HÖRSPIELKOLUMNE "GEDANKEN EINES HÖRSPIELFANS 4/2015" - Muss das "Hörspiel-Rad" immer neu erfunden werden?

  • WerIn den letzten Wochen und Monaten hat uns Talker/innen dieses Thema in sehr vielen threads direkt oder indirekt beschäftigt. Zuletzt hatte auch @Marc Freund die durchaus berechtigte Frage und Feststellung gestellt:

    Zitat

    Da denkt man, nein man ist felsenfest davon überzeugt, dass man gerade den Krimi-Einfall des Jahrhunderts hatte und was muss man dann erfahren? Die Christie, der Doyle, der Wallace, der Carr, der Durbridge ... sie alle hatten den Einfall schon gefühlte 120 Jahre früher. Was macht man dann also mit dem grandiosen Einfall? Verwerfen und damit eine an sich schöne Geschichte ins Reich der nie geschriebenen Geschichten verbannen oder die Idee abwandeln und das Risiko in Kauf nehmen, vom dem einen oder anderen darauf angesprochen zu werden, dass die Christie, der Doyle, der Wallace usw. das ja schon mal gemacht hätten und zwar exakt vor 120 Jahren in dem Roman ...
    Ich bin dafür, die Geschichte trotzdem zu schreiben, sofern sie nicht eine 1:1 Kopie des Originals ist und sofern sie sich nur einiger kleiner Anlehnungen bedient. Was meint ihr?

    Ähnlichkeiten, Anlehungen und Kopien findet man in der Hörspiellandschaft häufig. Seit Tagen loben wir den guten H.G. Francis zu Recht wegen seiner wirklich genialen Gruselserie. Aber gerade er hat es perfekt verstanden Themen und Handlungen, die im Film große Bekanntheit erreicht haben, in eine kurze und knackige Hörspielgeschichte zu bannen. Und wir sind begeistert davon. Und es gibt jetzt viele Beispiele, die man nennen könnte, die ich aber absichtlich nicht anführe, weil die Diskussionen darüber dann leider für Unfrieden und Unverständnis seitens der Fans und der Labels geführt haben. Aber in den meisten Fällen waren und sind wir im Grunde mit den Hörspielen ausgesprochen zufrieden. Warum? Weil eine bekannte Szene, eine bekannte Geschichte, ein bekanntes Thema, eine bekannte Musik, ein bekanntes Setting, ein bekanntes Bild usw. sehr reizvoll sein kann, wenn man diese auf eine "andere Ebene", sprich andere Zeit, andere Umgebung, anderes Design usw, hebt. Dadurch ergeben sich für den Macher wie für den Hörer ganz neue Möglichkeiten, andere Verstrickungen und aus einem bekannten Plot ergibt sich plötzlich eine komplett andere Geschichte. Die Wurzeln mögen die selben sein, aber der Baum, der daraus wächst, wird andere, neue und unbekannte Äste hervorbringen.
    Und um dezidiert auf Marcs Frage zu antworten: Ja, ich bin ebenfalls dafür die Geschichte zu schreiben, unabhängig davon ob man sich nun bewusst der "Ähnlichkeit" bedient, wie dies H.G. Francis perfekt konnte, oder ob dies einem beim schreiben einfach "passiert", wie es bei Marc der Fall zu sein scheint. Besser eine sehr gute Variation als eine schlechte neue Story.
    Variation ist hier das Zauberwort. Eine 1:1 Übertragung mit neuen Sprechern, neuer Musik usw. kann ebenfalls sehr reizvoll sein und ist ja in anderen Kunstgattungen Gang und Gäbe. Aber aus meiner persönlichen Erfahrung heraus, kommt es dann sehr häufig zu einem Vergleich mit dem Original. Und der Mensch ist ein Gewohnheitstier. In den meisten Fällen spricht ihm das gewohnte Original mehr an als die Neuaufnahme. Eine sehr gute Geschicht e, die in einigen Bereichen Ähnlichkeiten zu einem ursprünglichen Hörspiel/Film/Buch hat, aber in vielen anderen Bereichen eine komplette neue "Ausstrahlung" aufweist, macht mir in der Regel immer großen Spass. Und auch hier gibt es Szenerien, die man als Hörer sehr gerne Tausend Mal hört und es gibt Szenerien, die man so gar nicht mag.

    Wie ich schon in anderen threads mehrfach geschrieben habe, so hatten und haben sich große und erfolgreiche Firmen und Menschen oft Ideen anderer bedient. Aber sie haben diese nicht nur plump übernommen, sondern sie durch Variation und Weiterführung auf eine weitere Ebene gehoben und damit vielen, vielen Menschen Freude gemacht. Daher stehe ich auf den Standpunkt: Nein, das Hörspiel-Rad muss nicht immer neu erfunden werden. Es muss nur weiter gedreht werden. Und hier bieten viele bekannte Geschichten aus Filmen, Büchern oder auch aus anderen Hörspielen wunderbaren Stoff, diesen weiter zu entwickeln.

    Einmal editiert, zuletzt von Markus G. (2. Oktober 2015 um 10:32)

  • Für mich muss das Hörspiel-Rad nicht neu erfunden werden, im Gegenteil. Gerade das was H.G. Francis in einigen Folgen der Gruselserie gemacht hat finde ich toll. Warum sollte man sich nicht mal an Ideen aus Filmen oder anderen Literarturvorlagen anlehnen? Ich glaube in kaum einem Genre gibt es das völlig Neue. Ich finde eine intelligente Kopie von bestehenden Geschichten super. Einige genannte Plagiatsvorwürfe konnte ich auch überhaupt nicht nachvollziehen, denn teilweise bin ich echt dankbar das es Hörspiele in Anlehnung an große bekannte Filme und Serien gibt. Da meistens für identische Umsetzungen horrende Lizenzen verlangt werden, ist es mir sogar dann lieber, wenn einfach mal in Anlehnung an etwas Bekanntes umgesetzt wird und das funktioniert für mich genauso gut.

    Für mich ist im Grunde nämlich nur eins ganz wichtig: Ich möchte gut unterhalten werden und wenn ich am Ende eines Hörspiels sagen kann, dass diese Geschichte nicht zum letzten Mal im Player gelandet ist, dann ist doch alles in Ordnung. Mehr will ich gar nicht.

    Niemand kann so hart zuschlagen wie das Leben.

  • Seit Tagen loben wir den guten H.G. Francis zu Recht wegen seiner wirklich genialen Gruselserie.

    Er würde heutzutage wesentlich mehr Haue ob der Kopierei bekommen, meiner Meinung nach.

    Variation ist hier das Zauberwort. Eine 1:1 Übertragung mit neuen Sprechern, neuer Musik usw. kann ebenfalls sehr reizvoll sein und ist ja in anderen Kunstgattungen Gang und Gäbe.

    Na, dann ist ja alles abgedeckt. Case closed :P .

  • Ich sehe das so wie Marc Freund und Markus G. - denn viele Menschen vergessen gerne, dass die hier aufgelisteten berühmten Krimi-Autoren im Wesentlichen auch nur Ideen anderer weitergesponnen haben. (Das stellenweise natürlich mit großer Meisterschaft.) So wird von Sir Arthur Conan Doyle berichtet, dass zu seiner Zeit bestimmte Kriminalromane irgendwelcher Autoren weggingen wie warme Semmeln... die Autoren aber die lästige Angewohnheit besaßen, am Ende alles durch den Zufall, den "deus ex machina" usw. aufzulösen, wo Doyle sich eine hieb- und stichfeste Argumentation oder Beweiskette gewünscht hätte. - Das war somit die Geburtsstunde des Sherlock Holmes. (Schöpfung durch Unzufriedenheit.)

    Auch in anderen Bereichen kann eine anfängliche Kopie durchaus ein großes Eigenleben entwickeln, und so etwas Neues entstehen. Ich denke da z.B. an die Firma "Mattel", die ursprünglich geplant hatte "Action-Spielzeug für Jungs" auf den Markt zu bringen und zwar aus der Welt des "Conan, der Barbar". Die Produktionsformen waren alle soweit fertig, als es wohl mit den Lizenzgebern Ärger gab und der Deal platzte. Stattdessen hat man den Conan mit blonden Haaren versehen und einfach "He-Man" aus ihm gemacht - die Geburtsstunde der "Masters of the Universe". (Sieg, der durch Niederlagen errungen wurde.)

    Man muss beim Schreiben immer unterscheiden zwischen einem 08/15-Plot, auf den es grundsätzlich kein "Copyright" geben kann. Man liste nur einmal auf welche berühmten Paare es gibt, die auf der "Romeo und Julia"-Formel basieren: "Junge liebt Mädchen, beide sind aber durch scheinbar unüberbrückbare Hindernisse voneinander getrennt und alles gipfelt in einer schrecklichen Katastrophe und dramatischen Todesfällen". Ich denke als erstes an den Film "Titanic". Aber wahrscheinlich ist die Zahl solcher Storys Legion, sagt jedenfalls Rosamunde Pilcher. (Zeitlose Story, basierend auf Paradigma.)

    Etwas anders sieht es bei diesen "High Pitch"-Entwürfen aus, die eine solche Originalität besitzen, dass jede Anlehnung daran schon als "Diebstahl" gewertet werden muss. ("Terminator", "Das Jesus-Video", "Jurassic Park", "Die Säulen der Erde", "Wenn die Gondeln Trauer tragen", "Der talentierte Mr. Ripley / Nur die Sonne war Zeuge", "Nightmare on Elm Street", usw.) (Große Geschichte, basierend auf Inspiration durch Genien.)

    Für den Autor ist es natürlich eine große Genugtuung, selbst einmal so einen großen Wurf zu landen und eine - im Wortsinn - originelle Geschichte zu entwickeln. Die Wahrscheinlichkeit, dass aber irgendjemand in den letzten 300 Jahren dieselbe Idee schon hatte, wird natürlich (mit jeder Buch- und Filmveröffentlichung) zunehmend größer. -- Aber, wie die Erfolge von "Twilight", "Eragon", "Shades of Grey" - oder eben die Gruselgeschichten des H.G.Francis, usw. - zeigen: Es ist nicht zwingend notwendig, eine originale oder originelle Geschichte zu erfinden, um Erfolg zu haben. (Steven Seagal kommt in all seinen Filmen auch mit nur einer, Pi mal Daumen gleichbleibenden Story zurecht. Und das schon seit vielen Jahren.) (Erfolg durch die 'Dieter Bohlen'-Formel: "If it ain't broke, don't fix it".)

    Die Kunst kann ja auch darin bestehen, altbekanntes in einen neuen Kontext zu setzen. Und insbesondere im Bereich der Genre-Literatur, wozu eben auch der "Krimi" gehört - trotz seiner vielen Sub-Genres - bleibt einem kaum noch etwas anderes übrig. Man kann einen Krimi natürlich als Rache-Story aufziehen, als Liebesdrama, als Thriller, Slasher-/Serienkiller-Crime, als Komödie, als klassischen Whodunit, oder ihn mit Horror-Elementen versehen - aber, und da gebe ich Markus G. ganz einfach recht - am Ende bleibt immer "Thema und Variation".

    Das einzige, fällt mir gerade ein, was mitunter einen Unterschied ausmachen könnte, sind die modernen Ermittlungsmethoden der Forensik, der Computertechnik, des aktuellen Forschungsstands. Denn diese, weil sie sie nicht kennen konnten, finden sich nicht in den alten Geschichten, (dafür aber wiederum bei CSI und Konsorten). Schreibt man aber eine Pastiche-Story aus dem Sherlock Holmes-Kosmos, dann muss man sich natürlich an die damaligen Gegebenheiten und Originalvorlagen halten, um keine Anachronismen zu produzieren.

    Oder man hält sich an die zeitlosen, mythischen Paradigmen (Vorlagen) aus der Welt der Archetypen, die ich hier kürzlich schon einmal erwähnte, (die Heldenreise, usw.). Dabei entwickelt man zwar nicht unbedingt eine "neue" Geschichte, dafür aber kleidet man (idealerweise) die große, ewige Geschichte in ein neues, buntes Gewand. Zeitlosigkeit inklusive. ("Herr der Ringe", "Die Chroniken von Narnia", "Herkules", "Asterix", "Harry Potter", "Star Wars", usw. usf.)

  • Ja, nun gut, aber wo schlägst du denn konkret die Hände über den Kopf zusammen "Plagiaaaaaat!" @Ascan von Bargen ?

    Was einen tollen Kniff angeht, so würde ich als Autor schon sagen, auch wenn die Story drumherum anders gestrickt ist- wenn dieser Kniff eben so speziell ist und er mir auch als Vorlage vertraut, dann kann ich ihn eben nicht nehmen....

    Aber auch allgemeine "Kniffe" der Neuzeit würde ich als Autor heute nicht mehr nehmen... Wie oft wollen wir noch die Auflösung, dass der Protagonist sich seine Dialogpartner nur eingebildet hat?

    Sicher hat da jeder seine persönliche Grenze....

    Aber ich denke mal über ein gesundes Maß nicht hinausgehend braucht das Hörspiel grade kein 1:1-Aufkochen von Stories anderer Medien, besonders wenn schon dutzendfach umgesetzt... Wenn wir schon was die menschlichen Sinne angeht, abspecken, sowie wider dem allgemeinen Aufmerksamkeitsdefizit stehen müssten, dann doch eher etwas, was es noch nicht anderswo gibt?

    Was auch noch einen Unterschied macht, wenn ich eindeutige kommerzielle Absichten dahinter sehe, wo ich denke- klar, keiner kann das Rad neu erfinden, ist doch alles voll kreativ hier.... ;)

  • @Markus0815: Wann ist es denn für Dich ein Plagiat?

    Für mich ist ein Plagiat wenn jemand meine Arbeit als die Seine ausgibt. Davon sehe ich im Hörspielbereich nichts. Kreativität zeigt sich nicht nur im neu erfinden sondern auch in der Variation von Themen und Inhalten für mich.

  • Plagiat ist evtl. das falsche Wort.

    Aber ich denke, man weiß, was ich meine. Da kann man einerseits die Übernahme Ideen anderer (und damit meine ich nicht die erwähnten Archetypen), aber auch das Aufkochen ausgelutschter Plotelemente sehen. Oder auch wenn ein Autor in seiner ursprünglich als innovativ empfundenen Ideenwelt verharrt, meinetwegen auch gerne aus kommerziellen Gründen (Fitzek? Wobei ich gerne nochmal an die Auflösung seines Erstlings "Die Therapie" erinnern möchte... ^^ )

    Ich wunder mich nur über deine scheinbar allumfassende Toleranz was Inhalte angeht. Demnach könnte man dir in der Hinsicht alles verkaufen oder?

  • Ja, kann man. Entweder es gefällt mir oder es gefällt mir nicht. Ein "ausgelutschter Plot" gefällt mir in der Regel nicht.

    Einmal editiert, zuletzt von Markus G. (2. Oktober 2015 um 15:14)

  • Ein berühmter Ausspruch, der Oscar Wilde, manchmal auch Charles Caleb Colton zugeschrieben wird, lautet:



    Auf gut Deutsch: "Besser gut geklaut als schlecht erfunden."
    (Mit Betonung auf GUT.)

    Ein echtes Plagiat setzt für mich persönlich die ABSICHT des Plagiators voraus. Wenn sie oder er dann auch noch Szene für Szene, ganze Dialoge und die Wendepunkte, etc., von einem anderen Werk übernimmt - da kann man schon von einer Kopie sprechen. Dabei kann es zweifellos eine gute Kopie sein, oder eine schlechte - siehe meinen Vergleich "Conan, der Barbar" / "He-Man".

    [Ich persönlich betrachte z.B. "Shades of Grey" in gewisser Form als "Plagiat" von "Twilight", was es ja auch letztlich ist, mit einigen Modifikationen, selbstverständlich.]

    Wenn aber jemand sich einen Titel oder eine Geschichte ausdenkt, und kurz darauf erscheint eine andere Story mit demselben Titel oder dem selben Inhaltsthema, ohne dass eine von beiden Parteien von der anderen wusste - dann kann man unmöglich von einem Plagiat sprechen. Eher von einer Synchronizität, wie seinerzeit als Wolfgang Hohlbein den Roman "DAS NETZ" veröffentlichte, und kurz darauf ein Film mit Sandra Bullock erschien, der denselben Titel trug und auch noch dasselbe Thema (grob betrachtet) behandelte.

    Das passiert. Ideen liegen manchmal "in der Luft" - und es ist gut möglich, dass weltweit zwei, drei ganz verschiedene Leute dieselbe Idee aus dem Äther aufschnappen und dann umsetzen. Das ist für mich persönlich aber kein Plagiat, sondern eher ein Grund darüber nachzudenken, wie das Geistige ins Sichtbare einwirkt. Gläubige Menschen würden wohl sagen: Wie der Heilige Geist auf die Menschen einwirkt und sie zu künstlerischen Werken inspiriert.

    @Markus0815 : Wie endet denn "Die Therapie" von Fitzek? Ich kenne wohl seinen Namen, habe aber noch nie ein Buch von ihm gelesen. (Lese ohnehin so gut wie gar keine Krimis / Thriller.) Mir fällt nur gerade ein, dass mir mal jemand sagte, dass auch irgendeine Dark Trace-Story ihn an Fitzek erinnern würde. Das wäre noch ein gutes Beispiel, um zu sehen, wie zwei unterschiedliche Leute dieselbe (oder eine ähnliche) Idee verwerten können.

  • Wie endet denn "Die Therapie" von Fitzek? Ich kenne wohl seinen Namen, habe aber noch nie ein Buch von ihm gelesen. (Lese ohnehin so gut wie gar keine Krimis / Thriller.) Mir fällt nur gerade ein, dass mir mal jemand sagte, dass auch irgendeine Dark Trace-Story ihn an Fitzek erinnern würde. Das wäre noch ein gutes Beispiel, um zu sehen, wie zwei unterschiedliche Leute dieselbe (oder eine ähnliche) Idee verwerten können.

    Das Ende möchte ich hier nicht verraten, vielleicht liest du es ja doch nochmal...

    Habe die Tage die ersten beiden Dark Traces gehört (alljährliche Maritim-Phase), da war noch nichts dabei, vielleicht in den nächsten Folgen, da geb ich Bescheid..

  • Ich bin nicht der Meinung, dass das Hörspielrad immer neu erfunden werden muss. Aber man sollte die Autoren nicht aus der Pflicht entlassen, es zumindest zu versuchen. Und als Hörer sollte man den Labeln zu verstehen geben, dass man neue Ideen und Ansätze zu schätzen weiß. Ansonsten geraden solche Inhalte immer mehr zugusten von "More the Same" in den Hintergrund. Und das kann man ja als Hörspielfan nicht wollen.

    Gleichzeitig ist es aber teilweise auch gar nicht möglich, das Rad neu zu erfinden. Ein Autor, der eine Sherlock Holmes-Geschichte schreibt, ist in seiner Kreativität per se stark eingeschränkt. Holmes und Watson liegen als Charaktere fest; und wenn es sich um eine klassische Holmes-Story handelt, auch die Epoche, in der die Handlung spielt. Die Idee, Holmes in die Gegenwart zu transportieren, um dem Thema neue Seiten abzugewinnen, wurde schon praktiziert. Jede Art, einen Menschen zu töten, dürfte in einer SH-Story schon zur Anwendung gekommen sein. Jedes Motiv, warum jemand zum Mörder wird, ist wahrscheinlich schon verwendet worden. Ein Autor kann also gar nichts anderes tun, als eine Variation von Bekanntem abzuliefern. Und in gewisser Hinsicht (zum Beispiel im Hinblick auf die Charaktere) ist das von Publikum sogar so gewollt. Und Holmes ist ja nicht der einzige Detektiv der Literaturgeschichte. Selbst wenn eine Idee für SH-Verhältnisse neu wäre, würde es immer noch heißen: Aber bei [entsprechenden Autor einsetzen] gab es das schon. Darum: Wenn eine Idee funktioniert, obwohl sie vielleicht nicht neu ist, sollte man sie ruhig verwenden.

    Und es kann ja trotz aller Parallelen und/oder Inspirationen etwas sehr Erfolgreiches und Eigenständiges dabei herauskommen. Es existieren zweifellos Parallelen zwischen Holmes und van Dusen. Aber das hat dem Erfolg von letzterem keinen Abbruch getan, weil er eigenständig genug war, um als selbtstständiger Charakter wahrgenommen zu werden. Und das ist er ja auch. Ein weiteres schönes Beispiel ist auch Batman. Kaum jemand denkt darüber nach, dass er vom Ursprung her eine Variation von Zorro ist. Aber davon ausgehend hat er sich in eine eigene Richtung entwickelt und ist auch nach 75 Jahren immer noch populär. Es kommt also darauf an, wie viel eigene Ideen man einbringt und wie man sie Sache entwickelt.

    Abschließend möchte ich noch sagen, dass ich über die Aussage von @Ascan von Bargen schmunzeln musste, "Juassic Park" gehöre zu jenen "High Pitch"-Entwürfen, die eine solche Originalität besäßen, dass jede Anlehnung daran schon als "Diebstahl" gewertet werden muss. Denn gerade dieser Entwurf ist alles andere als originell. Aber vielleicht meinte er das ja auch ironisch und ich habe das nicht mitbekommen. Kann ja mal passieren... :)

  • Ein weiteres schönes Beispiel ist auch Batman. Kaum jemand denkt darüber nach, dass er vom Ursprung her eine Variation von Zorro ist.

    Einspruch, Euer Ehren. Mir persönlich ist das immer sehr bewusst. Selbiges gilt für Peter Parker / Spiderman und viele andere "tagsüber bin ich die kleine Leuchte, nachts der Superheld in mehr oder weniger albernem Kostüm"-Superhelden, inklusive Adam / He-Man. Letztlich sind all diese Heldenfiguren aber wiederum nur ein "modifizierter Abklatsch" von Edmond Dantès ("Der Graf von Monte Christo"), der sich tagsüber in der harmlosen Verkleidung des Grafen zeigt, dann aber immer wieder in verschiedene Kostümierungen schlüpft, um gegen die Bösen anzukämpfen. (Und wer weiß, ob dieser nicht auch ein früheres literarisches Vorbild hat?)

    Abschließend möchte ich noch sagen, dass ich über die Aussage von Ascan von Bargen schmunzeln musste, "Juassic Park" gehöre zu jenen "High Pitch"-Entwürfen, die eine solche Originalität besäßen, dass jede Anlehnung daran schon als "Diebstahl" gewertet werden muss. Denn gerade dieser Entwurf ist alles andere als originell. Aber vielleicht meinte er das ja auch ironisch und ich habe das nicht mitbekommen. Kann ja mal passieren...

    In der Tat meinte ich das nicht ironisch. Zwar weiß ich, dass "Frankenstein" vorher da war, und auch "Die vergessene Welt" von Sir Arthur Conan Doyle und "Godzilla" und "King Kong" auch, (falls du darauf anspielst). Aber wer heutzutage eine Story veröffentlichen will, in der es um Wissenschaftler geht, die aus in Bernstein eingeschlossener DNA Dinos klonen, was zur Katastrophe führt... der wird einen schweren Stand haben.

    "Der Vampyr" (John Polidori) und auch "Carmilla, der Vampir" (Sheridan Le Fanu) waren auch schon da, bevor es "Dracula" gab. Und doch hat "Dracula" es geschafft, zum Urbild des blutsaugenden, jungfrauenverschleißenden Untoten zu werden, an dem sich alle Vampirgeschichten messen [lassen müssen].

    So reizvoll Carmilla auch sein mag...

    "El beso de favole" - Victoria Francés, 2004


    ...aber wer heutzutage "Vampir" sagt, der muss auch "Dracula" sagen.

    Aber vielleicht wolltest du, was "Jurassic Park" angeht, auch auf etwas ganz anderes hinaus? (Um Aufklärung wird gebeten.) "Alien 4", in dem es auch ums Thema "Klonen" geht, kam vier Jahre später in die Kinos. Und "Clone Wars" noch viel später...

  • Einspruch, Euer Ehren. Mir persönlich ist das immer sehr bewusst.

    Ich nehme Deinen Einspruch zur Kenntnis, weise ihn aber mit der Begründung zurück, dass ich von "kaum Jemand" gesprochen habe und nicht von "Niemand". Du darfst Dich gerne zum Kreis jener zählen, die bei Batman automatisch an Zorro als Vorbild denken. Damit habe ich absolut kein Problem und kann es nachvollziehen. :) Meine persönliche Erfahrung mit Comic- und/oder Filmfans lässt mich jedoch den Standpunkt vertreten, dass die überwältigende Mehrheit in Batman schlicht eine Kreation von Bob Kane sieht und nicht darüber nachdenkt, durch was Kane vielleicht oder tatsächlich inspiriert worden sein könnte.


    Um Aufklärung wird gebeten

    Kann ich gerne tun, wenngleich Du einen Teil der Aufklärungsarbeit bereits selbst geleistet hat. :)

    • Die Idee, Menschen aus der zivilisierten Welt auf Dinosaurier treffen zu lassen, hatte Arthur Conan Doyle bereits 1912 in "Die Vergesse Welt" (The Lost World)
    • Das Motiv des Menschen als Schöpfer von Leben findet sich schon bei Mary Shelleys "Frankenstein aus dem Jahre 1818. Aber es geht noch weiter zurück.
    • Die Grundidee eines Vergnügungspark, für den speziell Kreaturen geschaffen werden, die dann außer Kontrolle geraten, hat Chrichton von sich selbst übernommen - nämlich aus dem Film "Westworld", dessen Drehbuch er schrieb und bei dem er Regie führte. Nur waren es da statt Dinos lebensecht wirkende Roboter, was selbst wieder eine Variation des Frankenstein-Themas ist.

    Bei Doyle überlebten die Dinos auf einem südamerikanischen Hochplateau, Chrichton nimmt die Genetik zur Hilfe, um die Existenz der Urzeitwesen zu erklären. Das ist keine schlechte Idee, da sie zeitgemäß war und ist. Es existieren im Autorensprech solche Dinge wie "High Pitch" oder "High Concept". Und wenn der Einfall von Dino-DNA, die sich in einem Insekt befindet, das seinerseits in Bernstein eingeschlossen ist, unter "High Pitch" fällt, dann soll es mir recht sein. So etwas macht einen in meinen Augen aber nicht zum Genie. Denn weder der Roman und erst recht nicht der Film stehen oder fallen mit der Erklärung dafür, wie die Dinos geschaffen wurden. Und die "Dino-DNA/Mücke/Bernstein" Idee braucht heute niemand mehr zu verwenden, weil man mit der Aussage "Unsere Gen-Ingenieure haben da was kreiert" immer durchkommt. Denn das Wie ist weniger interessant als das WAS und die Folgen, die mit der Schöpfung einhergehen.

  • Danke erst einmal für die Aufklärung! Siehstewohl... von "Westworld" hatte ich bis gerade eben noch nie etwas gehört! ("Waterworld" kenne ich, da ging es um Badewannen und Aquarien, glaub' ich.) :wacko:

    Da hat der gute Crichton also so lange seine eigenen Geschichten gefleddert, bis mal was Brauchbares dabei rumkam...?

    (Und den "Einspruch" hätte ich vielleicht besser in Anführungszeichen gesetzt, der war natürlich eher so ;) gemeint.)

    In Ordnung, ich nehme "Jurassic Park" mal vorsichtig aus der Liste der 'hohen Konzeptentwürfe' raus. ^^ Aber, (da ich immer sofort vergesse, was ich geschrieben habe, weiß ich grad gar nicht mehr, was ich da geschrieben hatte und wie ich darauf gekommen war...) - äh - schätzungsweise wollte ich irgendwas mitteilen, von wegen "es gibt Storys, die ziemlich außergewöhnlich und originell sind" und "es gibt Storys, bei der eine wie die andere ist". Zu letzteren zähle ich grundsätzlich Krimis.

    Ah ja... ich glaube, es ging bei dem ganzen Diskurs hier um "Krimis", samt Sub-Genres, und wie man das Rad in Hörspielen neu erfinden kann und so.

    Darüber denke ich zurzeit, dass es wohl die "Aufmachung" sein dürfte, die dann gefallen oder nicht gefallen kann/muss/soll...

    Sprich: Eine Entführung, ein Mord und ähnliche Krimi-Standards sind per se ziemlich langweilig und schon 1000 Mal da gewesen. Aber wenn die Geschichte, abgesehen vom "Mordfall", auch interessante Charaktere, Schauplätze usw. bietet, oder eine überraschende Motivation der Bösewichter, dann nimmt man das Altbekannte, (was man vielleicht auch liefern muss, weil die Leute es mögen und erwarten), in Kauf, erfreut sich aber an den Neuerungen drumherum.

    Wenn man "Das Jesus-Video" nimmt, so wird man feststellen, dass es auch nicht unbedingt die erste Zeitreise-Story ist, die je geschrieben wurde. Aber es ist eine meisterhaft geschriebene Story, die mit vielen, vielen einfallsreichen Überraschungen, Wendungen, Verschwörungen, usw., aufwartet. Und mit einer Extraportion Spannung. Und ich glaube, das ist es letztlich, was zählt: Unterhält mich Geschichte X oder Y spannend? Oder langweilt sie mich? (Ich krieg zwar keine Provision von Herrn Eschbach, mir fällt aber gerade ein, dass auch "Eine Billion Dollar" ein ziemlich abgefahrenes Grundkonzept hat. Sollte ich vielleicht mal zu Ende lesen, das Büchlein.)

    Ich glaube, die einzige Rechtfertigung dafür, keine Spannung abzuliefern, liegt darin, wenn stattdessen Humor geboten wird. Wenn mich eine Geschichte wenigstens zum Lachen bringt, dann muss sie nicht sehr spannend sein. Aber, bekanntlich ist es sehr viel schwieriger, Leute zum Lachen zu bringen... so gesehen also ist es einfacher, Spannung zu erzeugen als Lachkrämpfe.

    ("Ein Fisch namens Wanda" kombiniert wiederum beides hervorragend miteinander - Spannung+Witz/Humor.)

    Geschichten, die nicht besonders spannend oder lustig sind, mag ich aber nicht - es sei denn, sie versprühen Langeweile.

  • Ich denke, dass jeder Autor, jeder Schriftsteller, jeder, der eine Geschichte erzählen möchte, eine Inspiration braucht. Ob bewusst oder unbewusst, bedient er sich dabei seiner Umwelt. Aber in den seltensten Fällen wird etwas 1:1 in allen seinen Facetten umgesetzt, sondern wird auf dieser Inspiration aufbauend etwas gänzlich Neues erschaffen.

    Einmal editiert, zuletzt von Markus G. (5. Oktober 2015 um 13:37)

  • Ich poste hier auch mal @hoerspielhoerer s Posting rein. Vielleicht ist das ja ein Anstoß weiter darüber zu diskutieren:

    Zitat

    Puuuuh...ganz ehrlich, ich kann mit diesen ganzen Klonen anderer Hörspiel- oder TV-Serien überhaupt nichts anfangen. Mir fehlt da einfach meistens der besondere Spin, der es nicht nur zum reinen Abklatsch macht. ISt es denn so schwer, sich eigene Stoffe auszudenken?

    Es ist ein schöner Kontrast zu meiner Sichtweise. Wenn es so was noch nicht im Hörspielbereich gibt bzw. gab, wenn es eine originale Variation der ursprünglichen Idee darstellt und wenn es einfach gut gemacht und unterhaltsam ist, warum nicht?

    Wie Akita Takeo richtig über den Hörspieltalk von morgen schrieb:

    Solange es Leute wie uns drei gibt und wir hier schreiben, bleibt es hoffentlich bestehen. Noch lange! #top#

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