Das Gespenst von Canterville
Die unheimlichen Geschichten, die sich um Schloss Canterville ranken, lösen beim amerikanischen Geschäftsmann Mr. Otis eher Erheiterung aus, sodass er trotz aller Warnungen das englische Gemäuer kauft und mit seiner Familie dorthin zieht. Alles scheint zunächst perfekt, nur ein Blutfleck stört Mrs. Otis. Doch selbst nach den hartnäckigsten Behandlungen mit neuen Wundermitteln taucht dieser wie von Geisterhand am nächsten Tag immer wieder auf…
„Der Gespenst von Canterville“ von Oscar Wilde ist ein echter Klassiker der Literatur und ist irgendwo zwischen Gruselgeschichte und Komödie angesiedelt. Beim Audio Verlag ist nun eine neue Hörspielumsetzung der Vorlage erschienen, die die beiden so gegensätzlichen Pole gekonnt betont. So kommt das grauenvolle und gequälte Heulen des Gespenstes ebenso gut zur Geltung wie die Parodie auf die Unterschiede zwischen Engländern und Amerikanern. Die Handlung wird dabei sehr flüssig erzählt und baut sich langsam auf, sodass es etwas dauert, bis das schaurige Gespenst erstmals in Erscheinung tritt und durch die steinernen Gänge des Schlosses streift. Doch die Vorstellung der Familienmitglieder, der Bediensteten und der Situation ist schon sehr unterhaltsam geraten und mit einigen bissigen Kommentaren versehen. Als zweiter Abschnitt ist eine Art Kleinkrieg zwischen den Bewohnenden und dem Gespenst zu hören, in der alle Register gezogen werden und die die Dualität der Handlung besonders gut betont. Gegen Ende gibt es dann ein hervorragend inszeniertes Finale, das noch einmal ein ganz anderes Licht auf einige Figuren wirft und stellenweise recht berührend geraten ist. Schön, dass die Inszenierung von Lilian Westphal und Gabriele Sachtleben die Vorlage nur sanft bearbeitet und die Essenz der Geschichte bestens erhält.
Peter Fricke ist in der Rolle des Mr. Otis zu hören, der resolute Amerikaner bekommt durch ihn eine durchsetzungsstarke Aura, betont aber auch die komödiantische Seite der Figur und sorgt damit für Lacher. Als seine Tochter Virginia hat mir Dorothee Hartinger sehr gut gefallen, da sie eine willkommene Melancholie in ihre Stimme legt und so noch einmal andere Schwerpunkte in der Handlung setzt. Henning Schlüter nimmt die Rolle des Gespenstes ein und sorgt dabei für sehr viele markante Momente. Wie er die verschiedenen Szenen sehr gekonnt betont und so die Dynamik der Episode entscheidend beeinflusst, ist sehr gelungen gelöst. Auch Marion van de Kamp, Robinson Reichel und Horst Sachtleben sind zu hören.
Die unterschiedlichen Szenerien sind sehr eingängig inszeniert und können die Stimmungen dabei gekonnt auffassen. Die kleinen eingebauten Melodien mag ich sehr gerne, sie reichen von verspielt über unheimlich zu melancholisch, sodass die Szenenübergänge sehr geschliffen wirken. Die Dialoge sind eher sparsam, aber sehr passend eingebaut und lassen die Gespräche lebendiger wirken und verstärken die Atmosphäre ebenfalls gekonnt.
Das Titelbild, das Leo Nickolls für das Hörspiel geschaffen hat, ist sehr ansehnlich geraten. Von dem düsteren Schattenriss des Schlosses mit dem passenden Schriftzug erhebt sich die Silhouette des Gespenstes in leuchtender Farbe, gekrümmten Rücken und schelmischem Grinsen. Die CD ist in einem hübschen Digipack verpackt, in dem das Farbschema des Covers fortgesetzt wird.
Fazit: Die Umsetzung von Oscar Wildes „Das Gespenst von Canterville“ betont die gegensätzlichen Stimmungen der Serie, nimmt sich Zeit für einen ausführlichen Aufbau und ist dabei in jedem Moment sehr unterhaltsam. Mir gefällt, dass Witz, Grusel und Melancholie gleichsam einen festen Platz in der Handlung haben und diese sehr abwechslungsreich gestalten. Eine sehr gelungene Umsetzung mit viel Flair.
VÖ: 16. März 2023
Label: Der Audio Verlag
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