"Das Hörspiel unter der Lupe 2016/02" - Die Nacht des Zorns

  • ACHTUNG SPOILER - ACHTUNG SPOILER - ACHTUNG SPOILER - ACHTUNG SPOILER


    Dies ist ein Thread für all diejenigen, die das Hörspiel gehört haben oder für diejenigen, die das Hörspiel noch nicht gehört haben und denen es nichts ausmacht, wenn sie Handlung, Inhalt und Auflösung erfahren!!!!


    In einem kleinen Ort in der Normandie ereignen sich drei mysteriöse Todesfälle. Schnell geht das Gerücht um, dass hier die "wütende Armee" zugeschlagen haben muss, der Legende nach eine Truppe mittelalterlicher Reiter, die umhergeistert und diejenigen stellt, die sich eines Verbrechens schuldig gemacht haben. Lina, ein junges Mädchen aus dem Dorf, behauptet, die "wütende Armee" in der Nacht gesehen zu haben, mitten unter ihnen die drei Toten, die zu den meist gehassten Personen in der ganzen Region gehörten. Kommissar Adamsberg wird mit der Untersuchung beauftragt und findet sich in einem von Aberglauben durchdrungenem Dorf wieder. Mit seinen ungewöhnlichen Untersuchungsmethoden nimmt er die Ermittlung auf. Denn für ihn steht fest: Es war Mord und kein Selbstmord, wie die örtliche Polizei behauptet.

    Adamsberg = Ulrich Gebauer
    Comandante Danglard = Felix von Manteuffel
    Lieutenant Retancourt = Anja Herden
    Lieutenant Veyrenc = Steve Karier
    Capitaine Emeri = Jürgen Tarrach
    Graf Valleray = Christoph Bantzer
    Dennis Valleray = Michael-Che Koch
    Madame Vendermot = Therese Dürrenberger
    Hippolyte = Martin Bross
    Martin = Matthias Kiel
    Antonin = Frank Musekamp
    Lina = Angelika Richter
    Estalère = Fabian Sattler
    Mercadet = Oliver Krietsch-Matzura
    Zerk = Marlon Kittel
    Momo = Denis Moschitto
    Enzo Lalonde = Vittorio Alfieri
    Noel = Gereon Nußbaum
    Justin = Bruno Winzen
    Léone = Susanne Barth
    Merlan = Dimitri Tellis
    Arzt = Axel Gottschick
    Erzähler = Udo Schenk

    108 Minuten, Bearbeitung und Regie Jörg Schlüter, Produktion WDR 2012.
    Das Hörspiel ist als Kaufdownload erhältlich, aber auch kostenlos im WDR-Hörspielspeicher: TEIL 1 TEIL 2

    Viel Spaß beim Hören und Diskutieren.

    Nicht jeder Verkannte ist ein Genie. (Walter Moers)

  • Nur so als Zwischenmeldung: Einmal habe ich das Hörspiel jetzt durchgehört, und an den französischen Eigennamen bin ich fast gescheitert... :(

    Dass ich es so schwer finde, mir Namen zu merken bzw. später zuordnungssicher wiedererkennen zu können, bei denen ich nicht "sehe", wie sie sich schreiben, weil ich die Sprache nicht spreche, hätte ich vorher nicht gedacht. In dem Hörspiel sind leider gleich mehrere längere Namen, die für mich alle irgendwie ähnlich klingen (nun, zumindest ähnlich kompliziert ;) ), und ich war mir nicht immer sicher, ob da gerade über ein tatsächliches oder potentielles Opfer, einen möglichen Täter, einen gerade abwesenden Polizisten oder eine ganz andere Person geredet wurde. Mir ist vorher nicht bewusst gewesen, wie sehr ich mir akustische Informationen durch "geistiges Aufschreiben" merke...

    Eins kann ich über das Hörspiel auf jeden Fall schon sagen: die Musikuntermalung finde ich absolut faszinierend, weil sie mich in eine leicht träumerische Stimmung versetzt und das Geschehen stellenweise fast schon unwirklich erscheinen lässt. Was ja wunderbar zum Inhalt passt. Dafür schon mal einen fetten Pluspunkt. ;)

  • Hab's gestern auch gehört. Ich tue mich mit französischen Namen auch verdammt schwer, hab aber schon mehrere Vargas Hörspiele angehört. Was mir auf jeden Fall aufgefallen ist: die Krimis von Fred Vargas sind nichts zum Nebenher hören! Also nochmal ein Durchgang...

  • Und natürlich gibts das Hörspiel auch bei Spotify. Im Gegensatz zum Download verdient da das Label wenigstens ein paar Cent http://play.spotify.com/album/19OkagV…otify.com&utm_medium=open

    "Das Label" ist der WDR und der verdient 1,25 Milliarden =O Rundfunkgebühren im Jahr. Da kann er natürlich großzügig die Streamingcents (nicht viel bei 108 Minuten auf 2 Tracks) dem Kleinunternehmen Bastei Lübbe AG (Jahresumsatz im dreistelligen Mio.-Bereich) überlassen. Man kennt sich ja in Köln 8o

    Wie auch immer, so kann ich es natürlich viel zügiger hören, wenn ich es nicht extra aus meiner Sammlung hervorkramen und auf eine SD-Karte frickeln muss...

    Ich hab ja damals 2002 in der Wiener U3 zwischen Volkstheater und Neubaugasse mit dem Motorala A920 von Drei und Leni Riefenstahl das erste Selfie der Geschichte geknipst” - Aus meiner Biografie, erschienen im Jahr 2039, geschrieben im Jahr zuvor am Pool einer Finca auf den Kanaren

  • Schwierig, schwierig... Ich nähere mich dem Ende des zweiten Hördurchgangs - und weiß ehrlich gesagt immer noch nicht, ob mir das nun gefällt oder nicht. Im Moment schwanke ich noch zwischen

    'Anders, und deshalb irgendwie faszinierend.'

    und

    'Mein Gott, ist das langweilig.'

    ?(

    Mal schauen, ob ich mich noch zu einer abschließenden Meinung durchringen kann...

    Nicht jeder Verkannte ist ein Genie. (Walter Moers)

  • Zwei Durchgänge von „Die Nacht des Zorns“ liegen nun hinter mir. Da wird es Zeit, dass ich mich zu diesem Hörspiel äußere. Vorwegschicken möchte ich, dass dies meine erste Berührung mit Fred Vargas ist. Auch kenne ich mich mit französischen Krimis abseits einiger Maigret-Romanen von Simenon nicht sonderlich aus.

    Was mich besonders angesprochen hat, war die düstere, gedrückte Stimmung, von der die Geschichte durchzogen ist. Die Normandie wird als ein fast mystischer Ort inszeniert, wo Sagen und Mythen auch heute noch lebendig sind. Bevölkert ist er mit teilweise recht sonderbaren Gestalten, die Visionen haben oder auch in einem Fall sechs Finger an jeder Hand. Weil der Vater des Jungen dies als ein böses Omen sieht, hakt er dem Sohn die überzähligen Finger ab. Im späteren Verlauf tötet jemand mit einer Armbrust. Und erst dieses „wütende Heer“, das die Wälder durchstreift. Irgendwie scheint das, was da vor sich geht, nicht aus unserer Zeit zu stammen. Die Autorin hat einen Background als Historikerin, was man an dieser Stelle deutlich merkt.

    Die beiden Kriminalfälle, mit denen sich Adamsberg, der Protagonist der Story, zu beschäftigen hat, sind jeder für sich interessant und werden geschickt miteinander verbunden. Über weite Strecken hat mich das Geschehen, insbesondere wegen schillernden Charaktere, sehr angesprochen. Gegen Ende wirkte das Ganze auf mich etwas überstürzt, als die Figuren anfingen, wie die Fliegen das Zeitliche zu segnen. Denn dies passte nicht so recht zu der sehr betulichen Gangart, mit der bis dahin zu Werke gegangen worden war.

    Adamsberg ist einer dieser eher wortkargen Ermittler, die auch äußerlich nicht gerade ein Ausbund an Vitalität sind. Ein Denker, der seine Schlüsse zieht, ohne sich von der Außenwelt in die Karten schauen zu lassen. Das schließt auch seine Kollegen mit ein. Mir vermittelte er das Bild eines recht verletzlichen Mannes, dessen Erfolgsrezept die Empathie ist. Er baut zügig eine Verbindung zu seinen Gesprächspartnern auf und lässt diese dann ausführlich erzählen. Weil er ungern etwas von sich Preis gibt, hält er damit aber auch den Hörer auf Distanz. So recht schlau wird man aus Adamsberg nicht, und ich kann jetzt auch nicht sagen, dass er mir sonderlich sympathisch war. Er passte mit seiner Art aber gut zu dieser Geschichte.

    Die Auflösung, dass Emeri der Täter ist, hat mich nicht sonderlich überrascht, denn es blieben nur noch wenige Personen übrig, die dafür in Frage kamen. Aber es scheint Vargas auch weniger um einen besonders kniffligen Fall für ihren Ermittler zu gehen, sondern mehr um die Charakterzeichnungen der teilweise recht unkonventionellen Figuren und das Erzeugen von Stimmung. Und gerade in Sachen Atmosphäre punktet auch das Hörspiel ganz gewaltig. Die Soundkulisse und die Musik wirken dezent im Hintergrund, was sie aber umso effektiver macht. Die Besetzungsliste ist sehr umfangreich und namhaft. Über die Qualität der Akteure braucht man keine großen Worte zu machen, denn die ist durch die Bank definitiv gegeben.

    Hätten wir „Die Nacht des Zorns“ nicht zum HUDL erklärt, wäre diese Produktion wahrscheinlich weiterhin komplett an mir vorbeigegangen. Ich habe es definitiv nicht bereut, die ca. 110 Minuten investiert zu haben, denn schon allein wegen der Atmosphäre hat es sich gelohnt.

  • Was bin ich froh, dass jemand anderes die Diskussion eröffnet hat. ;)
    Ich grübele nämlich seit drei Tagen mit steigender Ratlosigkeit, was ich zu dem Hörspiel schreiben soll... es ist "schwer zu greifen" für mich.

    Zwei Durchgänge von „Die Nacht des Zorns“ liegen nun hinter mir. Da wird es Zeit, dass ich mich zu diesem Hörspiel äußere.


    Ich habe auch 2 - stellenweise 3 - Durchgänge gebraucht, und ich bin mir noch immer nicht sicher, ob ich die vorkommenden Personen jedesmal richtig identifiziert habe, wegen der Namen. Oder ob ich überhaupt alles richtig mitbekommen habe. (Und wenn ich mir dann endlich mal einen dieser französischen Nachnamen erfolgreich eingeprägt hatte, verwenden sie im Hörspiel prompt fast nur noch den Vornamen und schon schwimme ich wieder... :S )
    Nebenbei war da noch das Problem mit dem Kopfhörer: Ich mag den eigentlich nicht, aber manchmal brauchte ich ihn - besonders die Brunnenszene ziemlich am Schluss (genauer: der Dialog zwischen Emeri und Hippolyte) war in Nicht-Stereo kaum verständlich...

    Ich fasse mal kurz zusammen, was ich von der Hauptgeschichte verstanden zu haben glaube:
    Der alte Graf hat neben seinem jetzigen Erben Dennis und seiner Exfrau (Leone) zwei uneheliche Kinder (Lina und Hippolyte). Wer anfangs alles darüber informiert ist, dass er deren Vater ist, wird nicht klar.
    Lina hat als Kind mit angesehen, wie ihre Mutter ihren Mann (der dann also nicht ihr Vater war) mit einer Axt erschlagen hat, und ist seitdem etwas seltsam - sieht das wütende Heer und so...
    Emeri hat seit seiner Kindheit Angst vor Hippolyte. Dieser wurde früher von den anderen Kindern gepiesackt, bis er deren Aberglauben ausgenutzt und den Spieß umgedreht hat, wobei ihm ein zufällig stattfindender Autounfall sehr nützlich war. Seitdem macht ihn Emeri anscheinend auch für jede Art von Misserfolg verantwortlich, den er und seine Karriere so erlitten haben...
    Lina prophezeit nun tödlichen Ärger für einige unbeliebte Mitbürger, was Emeri ausnutzt, um ein paar Morde zu begehen und ein paar weitere zu planen - mir ist da noch immer nicht ganz klar, ob die ersten drei Toten alle nur Vorbereitung für das Beseitigen seines "Erzfeindes" waren oder ob er den einen oder anderen davon tatsächlich dringend loswerden wollte. Ich frage mich auch, ob er anfangs überhaupt einen ausgereiften Plan hatte oder durchweg eher improvisiert hat... und war der Mordversuch an Leone geplant oder spontane Reaktion auf eine unerwartete Entwicklung? Jedenfalls wäre eine tote Leone ganz praktisch, um den jungen Grafen belasten zu können... (aber warum sollte der die drei ersten Toten ermordet haben?)
    Einen kompletten dritten Hörspiel-Durchgang tue ich mir aber nicht mehr an...

    Vorwegschicken möchte ich, dass dies meine erste Berührung mit Fred Vargas ist. Auch kenne ich mich mit französischen Krimis abseits einiger Maigret-Romanen von Simenon nicht sonderlich aus.


    Geht mir fast genauso. Ich habe aber schon mal einen Roman von Vargas gelesen ("Fliehe weit und schnell"), weil man mir die Autorin wärmstens empfohlen hatte. Und es ist der einzige Band geblieben. Ich hatte nicht das Bedürfnis, mehr von ihr zu lesen.
    Ich erinnere mich, dass ich den Roman damals während des Lesens zwar durchaus interessant fand, aber danach mit einer gewissen Enttäuschung zurückblieb. "So ein blödes Ende!" Das war auch eine Story mit einem gewissen "ungruseligen Gruselfaktor", und zum Schluss war es nur ein ganz profanes Motiv, welches schon "irgendwann früher" seine Grundlage hat, aber in einem Haufen von Mysterien und Kollateralschaden-Leichen versteckt wurde. Bei diesem Hörspiel hatte ich darum mehrfach das deutliche Gefühl, dass ich das "Strickmuster" schon irgendwoher kenne... nur dass der Mörder hier gefasst wird. :)

    Was mich besonders angesprochen hat, war die düstere, gedrückte Stimmung, von der die Geschichte durchzogen ist. Die Normandie wird als ein fast mystischer Ort inszeniert, wo Sagen und Mythen auch heute noch lebendig sind. (...) Und erst dieses „wütende Heer“, das die Wälder durchstreift. Irgendwie scheint das, was da vor sich geht, nicht aus unserer Zeit zu stammen.


    Das fand ich auch faszinierend. Wobei ich die Stimmung gar nicht mal als gedrückt empfunden habe, obwohl ich das wohl hätte tun sollen. Ich empfand sie lediglich als melancholisch. Muss an der Musikuntermalung gelegen haben. Was ist das für ein Instrument? Bandoneon, Akkordeon oder ähnliches?

    Die beiden Kriminalfälle, mit denen sich Adamsberg, der Protagonist der Story, zu beschäftigen hat, sind jeder für sich interessant und werden geschickt miteinander verbunden.


    Genaugenommen sind es sogar drei Fälle, aber die Sache mit der Taube wurde eben mehr so nebenbei abgehandelt (mich würde interessieren, wieviel Raum das Tierchen wohl im Buch einnimmt...). Genaugenommen wird ja auch der Fall mit dem verbrannten Industriellen mehr so nebenbei gelöst, wobei ich vermute bzw. hoffe, dass dieser Teil im Buch ausführlicher behandelt wird und für die Hörspielumsetzung auf die wesentlichen Fakten gekürzt wurde.

    Gegen Ende wirkte das Ganze auf mich etwas überstürzt, als die Figuren anfingen, wie die Fliegen das Zeitliche zu segnen.

    Musste das nicht so sein, schon wegen der Voraussetzungen der Legende? Die besagte doch, dass die von den Reitern mitgerissenen Personen innerhalb einer gewissen Zeit sterben werden, und die Zeit war ja nun so gut wie um. Und den Sündenbock musste man dann ja auch zügig liefern, damit Adamsberg nicht doch noch auf dumme Ideen kommt...

    Adamsberg ist einer dieser eher wortkargen Ermittler, die auch äußerlich nicht gerade ein Ausbund an Vitalität sind. Ein Denker, der seine Schlüsse zieht, ohne sich von der Außenwelt in die Karten schauen zu lassen.


    Mir scheint ja, dass ein beachtlicher Anteil dieses "Denkens" pures Bauchgefühl ist...

    Zitat

    Das schließt auch seine Kollegen mit ein. Mir vermittelte er das Bild eines recht verletzlichen Mannes, dessen Erfolgsrezept die Empathie ist. Er baut zügig eine Verbindung zu seinen Gesprächspartnern auf und lässt diese dann ausführlich erzählen. Weil er ungern etwas von sich Preis gibt, hält er damit aber auch den Hörer auf Distanz. So recht schlau wird man aus Adamsberg nicht, und ich kann jetzt auch nicht sagen, dass er mir sonderlich sympathisch war. Er passte mit seiner Art aber gut zu dieser Geschichte.


    Ein etwas seltsamer Ermittler in einer etwas seltsamen Geschichte - stimmt, passt gut. ;)
    Ich bin ganz froh, dass sie im Hörspiel wenigstens die etwas merkwürdigen Beziehungsprobleme von Adamsberg weggelassen haben, an die ich mich aus dem anderen Buch zu erinnern glaube. (Und die hätten ihn auch nicht symathischer gemacht.)

    Die Auflösung, dass Emeri der Täter ist, hat mich nicht sonderlich überrascht, denn es blieben nur noch wenige Personen übrig, die dafür in Frage kamen.


    Nachdem Adamsberg diese Zuckerbeutelchen auf dem Waldweg gefunden hatte, war doch eigentlich schon beim nächsten Kaffetrinken mit Emeri klar, dass dieser der Täter sein muss. Und das war ja noch bevor der Sündenbock getötet wurde...

    Aber es scheint Vargas auch weniger um einen besonders kniffligen Fall für ihren Ermittler zu gehen, sondern mehr um die Charakterzeichnungen der teilweise recht unkonventionellen Figuren und das Erzeugen von Stimmung.


    Und das macht sie recht gut. Mir wäre etwas mehr klassische Ermittlungsarbeit und weniger "ich fühle die Wahrheit" aber lieber. Das eine schliesst das andere ja nicht aus. Und ein oder zwei Sympathieträger würden mich auch nicht stören...

    Hätten wir „Die Nacht des Zorns“ nicht zum HUDL erklärt, wäre diese Produktion wahrscheinlich weiterhin komplett an mir vorbeigegangen. Ich habe es definitiv nicht bereut, die ca. 110 Minuten investiert zu haben, denn schon allein wegen der Atmosphäre hat es sich gelohnt.


    Dito hier. Obwohl Vargas keine Chance hat, zu meiner Lieblingsautorin zu werden, tut mir eine etwas andere Art von Krimi zwischendurch vermutlich mal ganz gut, und dieses Hörspiel ist dafür keine schlechte Wahl. Nur reicht es mir jetzt mit Vargas erstmal wieder für die nächsten paar Jahre...

  • Jetzt ist mal ein paar Tage mit Hörspielneuerscheinungen fast nix los, idealer Zeitpunkt zum HUDLn.

    Den unglaublich genialen Kilroy schaffe ich bei der Folgenlänge noch gerade so nebenbei.

    Also, wer noch nicht hat und will (so wie ich), ran an den Vargas von die Vargas.

    Ich hab ja damals 2002 in der Wiener U3 zwischen Volkstheater und Neubaugasse mit dem Motorala A920 von Drei und Leni Riefenstahl das erste Selfie der Geschichte geknipst” - Aus meiner Biografie, erschienen im Jahr 2039, geschrieben im Jahr zuvor am Pool einer Finca auf den Kanaren

  • Nach nunmehr dreimaligem Hören lande ich bei einem gnadenlos subjektiven Urteil: Es hat mir schlicht nicht gefallen.

    Meine erste Berührung mit Fred Vargas war die Hörspielversion von 'Die schöne Diva von Saint Jacques' im Anschluss habe ich dann die Romane um die 'drei Evangelisten' gelesen. 'Die Nacht des Zorns' war nun mein erster 'Adamsberg'. Während ich die Diva und die anderen Evangelisten-Romane sehr gut fand, hat mich 'Die Nacht des Zorns' leider ziemlich kalt gelassen, obwohl Machart und Themen nicht allzu sehr voneinander abweichen. Das, was Vargas-Fans 'magischen Realismus' nennen, hat bei diesem Hörspiel meines Erachtens nicht funktioniert.

    Die eigentliche Handlung von 'Die Nacht des Zorns' ist gut konstruiert (wobei mir @beli s Zusammenfassung mehr geholfen hat als das Hörspiel selber) und die Auflösung kann insgesamt überzeugen. Dass es mich trotzdem nicht gepackt hat lag an mehreren Gründen.

    • Es gibt keine Identifikationsfiguren in diesem Hörspiel.
    • Selbst die unglaublichsten Ereignisse behandelt Kommissar Adamsberg mit einer Gleichgültigkeit, die einfach nicht nachvollziehbar ist.
    • Statt zu kombinieren oder auch nur zu ermitteln lässt sich Adamsberg von Ahnungen und Bauchgefühl leiten.
    • Die Dialoge sind weder besonders originell noch wirken sie lebensecht. Das verstärkt die merkwürdige Farblosigkeit der Charaktere noch.
    • Die Figuren inklusive Adamsberg taumeln bzw. schlafwandeln durch die Handlung und es wirkt, alles wäre ihnen fast alles irgendwie egal.
    • Die Stimmung empfand ich weder als gedrückt noch als melancholisch. Das Wort, das mir am ehesten dazu in den Sinn kommt, wäre 'unwirklich' - und das ist in diesem Fall nicht positiv gemeint.


    Gut gefallen hat mir Udo Schenk als Erzähler: Er macht seine Sache ausgezeichnet. Aber irgendwie habe ich ständig darauf gewartet, dass er doch noch die Weltherrschaft an sich reißen will. :D

    Unterschreiben würde ich auch, dass der Einsatz von Geräsuchen und Musik sehr gut gelungen ist. Das hat aber nicht gereicht, um das Hörspiel für mich interessant zu machen. Insgesamt zu viel künstlerischer Anspruch und zu wenig Krimi. Und dafür wirkte 'Die Nacht des Zorns' für mich schlussendlich zu belanglos.

    Ich werde Fred Vargas im Allgemeinen und Kommissar Adamsberg im Besonderen bei passender Gelegenheit sicher noch eine weitere Chance geben. Dass die Mixtur sehr wohl faszinieren kann hat meines Erachtens das Hörspiel 'Die schöne Diva von Saint-Jacques (kein Adamsberg)' bewiesen: Da wurde mit ähnlichen Zutaten ein sehr viel nahrhafteres und bekömmlicheres Hörspiel-Menu gezaubert.

    Nicht jeder Verkannte ist ein Genie. (Walter Moers)

    2 Mal editiert, zuletzt von Stollentroll (10. April 2016 um 16:24)

  • Unterschreiben würde ich auch, dass der Einsatz von Geeräsuchen und Musik sehr gut gelungen ist. Das hat für mich aber nicht gereicht, um das Hörspiel für mich interessant zu machen. Insgesamt zu viel künstlerischer Anspruch und zu wenig Krimi.


    Das sehe ich genauso. Nur habe ich mich schnell darauf eingestellt, dass es gar kein richtiger Krimi ist, sondern eher eine "mysteriöse Geschichte" mit vielen Krimielementen. Und darum habe ich mich einfach berieseln lassen und bin - wohl hauptsächlich wegen der Musik, aber auch wegen der oft seltsam trägen Sprechweise im Hörspiel - beim Hören in einen sehr entspannten Zustand geraten (aber ohne jede Schläfrigkeit). Und das hat meine Einstellung zum Hörspiel sicher positiv beeinflusst. Das war für mich mal eine interessante Abwechslung zu meinen sonstigen Krimis - viel häufiger brauche ich diese Art von Geschichte aber nicht...

    Was ich mich inhaltlich noch gefrage habe: wenn Emeri noch immer Angst vor Hippolyte hat, dann wäre es doch viel besser für ihn, wenn er möglichst weit weg von ihm lebt. Warum wollte er dann unbedingt als Polizist in dem Ort bleiben? Das war ja offenbar überhaupt nur möglich, weil der Graf diesbezüglich irgendwo "oben" interveniert hat. Emeri hätte normalerweise nicht in seinem Heimatort Dienst tun dürfen, also hätte sich sein "Problem" doch von allein gelöst. Oder dachte er, dass er ohne heimische Unterstützung erst recht keine berufliche Chance hat? (Oder hat die Vorgängergeneration das ganz allein arrangiert?)

  • Ich kann Deine Haltung zu diesem Hörspiel gut nachvollziehen, @Stollentroll. Wenngleich ich ihm einige positiven Seiten abgewinnen kann, so bleibt "Die Nacht des Zorns" doch eine sperrige Angelegenheit. Meiner Meinung nach liegt das daran, dass über der Geschichte eine Art mysteriös-mystischer Schleier liegt. Du hast von "unwirklich" gesprochen, was es auch gut trifft. Obwohl es konkrete Handlungsorte gibt, scheint das Ganze der Realität doch irgendwie ein Stück weit entrückt, was auch das Verhalten der Charaktere und die Dialoge mit einschließt. So als würde es sich fast um einen Traum handeln.

    Nach wie vor bin ich von der Atmosphäre beeindruckt, die da akustisch geschaffen wurde. Und als Abwechslung zu eher bodenständigen Krimis lasse ich mir Geschichten wie diese gerne mal gefallen. Aber allzu viele von ihnen brauche ich auch nicht.

  • Also.

    Ich weiß jetzt nicht, warum Stollentroll ausgerechnet diesen Adamsberg ausgewählt hat, vielleicht wegen der Verfügbarkeit? Beispielsweise "Es geht noch ein Zug von der Gare du Nord" oder ""Die dritte Jungfrau" gefällt mir wesentlich besser. Die Figur des Adamsberg mag ich aber grundsätzlich, da habe ich die Probleme, die Stollentroll oben anspricht, nicht.

    Mir persönlich hat dieses Hörspiel weniger gefallen, die Gründe wurden allesamt schon genannt. Eine kluge Bearbeitung hätte die Namen auch für ein deutsches Publikum greifbarer gemacht und überhaupt hat man das Gefühl, dass beim (mir nicht bekannten) Buch etliches weggelassen wurde. Das ist beim Eindampfen auf Hörspiellänge sowieso klar, aber in diesem Fall auch besonders viel relevantes und hilfreiches.

    Thema "Magischer Realismus", das ist für mich keiner.

    Ich hab ja damals 2002 in der Wiener U3 zwischen Volkstheater und Neubaugasse mit dem Motorala A920 von Drei und Leni Riefenstahl das erste Selfie der Geschichte geknipst” - Aus meiner Biografie, erschienen im Jahr 2039, geschrieben im Jahr zuvor am Pool einer Finca auf den Kanaren

  • warum Stollentroll ausgerechnet diesen Adamsberg ausgewählt hat, vielleicht wegen der Verfügbarkeit?


    Ich denke schon - die HudL-Hörspiele sollten ja möglichst welche sein, an die man zur Zeit (legal) ohne Geldausgeben herankommt.

    Beispielsweise "Es geht noch ein Zug von der Gare du Nord" oder ""Die dritte Jungfrau" gefällt mir wesentlich besser.


    Gut zu wissen, behalte ich im Hinterkopf. Die "Jungfrau" habe ich evt. sogar schon irgendwo als mp3 ungehört gebunkert...

    und überhaupt hat man das Gefühl, dass beim (mir nicht bekannten) Buch etliches weggelassen wurde.


    Ja, und das stört mich sehr - aber die Geschichte ist wiederum nicht so umwerfend, dass ich nun unbedingt das Buch haben will, um die Lücken zu stopfen. Zudem da der Aha-Effekt am Ende wegfällt. Ich weiss inzwischen, dass es im Buch sogar noch einen vierten Fall gibt, aber das Buch ist ja auch viel dicker - im Hörspiel hätte man von mir aus auch noch die ganze Geschichte um die Taube weglassen (und den Momo-Teil dann eben etwas abwandeln) und dafür ein paar mehr Details zu den anderen beiden Fällen dazupacken können.
    Naja, vermutlich wollte man das nicht, weil mehrere anfangs getrennte und dann doch ineinandergreifende Handlungslinien so Vargas-typisch sind...

    Thema "Magischer Realismus", das ist für mich keiner.


    Meinst Du, dass "magischer Realismus" kein Realismus ist, oder dass diese Geschichte für Dich kein magischer Realismus ist?

    Ich habe mir inzwischen mal vorzustellen versucht, wie das Hörspiel ohne diese spezielle Musikuntermalung bei mir ankäme (gar nicht so einfach). Ich nehme an, es gefiele mir nicht so besonders, weil ich es ohne diese tagtraumähnliche Stimmung einfach nur viel zu langatmig und zuwenig Krimi fände. (Was die gräßliche Vermutung zulässt, dass ich mit einer Musik-CD mit ruhiger Bandoneon-Musik deutlich glücklicher wäre als mit diesem Hörspiel... ;) )
    .

  • Ich denke schon - die HudL-Hörspiele sollten ja möglichst welche sein, an die man zur Zeit (legal) ohne Geldausgeben herankommt.


    Absolut richtig, der war zum Download und im Stream verfügbar, das ist perfekt. Gilt vermutlich für die anderen nicht, in diesem Sinne, alles richtig gemacht.

    Meinst Du, dass "magischer Realismus" kein Realismus ist, oder dass diese Geschichte für Dich kein magischer Realismus ist?


    Nein, den m.R. prinzipiell zweifle ich nicht an, bin/war ja großer Fan beispielsweise von Haruki Murakami. Aber das ist für mich keiner und das gilt für alle Stoffe von Vargas, die ich kenne.

    Ich hab ja damals 2002 in der Wiener U3 zwischen Volkstheater und Neubaugasse mit dem Motorala A920 von Drei und Leni Riefenstahl das erste Selfie der Geschichte geknipst” - Aus meiner Biografie, erschienen im Jahr 2039, geschrieben im Jahr zuvor am Pool einer Finca auf den Kanaren

  • Ich weiß jetzt nicht, warum Stollentroll ausgerechnet diesen Adamsberg ausgewählt hat, vielleicht wegen der Verfügbarkeit?

    Genau deshalb. Ich kannte es vorher auch nicht, es interessierte mich und war frei verfügbar. Deshalb habe ich es vorgeschlagen.

    überhaupt hat man das Gefühl, dass beim (mir nicht bekannten) Buch etliches weggelassen wurde

    Genau diesen Eindruck hatte ich auch. Ich denke auch, dass die Beziehungen zwischen den Figuren (also Adamsberg und Co) noch sehr viel komplexer sein werden als im Hörspiel deutlich wird. Es ist ja immerhin schon der achte Krimi der Reihe, da dürfte es viel 'Vorgeschichte' geben.

    Nicht jeder Verkannte ist ein Genie. (Walter Moers)

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