Blick zurück (Teil 7) - Jules Verne bei EUROPA

  • Die Geschichten von Jules Verne haben für mich seit meiner Kindheit einen besonderen Stellenwert, was einerseits natürlich an den zahlreichen Verfilmungen liegt, aber zu einem erheblichen Teil auch an den Hörspielfassungen des Labels EUROPA, die mich letzten Endes auch zum Jules-Verne-Leser machten. Obwohl es freilich keine eigene Serie war, ist es in meinen Augen angebracht, den 7 Einzelhörspielen zusammenfassend diese kleine Kolumne zu widmen, denn es sind wunderbare Erzählungen und überaus gelungene Adaptionen.

    IN 80 TAGEN UM DIE WELT
    Schon die Eröffnungsszene vermag der Hörer mit der angenehmen Atmosphäre eines britischen High-Society-Clubs einzulullen. Zwischen Teetassengeklapper und Zeitungsgeraschel konfrontiert Lord Fogg seine Clubkameraden mit der verwegenen Idee, innerhalb von 80 Tagen einmal um den Globus zu reisen. Es dauert keine 5 Hörspiel-Minuten und sein Diener Passepartout wird unsanft auf dem Schlaf gerissen. Er soll das Nötigste einpacken und sich zur Abreise bereitmachen...
    Wie auch alle nachfolgenden Verne-Hörspiele ist auch diese Geschichte natürlich erheblich gekürzt, aber es kommt letzten Endes darauf an, das Hörspiel als eigenständiges, rundes Hörerlebnis erfahrbar zu machen, und das gelingt auch hier bravurös und stilvoll.
    Hans Daniel hat die richtige Stimme für einen britischen Lord und Joachim Wolff gibt den Spaßvogel relativ unaufdringlich. Das humorvolle Highlight ist jedoch die Diskussion mit dem von Jochen Sehrndt gesprochenen Kapitän als Fogg dessen Schiffsaufbauten verfeuern will um noch rechtzeitig am Bahnhof zu sein.
    Auch wenn diesem Hörspiel nichts wirklich Großartiges anhaftet, so ist es doch ein angenehm-nostalgischer Zeitvertreib.

    20.000 MEILEN UNTER DEM MEER
    Ich sehe mich noch als Kind fasziniert auf dem Flokati vor dem elterlichen Plattenspieler kauern und dieser abenteuerlichen Geschichte lauschen. Dabei starrte ich gebannt auf das imposante Bild auf der Schallplattenhülle und las, soweit es mir zu dem Zeitpunkt möglich war, die Angaben auf der Rückseite durch. "20.000 Meilen unter dem Meer" ist schlicht und einfach großartig, ein wahrer Triumpf. Sicher, bei mir kommt der verklärende Kindheits-Bonus ins Spiel, aber auch ganz nüchtern betrachtet, ist dieses Hörspiel ein Ereignis.
    Die Vorlage wurde perfekt auf ihre Essenz reduziert und jongliert dabei wunderbar ausgewogen zwischen ruhigen Passagen und dramatischer Aktion. Auf einen Erzähler wurde komplett verzichtet, und das kann man sich bei einer solchen Sprecherriege auch leisten: Die ungemein charismatischen Stimmen von Richard Lauffen als Professor Aronnax und Horst Frank als Kapitän Nemo suchen wahrlich ihresgleichen, da sitzt jede Nuance, und wenn Horst Frank sagt "... nein, Professor, ich bin kein Mörder, ich bin der Rächer!", dann ist klar, dass man dem Mann besser nicht wiedersprechen sollte. Hört man sich daraufhin nochmal die Maritim-Fassung von "20.000 Meilen..." an, ist es schon erschreckend wie lasch und weinerlich die dort verwendeten Stimmen daherkommen. Oder anders ausgedrückt: der EUROPA-Nemo würde mit dem MARITIM-Nemo den Boden der Kajüte aufwischen!
    Interessanterweise sind beide (Frank und Lauffen) nur wenig später als Schurken-Gespann in "Timm Thaler" aufgetreten, aber das nur am Rande.
    Natürlich dürfen auch die anderen Sprecher keineswegs vergessen werden, die ihre Sache ebenfalls ausgezeichnet machen. Heinz Trixner ist ein großartiger Ned Land und der immer hörenswerte Hans Hessling gibt den Diener Conseil unaufgeregt und amüsant.
    Und wenn Lauffen nach rund 48 Minuten seinen Schlußmonolog hält und dazu ein letztes Mal Chaussons "Viviane" erklingt, ja, dann läuft mir auch heute noch ein wohliger Schauer über den Rücken.
    Bevor ich jetzt noch mehr ins Schwärmen gerate, schnell zum nächsten Hörspiel:

    DIE GEHEIMNISVOLLE INSEL
    Die Quasi-Fortsetzung von "20.000 Meilen..." beginnt mit der Flucht einiger Kriegsgefangener mittels Ballon. Nach stürmischem Flug strandet man auf der titelgebenden Insel, auf der sich Kapitän Nemos Unterschlupf befindet.
    Was Atmosphäre und Dramatik angteht, kann diese Adaption mit dem genialen Vorgänger freilich nicht ganz mithalten, was sicher auch damit zu tun hat, dass die Geschichte über weite Strecken eher ein Survival-Drama ist. Dennoch absolut hörenswert. Horst Frank taucht erneut in der Nemo-Rolle auf, und diesmal wurde mit dem verläßlichen Hans Paetsch auch ein Erzähler bemüht.

    REISE ZUM MITTELPUNKT DER ERDE
    Auch wieder ein großartiges Hörspiel, für mich die Nummer 2 im Verne-Zyklus von Europa. Allein das absurd-schräge Finale, bei dem die Reisenden unversehrt per Vulkanausbruch (!) wieder zurück an die Erdoberfläche gelangen, finde ich unwiderstehlich. Doch bis dahin wird während der gefahrvollen Reise eine wunderschöne, dichte Atmosphäre aufgebaut, die mal wieder durch den geschickten Musikeinsatz und die fabelhaften Sprecher besticht, wobei Klaus Schwarzkopf und Stefan Schwade die gesamte Laufzeit fast im Alleingang bestreiten, denn auch hier wurde auf einen Erzähler verzichtet.
    "Reise zum Mittelpunkt der Erde" ist ein besonders schönes Beispiel für Vernes phantastische Reisegeschichten, in der auch das, was wissenschaftlich längst überholt oder widerlegt ist, wieder als Utopie erfahren werden kann.

    DIE KINDER DES KÄPT´N GRANT
    Diesem Hörspiel wurden sogar zwei Folgen spendiert, was es erlaubte, die Story diesmal ausführlicher zu erzählen. In diesem Falle ist mir allerdings nicht die Buchvorlage bekannt, und die Schallplatte besaß ich als Kind ebenfalls nicht. Meine erste Begegnung mit Käpt´n Grant fand vor ein paar Jahren in Form der ORIGINALE-CD statt. Beim Anhören fiel mir zunächst ein von Gernot Endemann gesprochener, trotteliger Charakter eher negativ auf, da er mir zu penetrant auf witzig getrimmt war. Trotz dieser kleinen Einschränkung, macht die Suche nach dem verschollenen Kapitän viel Spaß.
    Allein die Ausgangssituation ist ebenso bizarr wie typisch für Vernes Fabulierkunst: Da findet die Mannschaft eines Schiffes im Magen eines erlegten Hais eine Flaschenpost, deren Inhalt schon teilweise unleserlich ist. Der schiffbrüchige Kapitän Grant hat aufgeschrieben, wo er zu finden ist. Der Breitengrad ist lesbar, der Längengrad jedoch nicht mehr. Um ihn zu retten, beschließt der Kapitän der Duncan nun, den gesamten Breitengrad abzufahren, in der Hoffnung eine Spur zu entdecken!
    Diese Reise mit vielen Gefahren und falschen Fährten wird vom Europa-Team unterhaltsam und spannend erzählt. Ich hatte auch nicht den Eindruck, dass diese Doppel-Folge zu lang wäre, und das ist ja schonmal ein gutes Zeichen.

    DER STAHLELEFANT
    Dass man sich dieser Geschichte angenommen hat, ist unbedingt lobend zu erwähnen, denn DAS DAMPFHAUS ist eine kaum bekannte Erzählung Vernes. Das zeigt sich schon daran, dass es eine Verfilmung nie gegeben hat, und auch auf dem Hörspiel-Sektor sieht es eher mau aus. Das mag daran liegen, dass es sich hier eher um eine bodenständige Abenteuerstory handelt: Oberst Munro ist auf der Jagd nach dem Rebellenführer Nana Sahib, der sich im indischen Dschungel versteckt hält. Hierzu führt er ein rollendes Haus mit, das von einem mechanischen Elefanten durch den Urwald gezogen wird.
    Top besetzt mit Hans Daniel, Gottfried Kramer und Joachim Rake, ist auch dieses Hörspiel wieder eine runde Sache. Die gefährlichen Situationen in die die Reisenden geraten, kommen sehr gelungen und dramatisch rüber. Viel Wert wird auch auf die Geräuschkulisse gelegt, wie z.B. die mechanisch-stampfenden Töne, die der Elefant verursacht, und mitunter geht es auch regelwidrig brutal zur Sache.
    Alles in allem ein tolles, aktionsreiches Abenteuerhörspiel und ein würdiger Schlußpunkt für Europas Jules-Verne-Vertonungen.

    Das war ein nostalgischer Rückblick von Angus Gunn, der sich hiermit bemüht, die "Blick zurück"-Rubrik am Leben zu erhalten, denn diese ist eine wirklich hübsche Idee.
    Ergänzungen und Anmerkungen sind willkommen und erwünscht...

  • Sehr schöne Rezis! :thumbup:

    Ich hatte ja das Glück, alle diese Hörspiele schon in meiner Kindheit miterlebt zu haben. Das waren schon große Highlights in der damaligen Europa-Welt. Und sie stehen für mich noch heute in der obersten Liga der Geschichte dieses Labels.

    Von mir noch ein paar persönliche Anmerkungen:

    1) Man sollte nicht unterschlagen, dass H.G. Francis für alle diese Hörspiele das Manuskript geschrieben hat. Da sieht man wieder mal, was für ein großer Hörspielautor das war.

    2) In 80 Tagen um die Welt
    Du schreibst: "Auch wenn diesem Hörspiel nichts wirklich Großartiges anhaftet, so ist es doch ein angenehm-nostalgischer Zeitvertreib."
    Da muss ich doch aber widersprechen: Für mich ist dieses Hörspiel von A bis Z etwas Großartiges! Ich halte es sogar für eines der besten Europa-Hörspiele aller Zeiten. Und scheinbar sieht Europa das ähnlich - denn nicht umsonst hat man dieses Hörspiel als Folge 1 der "Originale"-Reihe wiederveröffentlicht. Es ist zumindest meine absolute Lieblings-Jules Verne-Vertonung. Dass Francis die Schlusspointe etwas verfälscht, spielt da kaum eine Rolle, zumal ja auch die Vorlage in dieser Hinsicht einen gewaltigen Logikfehler enthält.

    3) 20.000 Meilen unter dem Meer
    wird - wie du richtig sagtest - von den hervorragenden 4 Hauptsprechern getragen. Heinz Trixner sprach hier für mich seine jemals beste Hörspielrolle überhaupt. Das Cover ist zwar von der 1954er-Verfilmung abgekupfert, aber natürlich ein Klassiker.

    4) Die geheimnisvolle Insel
    wird für meinen Geschmack vor allem von Gerd Martienzen getragen, der für meinen Geschmack leider viel zu wenige gute Europa-Rollen hatte. Als Kind habe ich mich übrigens immer gefragt, wer wer auf dem Cover sein sollte (ausgenommen Smith und der Hund). ^^

    5) Reise zum Mittelpunkt der Erde
    war für meinen damaligen Geschmack neben "in 80 Tagen" das amüsanteste der Verne-Hörspiele. Die Dialoge zwischen dem unermüdlichen Professor und seinem ständig nörgelnden Neffen sind legendär.

    6) Die Kinder des Kapitän Grant
    hat zwar seine Längen, wird aber letztlich durch die vielen, diesmal auch ausführlich geschilderten Abenteuer, die die Reisenden auf den verschiedenen Schauplätzen erleben, zu einem guten Zweiteiler. Von den Sprechern stechen für mich vor allem Christian Rode und Klaus Stierlinger hervor. Ein bisschen dumm und rätselhaft die beiden unterschiedlichen Sprecher für Kapitän Mangler, zumal der Zweiteiler doch garantiert am Stück aufgenommen wurde.

    7) Der Stahlelefant
    ist zwar eine gute und zum Teil dramatische Produktion, enthält für meinen Geschmack aber eine zu deutliche Schwarz-Weiß-Malerei. Ich habe die Geschichte "Das Dampfhaus" nicht gelesen, aber wenn Verne das dort genauso geschrieben hat, reiht er sich leider in die Reihe der Kolonial-Schriftsteller ein, die nie sehr freundlich über die Ureinwohner des Landes geschrieben haben, das von den Kolonialherren erobert und besetzt wurde, sondern sie immer entweder als Schurken oder Deppen geschildert haben. Wenn man das Ganze nämlich mal umgekehrt sieht, sind Nana Sahib und Konsorten keine Mörder, sondern Widerstandskämpfer.

    Alles in allem aber: Hörspiele aus der Goldenen Europa-Epoche!

  • H. Hatch, #danke# für die Rückmeldung und Ergänzungen! #winkewinke#
    Ja, jeder hat so seine Favoriten, aber so oder so finde ich, daß EUROPA bei den Verne-Hörspielen durch die Bank eine tolle Arbeit geleistet hat. Dass sie sich am Schluß dann noch den Stahlelefanten vorgenommen haben, daran sieht man schon, dass die bekanntesten Titel bereits abgegrast waren und man sich nach weniger populären Vorlagen umsehen mußte.
    Wenn´s nach mir ginge, dann hätten sie ruhig auf den ein oder anderen Karl May verzichten und statt dessen noch mehr Verne-Vertonungen ins Programm nehmen können. Liebend gern hätte ich gewußt, wie Herr Francis wohl "Schwarzindien" oder "Das Karpatenschloß" umgesetzt hätte.
    Aber gut, es ist halt so wie es ist, und Karl May lieferte seinerzeit vermutlich auch die besseren Verkaufszahlen.

  • Ich finde die Europas zwar auch sehr gut,
    aber wenn ich beide 20.000 Meilen direkt miteinander vergleiche,
    dann gewinnt beim mir, um ein tausendfaches, die Maritim-Version.

    Was mir bei den Radio-Vertonungen von Verne nicht zusagt,
    sie mögen zwar vlt. näher an den Originalen sein,
    aber sie sind mir einfach zu lang.
    Ich mag es ja generell eher kurz und knackig,
    und besonders eben auch bei Abenteuern.



  • [quote='LskH','https://www.hoerspieltalk.de/index.php/Thre…st246315'%5DIch finde die Europas zwar auch sehr gut,
    aber wenn ich beide 20.000 Meilen direkt miteinander vergleiche,
    dann gewinnt beim mir, um ein tausendfaches, die Maritim-Version.

    Die Maritim-Fassung hat natürlich einen ganz anderen Erzähl-Ansatz. Die dort herrschende gemütliche Kaffee-und-Kuchen-Atmosphäre ist ja sehr nett, aber aus meiner Sicht sind die Stimmen völlig fehlbesetzt. Nemo hört sich an, als habe er zuviel Valium intus, und Aronnax klingt definitiv zu jung für einen Professor. Da Letzterer auch als Erzähler durch das gesamte Hörspiel führt, stört mich das schon. Als Alternative ist diese Fassung aber dennoch interessant.

  • Die einzige andere Fassung, die ich kenne und daher als Vergleich heranziehen kann, ist die von PEG (die etwa 2 Jahre früher auf den Markt kam). Und da gewinnt bei mir die Europa-Fassung um mehrere Längen! Europa Stimmen sind viel besser und glaubwürdiger (Werner Cartano ist gegen Horst Frank ein kleines Nemo-Fischchen) und vor allem sticht Europas für die damalige Zeit unübertroffener Klangteppich aus Geräuscheffekten und dramatischer Musik. In diesen Beziehungen konnte damals (1977) einfach kein anderes Label mithalten.

Jetzt mitmachen!

Sie haben noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registrieren Sie sich kostenlos und nehmen Sie an unserer Community teil!