchte man sagen. Neben diesen offensichtlichen Motiven ist es aber auch die Uneindeutigkeit, die den Roman so lesenswert macht: Carmilla ist nicht ausschließlich böse, sondern scheint auf ihre Art auch ernsthaft um Laura bemüht und um sie besorgt. Und Laura ist auch keineswegs nur das Opfer der Vampirin, sondern gibt sich ihr freiwillig hin und weiß die schönen Seiten der Beziehung zu genießen. Es ist auch diese Ambivalenz, die LeFanus Geschichte von fast allen anderen Vampir-Romanen abhebt.
Carmilla war Vorbild oder Anregung für viele Filme, wenige davon kann man als gelungen bezeichnen. Motive aus „Carmilla“ wurden auch in die gleichnamige, sehr erfolgreiche Webserie übernommen. Das alles ist so sehr in den Kanon des Vampirmythos übergegangen, dass viele Elemente des Romans heute wenig originell erscheinen. Bedenkt man aber, dass „Carmilla“ deutlich vor Stokers „Dracula“ erschien, bietet sich ein ganz anderes Bild. Unterschiede zum heute bekannten Vampirbild gibt es natürlich: Carmilla kann durch Wände gehen. Zwar fühlt sie sich nachts wohler, die Sonne tötet sie aber nicht. Sie verwandelt sich in eine Raubkatze, nicht in eine Fledermaus. Da werden schon einige Parallelen zum „Dracula“ erkennbar.
Selbstverständlich wurde die erotische Vampirgeschichte auch als Hörspiel umgesetzt. Meines Wissens existieren fünf Versionen:
- 1984 vom WDR vertont
- 1992 hat sich der Bayerische Rundfunk des Stoffs angenommen
- 1995 folgte SDR/SWF
- 2004 dann die erste kommerzielle Version von Titania Medien
- 2021 schließlich ließ Holysoft die sexy Vampirin erneut ihr Unwesen treiben
Die Versionen der öffentlich-rechtlichen Rundfunksender kenne ich leider nicht, was ich als Freund der Romanvorlage besonders bedaure. Daher an dieser Stelle der Appell an die Sender, diese Produktionen zu wiederholen (man weiß ja nie, wer mitliest). Hier soll es also notgedrungen um die beiden kommerziellen Produktionen gehen. Das schreit ja eigentlich nach einem Battle, aber da ich diese Form der Rezenison nicht so mag, wird es doch nur ein ganz gewöhnlicher Vergleich in Textform werden.
Der auffälligste Unterschied ist sicher, dass Titania die Handlung in der Mitte des 19. Jahrhunderts belässt, während Holysoft sie in die heutige Zeit verlegt. Das erfordert bei Holysoft ein paar Anpassungen der Handlung. So kommt Carmilla z. B. Als Aupair-Mädchen in Lauras Familie und nicht in Folge eines Unfalls. Den Kern der Handlung rührt aber auch Holysoft nicht an.
Holysofts Carmilla ist ein schnelles Hörspiel und gönnt der Geschichte völlig ausreichende 57 Minuten Laufzeit. Es wird unvermittelt mit den nächtlichen Schreien der jungen Laura begonnen und die Geschichte wird dann Szene für Szene abgearbeitet, wobei man auf einen Erzähler verzichtet. Das gilt zwar heute als modern und wird von vielen Hörspielfans auch so gewünscht, aber im vorliegenden Fall ist es nicht ganz nachvollziehbar: Im Roman ist Laura die Ich-Erzählerin, was für eine gewisse erzählerische Tiefe sorgt. Im Holysoft-Hörspiel ist davon nichts übrig geblieben. Die für das Hörspiel umgemodelten Dialoge wirken häufig gekünstelt. Zusammen mit den für sich genommen sehr guten Soundeffekten hinterlässt das alles letztlich den Eindruck eines Hörspiels nach einem Groschenroman. Das wird der ambitionierten Vorlage nicht gerecht. Die Sprecher*innen fand ich gut, wobei ich trotz Suche im Internet keine Sprecherliste finden konnte. Im Holysoft-Shop selbst wird lediglich Katja Liebing genannt. Problematisch empfinde ich die Musik, die zwar auf die jeweiligen Szenen abgestimmt wird, dem Hörspiel aber keinen einheitlichen Rahmen gibt. Insgesamt verschenkt Holysofts Carmilla für mein Empfinden die Möglichkeiten der Vorlage und klingt insbesondere im zweiten Teil wie ein beliebiges 08/15-Horror-Hörspiel: Allemal unterhaltsam, aber einfach nichts Besonderes. Schade, denn die Idee, die Handlung in unsere Zeit zu verlegen, fand ich durchaus reizvoll.
Im 'Gruselkabinett' geben sich u. a. Daniela Hoffmann, Manja Doering, Christian Rode und Regina Lemnitz als Sprecher*innen die Ehre. Diese illustre Schar ist ein Pluspunkt, mit dem das Hörspiel punkten kann. Die Titania-Fassung ist deutlich ruhiger und atmosphärisch dichter. Mit einer Laufzeit von 77 Minuten gelingt es ihr allerdings nicht durchgängig, den Spannungsbogen aufrecht zu erhalten. Laura ist im Hörspiel wie im Roman die Ich-Erzählerin, was gut funktioniert. Im Gegensatz zur Holysoft-Fassung wird auch die 'Vorgeschichte', in der Carmilla schon vor Jahren als Verführerin Mircalla auftrat, nicht nur erwähnt, sondern auch inszeniert. Das folgt zwar dem Roman, nimmt aber ein wenig die Zielstrebigkeit aus der Geschichte. Die Geräuschkulisse überzeugt nur bei oberflächlichem Hören. Konzentriert man sich auf die Sounds, so klingt doch hier und da eine Dauerschleife durch. Die Musik hingegen schafft eine durchgängig melancholische, unheimliche Stimmung. Die Dialoge wirken arg altmodisch, aber hier ist man natürlich mit der Zeit, in der das Ganze spielt, entschuldigt. Keine Entschuldigung gibt es aber für den einen oder anderen deskriptiven Dialog, den man hätte umgehen können. Zum Glück passiert das nicht zu häufig.
Beide Fassungen haben also ihren Reiz und ihre Stärken. Die Holysoft-Fassung ist eher für Hörer*innen geeignet, die einfach nur eine spannende Vampirstory wollen und denen auch ein gewisser Trah-Faktor nichts ausmacht. Die Titania-Version hingegen dürfte denen mehr Freud bereiten, denen die Nähe zur Romanvorlage und die unheimliche Stimmung des Ganzen wichtig sind. Man macht mit keiner der beiden Versionen etwas falsch. Perfekt sind sie aber ebenfalls nicht.