Der hessische Rundfunk hat die Neuübersetzung des Abenteuerklassikers von Stevenson durch Andreas Nohl zum Anlass genommen, ein neues Hörspiel der Schatzinsel zu produzieren. Dafür hat Heinz Sommer für die Bearbeitung und Leonhard Koppelmann für die Regie verpflichten können. Allerdings exisiteren bereits einige Hörspiele und Filme über die Schatzinsel. Macht es wirklich Sinn, dieser neuen Produktion, die beim Hörverlag erschien, ebenfalls eine Chance zu geben?
Robert Louis Stevenson hatte bisher nicht den großen Erfolg, den er sich wünschte und der dem Leben seiner Familie gut täte. Doch da kommt ihm die Idee einer Insel, die den Mittelpunkt eines neuen Fortsetzungsromans darstellen soll: die Schatzinsel.
Andreas Nohl ist ein bekannter deutscher Übersetzer und Herausgeber, der u.a. die Abenteuer von Tom Sawyer und Huckleberry Finn neu übersetzte. Bevor er sich der Schatzinsel widmete, hatte er bereits mit Robert Louis Stevenson zutun. 2011 erschien bereits seine Übersetzung von "St. Ives" beim Hanser Verlag in München, bei der es sich sogar um eine Erstübersetzung handelt. Da er bereits bekannte Schriftsteller klassischer englischer und amerikanischer Literatur übersetzte, lag es nahe, auch die Schatzinsel einer Neuübersetzung zu unterziehen. Die Modernisierung des Romans bemerkt man vor allem an der dezent in die neuere Zeit transportierten Seeräubersprache. Statt "ihr" oder "euch" gibt es "Sie" zu hören. Ich bin kein Freund von Neu-Übersetzungen. Das liegt vor allem daran, dass bisherige Übersetzungen dadurch einen Stempel ala "nun überflüssig" bekommen. Dennoch kann ich nicht verschweigen, dass Nohl hier wirklich gute Arbeit geleistet hat und der Fluss der Geschichte durch die leichte und angenehme "Anpassung" nicht gestört wurde.
Für das Hörspiel hat sich Heinz Sommer der Neuübersetzung angenommen und ein hörspielfähiges "Drehbuch" geschaffen. Vor allem schenkte ich den wohlüberlegten "Einschüben" während des Hörspiels Beachtung, die vom Entstehungsprozess des Romans in Form von Erzählungen Stevensons, seiner Frau und seines Sohnes berichten. Im angehängten ca. 30-minütigen Werkstattbericht erfährt man, dass diese Erzählungungen am Ende des Romans angefügt waren, sich Heinz Sommer allerdings dafür entschied, diese an den richtigen Stellen wie eine Art "Kommentar" oder "Hyperlink" in das Hörspiel einzubauen. In meinen Augen bestand da die Gefahr, den Hörer abrupt mitten aus der Handlung zu reissen und so das Hörerlebnis zu trüben. Dies war allerdings nicht der Fall, man hat das sehr gut "eingepasst". Außerdem sind die Informationen zum Entstehungsprozess durchaus interessant.
Für dieses Hörspiel fährt man eine großartige Besetzung auf. Mit Ulrich Noethen ist ein der Produktion ein Glücksgriff für die Rolle des Robert Louis Stevenson gelungen. Er ist nicht nur ein hervorragender Schauspieler, sondern ein ebensolcher Sprecher. Den seit vielen Jahren verstorbenen Autor stellt er mit warmer, dramatischer Stimme sehr gut dar. Maximilian von der Groeben als Jim Hawkins/Erzähler und Udo Wachtveitl als Long John Silver tragen mit ihren "Haupt"-Rollen und ihrem beeindruckenden Spiel das Hörspiel. Wie das bei der "Beziehung" dieser beiden Charaktere sein muss, harmonieren die Beiden sehr gut. Gerade Udo Wachtveitl, der vor allem durch seine Rolle im Münchner Tatort bekannt ist, zieht den Hörer mit der Darstellung des Long John Silver in den Bann. Dies soll aber nicht die tollen Leistungen von Sprechern wie Sylvester Groth, Gerd Wameling, Thomas Fritsch, Ulrich Pleitgen, Matthias Habich und viele weitere gute Sprecher in den Schatten stellen. Sie alle haben ihrem Beruf alle Ehre gemacht und das Hörspiel zielstrebig zum Leben erweckt und damit ihren Beitrag zum Kopfkino geschaffen.
Wie bei Radiosendern, aber vor allem beim Westdeutschen Rundfunk üblich, wird viel Wert auf viele und authentische Geräusche und Kulissen wert gelegt, was hier ebenfalls der Fall ist. Mit der von ihm komponierten Musik transportiert Henrik Albrecht sowohl die Spannung des Romans als auch die Emotionen und Charaktere sehr gut. Insgesamt vier passende Lieder hat Heinz Sommer für das Hörspiel geschrieben bzw. bearbeitet. Die Musik dafür lieferte ebenfalls Henrik Albrecht.
Das Cover des Digipacks ist ansprechend gestaltet. So findet sich außer einem Teil einer Schatzkarte mit dem Titel des Hörspiels auch ein Foto vom Segelturn Stevensons' in der Südsee auf der Titelseite. Die vier CDs sind in Einschubtaschen des Digipacks untergebracht, was auf Dauer zu leichten oberflächlichen Kratzern führen kann! Weiterhin ist ein dickes 20-seitiges Booklet im Digipack untergebracht, welches ebenfalls ansprechend gestaltet ist und sowohl Informationen zur Hörspielproduktion, den beteiligten Personen und Sprechern als auch die Liedtexte und die Schatzkarte enthält.
Fazit: Durch die tolle Inszenierung, eine wahnsinnig gute Besetzung und den passenden vorsichtigen Einschub von Anekdoten legen Heinz Sommer und Leonhard Koppelmann ein - auf der Neuübersetzung Andreas Nohls' basierendes - herausragendes Abenteuerhörspiel vor. Trotz zahlreicher Filme, Übersetzungen und Hörspiele empfehle ich, dieser neuen Inszenierung ein Ohr zu leihen!