Das bessere Medium für Storyteller?

  • Vielleicht passt es ins Feuilleton: vor einigen Wochen habe ich nach einer entsprechenden Diskussion mit Filmkollegen einen Artikel geschrieben, der nach Diskussion verlangt:

    Das bessere Medium für Storyteller?
    Kürzlich saß ich in einer Runde mit Kolleginnen und Kollegen aus der Filmbranche, und das Thema unseres Gesprächs kam darauf, warum sich die deutsche TV-Welt…
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    Kürzlich saß ich in einer Runde mit Kolleginnen und Kollegen aus der Filmbranche, und das Thema unseres Gesprächs kam darauf, warum sich die deutsche TV-Welt so schwer damit tut, die ausgetretenen Pfade zu verlassen und ehrgeizige Stoffe umzusetzen. Ausnahmen bestätigen die sprichwörtliche Regel, aber dass sie Ausnahmen sind, zeigt schon das Problem:

    • Wishlist
    • Dark
    • Barbaren
    • 1899

    Für drei dieser willkürlich genannten vier Serien aus Deutschland musste Netflix auf den Plan treten. Und die einzige ö/r-Serie musste ihre Qualität mit einem sehr kleinen Budget unter Beweis stellen. Ein Kollege in unserer Runde warf die Frage auf, ob und welche Serienstoffe man denn schon mal gepitcht hätte, die in diese Auflistung passen würde, und wir machten uns den Spaß daraus, allen, die es wollten, fünf Minuten für einen Elevator Pitch zu geben, um den Rest der Versammlung zu überzeugen, für die jeweilige Serienidee „grünes Licht“ zu geben.

    Was soll ich sagen — bei sieben vorgestellten Stoffen hätte ich vier Mal ja gesagt. Ich war verblüfft, aber fühlte mich gleichzeitig bestätigt: an Ideen mangelt es nicht in Deutschland. Am Mut zur Umsetzung leider nach wie vor oft genug. Ob der fehlende Erfolg der Ideen daran liegt, dass die Pitcher vielleicht nicht gut genug verdrahtet waren, nicht die richtigen Ansprechpartner*innen gefunden hatten oder ihre Vorstellungen einer Kompensation utopisch waren, das weiß ich nicht. Ein befreundeter Filmproduzent vertritt die These, dass die Tatsache, dass die Produzenten einerseits keine Repertoirebibliotheken an Rechten aufbauen können und andererseits die Stoffentwicklung auch von Drehbuchförderungen oder Redaktionen finanzieren ließen, sie mutlos und defensiv gemacht habe. Nicht die Produzenten entscheideten, was umgesetzt werden wird, sondern die Redaktionen. Da ist vielleicht was dran.

    Liegt es vielleicht auch am Publikum? Ist es zu konservativ? Ist es zu wenig an modernes Geschichtenerzählen gewöhnt, als dass es dieses genießen könnte?

    Um diese Fragen soll es mir heute nicht (direkt) gehen. Als ich 2006 mit meinem Cousin Jochim die Firma INTERPLANARgründete, um die Produktion eines Hörspiels auf Grundlage der Mark-Brandis-Reihe zu stemmen, war uns klar, dass das Kulissenbauen bei einem Hörspiel eben deutlich günstiger und weniger zeitaufwendig ist im Vergleich zu einer Verfilmung. Für letztere braucht man Millionen, für ein Hörspiel dieser Größenordnung kann man fünfstellig bleiben. So entstanden 23 Brandis-Episoden auf insges. 32 CDs.

    Ausschnitt aus der englischsprachigen Outline für den MB-Film

    Erst als ich 2015 zusammen mit einem Kölner Filmproduzenten daran ging, auszuloten, unter welchen Umständen denn ein Mark-Brandis-Film entstehen könnte, drängte sich mir eine zweite Wahrheit auf: die Not der Filmemacher, im Vorfeld die Integrität der Aussage des Stoffes zu erhalten.
    Alle, die in die finanzielle Verantwortung eines Films einsteigen, wollen mitreden. Nicht selten muss der Produzent dabei liebgewordene Inhalte preisgeben, die Aussage verändern, umschreiben, neue Hauptpersonen hinzufügen oder vermeintlich überflüssige streichen. Dass Brandis in den Büchern (und Hörspielen) ein Astronaut mit der Heimatstadt Berlin ist, wäre bei der Verfilmung früher oder später zugunsten einer angelsächsischen Herkunft gestrichen worden. Alle politischen kontroversen Aussagen kamen auf den Prüfstand. Um einer chinesischen Ko-Finanzierung willen stieg in der Entwicklung des Drehbuchs der „koreanische Leutnant“ aus „Unternehmen Delphin“ als MIN JIE zur zweiten Hauptfigur der ganzen Story auf (siehe Textauszug im Ursprungsartikel).

    Solche Kompromisse musste ich bei der Umsetzung der Brandis-Hörspiele nicht eingehen. Brandis-Buchautor von Michalewskys Maxime

    Zitat

    Beim Hörspiel bin ich der Koch, und der Brei hat Geschmack. Beim Fernsehen gibt es zu viele Mitköche, die den Brei verderben

    stellte sich als zutreffend heraus: als Geschichtenerzähler kann man im Hörspiel viel klarer einem Kurs folgen, da es nicht erforderlich ist, einer größeren Zahl potenziell widersprüchlicher Interessen entsprechen zu müssen.

    Ist daraufhin das Hörspiel das bessere Medium, um szenische Geschichten zu erzählen?

    Einerseits ja. Das Szenische — was das Ambiente angeht und die Qualität der Dialoge — ist besser umzusetzen als in der Romanform. Erstklassige Sprecherinnen und Sprecher, oft mit Schauspielhintergrund und -erfahrung, lassen sich gerne für das Hörspiel engagieren. Ihre Qualität gibt Szenen im Hörspiel eine vielschichtige Qualität, die (bis auf das fehlende optische Element) potenziell der eines Filmes nicht nachsteht. Mehr noch: die Vorstellungskraft der Hörer wird mehr eingebunden als beim bewegten Bild.

    Ein Beispiel — dieses sechseinhalbminütige Gespräch aus der zweiten Episode von „Der Thron der Nibelungen“ zwischen Hagen und König Gibica, das viel Exposition enthält, vibriert vor Spannung, weil die beiden Sprecher (Patrick Winczewski als Gibica und Sascha Rothermund als Hagen) es mit persönlicher Relevanz aufladen:

    http://www.balthasar-von-weymarn.de/wp-content/uploads/2023/09/DerThronDerNibelungen-S1-Ep02-letzteSzene.mp3

    Ein Film hätte mit der Herausforderung zu kämpfen, über diese lange Zeit genügend interessante Bilder zu finden. Die Konzentration auf den Ton löst dieses Problem.

    Andererseits nein. Ungesagtes ist im Hörspiel nur schwer umzusetzen: Blickwechsel, Reaktionen, alles Kinetische (Actionszenen, Sinnlichkeit). Der Satz „Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte“ ist leider nur zu wahr, und je weniger Geduld das Publikum mitbringt, desto mehr gilt, dass jeder Trailer für einen Film mehr Interesse weckt als einer, der nur auf Audio baut. Trotz weiter steigender Nutzungszahlen für Audio-Inhalte schenkt das Feuilleton dem sog. „kommerziellen Hörspiel“ im Gegensatz zum Radio-Hörspiel weiterhin keine Beachtung. Dass das Nibelungen-Hörspiel in der Wormser Zeitung besprochen wurde, liegt daran, dass ich versucht hatte, beim proaktiven Anruf bei der Redaktion den Lokalbezug Worms->Nibelungen zu nutzen, und — vielleicht mehr noch — dass die Redakteurin zufällig in meinem ehemaligen Heimatort ihr Büro hat.

    Trotzdem hege ich die Hoffnung, dass sich das in naher Zukunft ändert: der Sprung vom Hörspiel zum Film ist oft leichter als der vom Buch zum Film, da das Hörspiel der szenischen Natur eher entspricht. Einer Redaktion einen Audiolink zu schicken hält die Schwelle niedriger als ein angeliefertes 50seitiges Exposé.

  • Vielen Dank. Ich sehe das alles ähnlich. Nicht jeder hat ein Faible für Hörspiele, dabei ist das Medium doch Kopfkino pur!

    Aber ja, ich schaue auch gerne Serien und Filme und genieße da natürlich umso mehr den optischen Input.

    Ich wäre natürlich super interessiert zu erfahren, ob dein Daumen eventuell bei den angeführten vier Stoffen gejuckt hat und wir evtl ein Hörspiel davon zu hören bekommen?! :)


    Eins und eins ist zwei - von London bis Shanghai!

  • Das Hörspiel hat aus meiner Sicht sogar zwei Vorteile gegenüber einem Film. Man kann es "nebenbei" hören, aus meiner Sicht nicht die zu empfehlende Variante, aber es geht. Ich favorisieren immer noch gemütlich in einem Sessel zu sitzen, vielleicht einen Kopfhörer auf, und dann das Hörspiel genießen und vor meinem geistigen Auge einen Film abspielen lassen. Wenn es dann auch noch mit einem bombastischen Sound hinterlegt ist, um so besser.

    Das kann nicht jeder. Mein Sohn zum Beispiel sagt, dass er beim hören eines Hörspiels keine "Bilder" sieht. Ein Stich in mein Herz, aber es ist halt so.


    -- Bevor ich mich ärgere, ist es mir halt egal --

  • Vielen vielen Dank für den Feuilleton! Ich denke jedes „Medium“ hat seine Stärken und seine Schwächen. Ich bin auch der Ansicht, dass jeder Stoff auf jedem Medium veröffentlicht werden kann. Aber wie so oft muss man dafür Kompromisse eingehen, die die Geschichte möglicherweise ein Stück weit vom Ursprung fortführen. Aber gerade das macht es doch auch so interessant, weil Geschichten dadurch niemals gleich klingen und man sie von verschiedenen „Positionen“ aus erleben kann. Ganz allgemein gesprochen, kann man aber aus meiner Sicht nicht behaupten, dass irgendein Medium „DAS Beste“ ist.

    Wie Akita Takeo richtig über den Hörspieltalk von morgen schrieb:

    Solange es Leute wie uns drei gibt und wir hier schreiben, bleibt es hoffentlich bestehen. Noch lange! #top#

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