• Entgegen der Gewohnheit von Künstlern, sich als "Gruppe" zu definieren, ein "Generationenprojekt" ausrufen zu müssen und ein "Manifest" zu proklamieren, vergaßen Jürgen Diehl und A.J. Weigoni jegliches kuratorische Wissen und öffneten sich neuen Lösungen. Mit dem Vorhaben, "grenzüberschreitende artIQlationen" zu realisieren, gelang ihnen das dialektische Kunststück, konstruierte Pathosformeln und Energiesymbole zur Einheit von Denken, Wollen und Fühlen durch eine eigene, streng individualistisch–lustvolle Selbstaneignung einer wahrhaftigen künstlerischen Freiheit zuzuführen.

    Jürgen Diehls “Problem”, eine Triple-Begabung zu sein, folglich in allen künstlerischen Bereichen Qualität zu besitzen, stellte sich für die Menschen in seinem Umfeld als inspirierender Vorteil dar. In dieser Leichtigkeit war Jürgen Diehl auch klar, daß jedes Bild nur die Beschreibung eines Weges ist, das uns als Suchende gefunden hat. Kunst sollte bei aller Ernsthaftigkeit nie ihre augenzwinkernde Begleitung aufgeben, doch bei allem Spiel nie die Würde vor dem Gegenstand ihrer Betrachtung verlieren. Auf dem Seil zwischen diesen beiden Anspannungen bewegte sich Jürgen Diehl mühelos, ohne Netz und immer mit Fallwissen. Denn er wußte, daß die Kunst eine der schönsten Fluchtmöglichkeiten ist – mit Ankunftswillen.

    Falls die Geschichte der Medien die Geschichte einer Konkurrenz ist, begann sie mit einem Vorsprung. Die Dichter hatten die Montage entdeckt, als die ersten Fotographen noch Stunden brauchten, um ein einzelnes Bild zu entwickeln. Es war, als hätte die Literatur den Film erahnt, und, als er kam, genossen sie gemeinsam den Rausch der sich überstürzenden Eindrücke. Das Drehbuch wurde erfunden, später der Rundfunk mit dem Hörspiel begrüßt. Als das Fernsehen sich breit machte, fand es die Schriftsteller schon in skeptischer Distanz. Multimediales Spiel mit Video, Performances und Installationen dachten Maler und Musiker sich aus, deren Zaungäste manchmal auch Dichter waren. Die Grenzen von Bildkunst, Literatur und Musik lösen sich sich im 21. Jahrhundert zunehmend auf. Es geht den Artisten um eine Art Überlappung, die Entdeckung von Gemeinsamkeiten und gegenseitige Inspiration.

    Plattform für die Aktivitäten bot die Werkstattgalerie "Der Bogen", in der auch der Künstler Peter Meilchen arbeitet. Die Artisten einigten sich darauf, »Schland« zu realisieren. Im Verlauf des Projekts wurden neue Werkzeuge erprobt: Soundsampler, Computer, Elektrografie, Video wurden im künstlerischen Spannungsfeld von Performances, Theateraufführungen und Rezitationen selbstverständlich.

    Ausschließlich das, was als ein Kunstwerk angesehen wird, genießt das Privileg einer hochorganisierten Wahrnehmung und Einordnung, statt, wie die meisten Produkte und Bilder des Alltags, trotz intensiven Gebrauchs letztlich unbeachtet zu bleiben und nach Gebrauch vergessen und zerstört zu werden. Sehen / Erkennen besteht, als übergeordnete Stufe, in der Assoziation optischer mit akustischen, taktilen und anderen Begriffsspeichern sowie mit Kombinationszentren der Begriffs– und Sprachbildung. Durch dieses assoziative Sehen kommt es zum optischen Erkennungs– bzw. Wahrnehmungsprozeß. Mit Scharfblick hat Peter Meilchen die Differenz zwischen der Realität in ihrem Abbild gezeichnet. Im 21. Jahrhundert beginnt man, die Abbilder der Realität vorzuziehen und sie zu fiktionalisieren. Gespeist durch diese Erkenntnisse entstand die grenzüberschreitende artIQlationen »Schland«. Bei diesem Ohr-Ratorium vertraute A.J. Weigoni dabei grundsätzlich nicht mehr der Detailarbeit in der Regie. Detailarbeit ist seiner Ansicht nach vernichtend, sie nimmt den Menschen das Selbstwertgefühl und wäre ein grundlegender Angriff auf die Kreativität. Entweder liegt ein Thema oder ein Stoff in der Luft und entwickelt sich von selbst, oder es ist einfach nur Mache.

    Ironie ist für Peter Meilchen, Tom Täger, Haimo Hieronymus, Thomas Suder und A.J. Weigoni wichtig, nicht im distanzierenden Verständnis, sondern im romantischen Sinn. Da signalisiert Ironie nicht das Trennende, sondern das Verbindende, das, was den Subjekt–Objekt–Zusammenhang herstellt. In Deutschland gibt es einen pathetischen Hang dazu, alles gleichsetzen zu wollen.

    Diese Artisten sind Produkte der Gesellschaft, in der sie leben. Ihre Produkte beschreiben unter Zuhilfenahme künstlerischer Stilmittel die Realität. Die Gewissheiten des bildungsbürgerlichen Wertekanons sind in Frage gestellt, während sich zugleich das Feld dessen, was unter Kultur verstanden wird, erweitert hat. Tom Täger erfaßte diesen Zusammenhang intuitiv, als er »Schland« für den Klangturm St. Pölten digitally remastered hat. Die Vergangenheit gegen die Gegenwart denken, der Gegenwart Widerstand entgegensetzen, nicht für eine Rückkehr, sondern zugunsten der Zukunft, markiert die Schnittstelle zur Umsetzung auf DVD. Klang als Objekt zu begreifen, ihn greifbar zu machen, ist das vorrangige Ziel von Tom Täger. Er nähert sich dieser utopischen Idee. Alles wäre demnach gesagt, Sound ein Fetisch.

    Interaktion, Vernetzung, Medialisierung sind zeitdiagnostische Schlüsselwörter geworden. In Tom Täger hat A.J. Weigoni einen optimalen Kooperationspartner gefunden. Täger, der in seinem Tonstudio an der Ruhr die ersten Alben von Helge Schneider und Tom Liwa produzierte oder die Missfits begleitete, hat ein Faible für Trivialmythen.

    Bei einer weiteren Datensicherung von Tom Täger wurde der analoge Hörfilm »Das kleine Helferlein« digital restauriert. Wer nicht hysterisch über Kunst und neue Medien sprechen will, braucht nicht in einen naiven Realismus zu verfallen. Es gibt dazu eine Alternative, die nicht minder rational ist: die medienarchäologisch genaue Analyse jener Änderungen der Wirklichkeit, die sich auf dem Weg von den einstige Analogmedien wie Rundfunk oder Telefon zum Digitalmedium Computer ereignet haben. In der Rückschau auf die Elektrografie lassen sich diese Entwicklungslinien nachzeichnen. Mit dem Kopierer wurde in den 1990–ern die Textur der Elektronik erkundet und sich auf die Suche nach Bildern begeben, die man sich selbst nie hätte ausdenken können. Gerade aus Unfällen entstand vieles, was sich erst im Internet durchgesetzt hat. Nicht der Mensch ist kreativ, sondern die Fusion aus Mensch und Maschine findet wie von selbst ihre Bilder und ihre Sprache. Den Abschied vom Schöpfergenius des 19. Jahrhunderts haben Copyart–Künstler vorweg gedacht.

    Zum Kulturbegriff gehört seit dem 17. Jahrhundert die Beschäftigung mit sich neu entwickelnden Formen geselligen und ehrbaren Lebens. Es gilt Stagnationen zu vermeiden und Kooperationen zu ermöglichen. Man muß eine Kulturdebatte über Medien und Medienentwicklung führen, da bieten sich Literatur, Bildende Kunst oder auch alles, was multimedial stattfindet, natürlich an, weil sich die Künstler, auch über die spezifischen Fachgrenzen hinaus, gerade in den letzten zehn Jahren mit gesellschaftlichen Fragestellungen befaßt haben. "Das kleine Helferlein" ist ein unterhaltsamer Hörfilm gegen den kulturellen Gedächtnisverlust.

    Weil sich die Gesellschaft totalitär des Individuums bemächtigt, und ist damit auf unsichtbar geworden, unbegreiflich. Das Ideologengeschwätz von der "Selbstverantwortlichkeit des Individuums" wäre lächerlich, hätten die Einzelnen es nicht auf grausame Weise verinnerlicht. Unter der Samtmaske der Liberalität verbirgt sich ein Stahlgerüst aus Ressentiment und Abwehr.

    Die Laboranten Peter Meilchen, Tom Täger, Haimo Hieronymus, Thomas Suder und A.J. Weigoni wissen über die Globalisierung alles, was man von der Provinz aus wissen kann. Also eigentlich nichts. Aber das völlig umfassend. Netzwerk ist der Leitbegriff des “Labors”, er bestimmt auch das Bild, das sich die Artisten von ihrer Gesellschaft machen. Sie denken über die Technologie als eine Allegorie sozialer Beziehungen nach. Die Lebendigkeit der vielgestaltigen Menge stellt sich gegen das identitäre Kommando der Postmoderne. In diesem Moment des, möglicherweise sinnlosen Aufbegehrens, gewinnen die Künstler ihre eigene Handlungsfähigkeit und fühlen sich als Teil einer kosmopolitischen Bewegung der Wiederaneignung einer entglittenen Welt.

    Der zentrale künstlerische Begriff des Labors lautet: Sample. Damit reihen sich die Artisten in einen Bogen ein, der von Walter Benjamin bis in das 21. Jahrhundert reicht. Der Montage–Begriff meint eine kulturelle Technik, in der Bruchstücke zu neuen Einheiten äußerlich zusammengefügt werden, wobei ihre Herkunft aus Zertrümmerung sichtbar bleibt; dennoch tritt das Montierte wieder als Einheit auf und wirkt konstruktiv. Bei den Arbeiten der Laboranten ist alles aber gehalten ist von der Symmetrie der Teile und ruhelos verdeckter Konkordanz. Daß auch Ältestes wieder auftaucht, Scholastik, Ägypten, die Odyssee; ist charakteristisch und zeigt den unheimlich schöpferischen Charakter des Zerfalls. Die Geschichte selber montiert Zeiten, die gar nicht zusammenpassen. Montage als Gestaltungstechnik ist eine Reaktion im großbürgerlichen Geist auf die Endkrise, in die der Kapitalismus eintritt. Die Reaktion wird bleiben, auch wenn die Krise gelöst sein wird; sogar der Verfall einer Kultur bringt Innovatives hervor, das man tradieren muß. Der Begriff der "Compilation" verrät schon als Wort diese Spannung, daß man einem Destruierten das Konstruierte ansehen soll und umgekehrt. In der Grammatologie beginnt die Destruierung und, wenn nicht die Zerschlagung, so doch die De–Sedimentierung, der Compilation aller Bedeutungen, deren Ursprung in der Bedeutung der Logik liegt.

    Mit dem anlogen Tantheater-Projekt ‚the vera stange tapes’ begann die multimediale Zusammenarbeit von Thomas Suder und A.J. Weigoni. Das Konzept der grenzüberschreitenden artIQlationen hat eine ambivalente Geschichte, weil es sich eher mit den formalen und expressiven Aspekten von Kommunikation beschäftigt, als mit dem materiellen Substrat oder Medium; deshalb befindet sich ‘Style’ im Herzen der Klassifizierungen und Kategorisierungen, die einen Künstler, eine Bewegung oder eine Zeit von einander unterscheiden. Ein neues Denken muß einer Welt ins Gesicht sehen, in der gebräuchliche Dichotomien nicht mehr gelten. Indem Ideen als Lockstoff ausgelegt werden, fliegt einem die rettende Idee schließlich wie von selber zu.

    Die neuen Strukturen des Raubtierkapitalismus, mit dem Künstlerethos der Selbstverwirklichung und den flachen Hierarchien, die Eigeninitiative fordern, dringen aufgrund ihrer größeren Menschlichkeit tiefer in das Seelenleben der Menschen ein. Die Grenzen zwischen Mäzenatentum und fast parasitärer Indienstnahme der Kunst und sind fließend. Kunst ist im 21. Jahrhundert ein Marketinginstrument, ein intellektuelles Spiel und ein kühl eingesetztes Werkzeug der Disziplinargesellschaft; gleichzeitig ist sie Teil des Business und dessen schärfstes Analyseinstrument. Diese Artisten sind nicht mehr unschuldig. Aber auch längst nicht mehr ahnungslos.

    Die Ablehnung von Gruppenhochmut ist für die Laboranten Peter Meilchen, Tom Täger, Haimo Hieronymus, Thomas Suder und A.J. Weigoni keine Neuerung, es ist eine programmatische Abgrenzung gegenüber Althergebrachtem, geradezu Voraussetzung für eine künstlerische Produktion, die sich als außergewöhnlich durchsetzen will. Ist der Fundus innovativer Spielformen ausgereizt, langweilt Wiederholung und Selbstreferenzielles, suhlt man sich in persönlichen Obsessionen, die nur noch Eingeweihte amüsieren. Selten hat es eine Epoche gegeben, der möglicherweise sogar die Begriffe fehlen, die eigene Gefährdung zu beschreiben. Der Raubtierkapitalismus beutet nicht nur die physische Seite aus, sondern gerade die psychische Seite, die Subjektivität des Menschen. Subjektive Kompetenzen, Kreativität, Entscheidungsfähigkeit, mentale Stärken, soziale Kompetenzen stehen im Mittelpunkt der Wertschöpfung. Diese Wissensgesellschaft produziert kollektiver als eine Industriegesellschaft.

    Haimo Hieronymus sieht sich vor, daß er sich nicht in veralteten Dichotomien von traditionell oder zeitgenössisch, lokal oder global verheddert. Kultur als Suchbewegung, nicht als Kontrollfiktion macht wesentlich sein Unbehagen an der Kunst aus. In ihren Überlegungen geleitet waren er und Peter Meilchen davon auch in ihrem Projekt »Dialog«. Sie gehen das Risiko ein, auf Nebengleisen zu fahren, statt Trends hinterher zu laufen. Ihr Geheimnis bleibt es, wie sie aus der gelassenen Betrachtung Funken hervorzaubern, wie aus tauber Müdigkeit Farben entstehen. Die Vergänglichkeit des Moments symbolisiert die Instabilität eines sozialen Zustands in einer Übergangsgesellschaft. Diese Flüchtigkeit ist jener Teils ihres Ichs, den sie "mein Instrument" nennen, sie wirkt wie ein fragiles Fragezeichen, fremd in einer noch fremderen Welt Melancholiker flüchten in die schützenden Arme der Tradition. Remakes laden zum Vergleich ein. Wobei das Ergebnis schon vorher feststeht: Es ist üblich, das Alte besser zu finden. Weil sich damit so wunderbar ein Lebensgefühl ausdrücken läßt – das Unbehagen an der Gegenwart. Interaktion, Vernetzung, Medialisierung sind zeitdiagnostische Schlüsselwörter geworden.

    Die Ironie, die bei den Laboranten zu spüren ist, basiert Endes auf Melancholie, auf einer Sehnsucht nach dem, was viele bereits abgeschrieben haben: doch noch etwas bewirken zu können, obwohl wir ständig vom Gegenteil überzeugt werden wollen – eine tragische und traurige Position, die nur von durchscheinender Klarheit und feierlicher Bescheidenheit gemildert werden kann. Fauler Zauber braucht Gegenzauber. Glaubwürdigkeit ist keine Sache der Faktentreue, weil es derlei Fakten in der Kunst gar nicht gibt. Was es gibt, ist Stimmigkeit, vermittelt über eine Form, die ihrem Gegenstand schlüssige und vielleicht auch neue Sinnzusammenhänge eröffnet. Der Gegenzauber kann dann Verzauberung heißen.

    Der Idealismus war der Gedanke, daß die Menschen über eine Kraft verfügen, die dem Übel unbezahlt Widerstand leistet und das Richtige prämienfrei tut. Die letzte unbezahlbare Freiheit, nämlich Erkenntnisse zu haben, wird in ökonomische Begriffe übersetzt, weil diese liberale Ökonomie eine ‘ultima ratio’ ist, ein Ende der Vernunft. Der Weltuntergang wird zu einer phänomenalen Urkomödie.

    Selbstachtung zu haben, bedeutet für die Betreiber des Laboratoriums, hart an sich zu arbeiten. Für Peter Meilchen, Tom Täger, Haimo Hieronymus, Thomas Suder und A.J. Weigoni gilt keine etablierte Wahrheit als sakrosankt; indem sie das Fundament des Denkens in Frage stellen zeigen sie, daß sich kreatives Denken unabhängig von jeder experimentellen oder auch nur mathematischen Unterstützung entfalten kann: Es gibt nichts anderes als den freien Flug der konzeptuellen Einbildungskraft, als die künstlerische Arbeit. Nur sie hat die Macht, das Gefühlschaos, die Vergeblichkeit und das verfehlte Leben in die Wahrheit einer höheren Ordnung zu überführen.

    Matthias Hagedorn


    Weitere Infos: http://www.bilder-raum.de

    Die Produktionen »Texte«, von Peter Meilchen - »Unbehaust«, von A.J. Weigoni – und »Das kleine Helferlein« stehen bei http://www.hoerspiel-labor.de als download im Netz zu hören.

    Als CD sind die erwähnten Produktionen erhältlich über: info@tonstudio-an-der-ruhr.de

    Bestellmöglichkeit der DVDs: 02932 / 82471

    Weitere Infos zu »Das kleine Helferlein« finden sich unter: http://urbons.de/

    Bestellmöglichkeit der Künstlerbücher: 02932 / 24575

    In der Bedeutung des Lehnworts aus dem Französischen, wo der "amateur d' art" den kenntnisreichen, enthusiastischen Liebhaber der Künste meint, bin ich ein Dilettant.

  • Exemplarisch läßt sich Peter Meilchens Arbeit an einem Multimediaprojekt verdeutlichen, das nun auf DVD erhältlich ist. »Schland« ist der Versuch, den Blick gleichsam zu konservieren und mit der Kraft der Vergewisserung die Seele des Augenblicks festzuhalten. Diese multimediale Arbeit beschreibt einen akustischen Raum in einem räumlichen Behältnis, dem „neuen“ DeutSchland, einem fiktiven Staat, tiefste Provinz. Schland folgt dem poetischen Kernsatz: „Nur die Fiktion ist noch wirklich, weil die Wirklichkeit durch mannigfaltige Wahrheiten verunstaltet wurde.“ Schland ist nicht nur ein Acker in Herdringen, auf dem Milchproduzenten umherlaufen, Schland ist überall. Es geht (ganz im Sinne Poes: „Man sieht es und sieht doch hindurch“) um den Blick, das Sehen, die Kurzsichtigkeit. Peter Meilchen präsentiert mit Schland ein durchaus ernsthaftes Projekt über ein Tier, dessen Faszinationspotenzial gering scheint, dem aber ein entscheidender Anteil an der Sesshaftwerdung des Menschen, also der wesentlichen zivilisationsgeschichtlichen Wegmarke überhaupt zugesprochen werden kann. Das Kühe, die gütigen Ammen der Menschheit sind, wissen wir seit dem alten Testament, die Gründe dafür, dass der Kuh eher das Image von Behäbig– und Mittelmäßigkeit anhaftet, vollzieht Peter Meilchen in seinem Projekt nach, indem er zeigt, wie ursprünglich biologische Konstitutionsmerkmale oder historische Notwendigkeiten mit symbolischem Gehalt gefüllt werden. Er präsentiert die körperliche Ruhe der Kuh, die sie zum Sinnbild des Stoischen hat werden lassen, mit ihrer Eigenschaft als Beutetier. Für das ist es in freier Wildbahn überlebensnotwendig, weder Panik noch Schmerz zu zeigen, um nicht die Aufmerksamkeit des Raubtiers auf sich zu lenken. Ähnlich: ihre Augen. Sie sind dafür geschaffen, ein maximal großes Sichtfeld zu haben, um Angreifer möglichst früh erkennen zu können. Uns sind sie indes vor allem Ausdruck der psychischen wie physischen Lethargie der Kuh. Wie tief gerade das Bild der Kuh als Indikator von Normalität im kulturellen Gedächtnis verankert ist, wird besonders an jenen Untergangsvisionen augenscheinlich, in denen die Kuh zum Vorboten des Unheils wird, das bald auch den Menschen erreichen wird. Was mit den Kühen in der biblischen Apokalypse–Darstellung beginnt, setzt sich fort in amerikanischen Weltuntergangsfilmen wie »Apocalypse Now«, »Twister« oder »Jurassic Park«, in denen die durch die Luft fliegende oder schwebende Kuh zum untrügliches Zeichen dafür wird, dass die Welt aus den Fugen geraten ist. Sein Trick besteht darin, daß es natürlich gar nicht um die Wahrheit über die Kuh geht, sondern darum, gerade durch die verschiedenen Projektionen etwas über die die Menschen und ihre Zeit selbst zu erfahren.
    Peter Meilchen geht mit seiner Kamera so dicht an die Dinge dieser Welt heran, daß diese ihren Anspruch aufgeben, Dinge dieser Welt zu sein – und zum Bild werden können. Sein 'Sehen' ist kein Begaffen, sondern existenziell vollzogen.

    Die Schland-DVD erschien in der Edition Das Labor am 25. Oktober, wo sie in der Werkstattgalerie Der Bogen in Arnsberg präsentiert wurde.


    Weitere Infos über: http://www.medeasy.de/common/?p=2151

    In der Bedeutung des Lehnworts aus dem Französischen, wo der "amateur d' art" den kenntnisreichen, enthusiastischen Liebhaber der Künste meint, bin ich ein Dilettant.

  • Nachdem die "Letternmusik", ein drama giocoso von Stephan Flommersfeld & A.J. Weigoni auf DeutschlandRadio Kultur urgesendet wurde, ist diese Arbeit nun auf CD in der Edition Das Labor erschienen.

    Einen Remix zu basteln ist in der Popmusik gang und gebe. Stephan Flommersfeld hat das Selbe mit der "Letternmusik" von A.J. Weigoni gemacht, herausgekommen ist die aktuelle Variante eines drama giocoso. Die Fertigstellung seines Remix ist gebunden an den Umstand, daß das Ganze wiederum „Sinn“ macht, das unterscheidet den Remix von Stephan Flommersfeld von einem Remake und vom Recycling: Remixen ist hier auch eine Autorenangelegenheit. Die ideale Form für den Remix ist der Clip: ein audiophones Geschehen, das sowohl in der Länge als auch im inneren Aufbau (Refrain, Strophe, Bridge) einem Popsong ähnelt. Tatsächlich benutzt Stephan Flommersfeld gern einen solchen als Grundlage für die Montage. Dieser Remix der »Letternmusik« ist ein Platz für den artistischen Bau autarker Sprachkonstrukte außerhalb der alltäglichen Rede und normierter Sprachregularien. Dieses Freigelassene, Strömende entsteht durch Präzision, Klarheit und Konzentration. Diese Gedichte oszillieren zwischen dem lyrischen Protestgedicht und dem politischen Liebesgedicht. Sie sollen daran erinnern, was Poesie ursprünglich war: Gesang, Melodie und Rhythmus, Reim und Versmass, Litanei und Mythos. In einem beständigen Remix der Töne wird die entzweite Welt neu zusammengefügt. Mit ihrem parlandoartigen Konversationston changiert Flommersfelds neue Komposition zwischen Komödie und Tragödie. Die Klangbilder sind scharf konturiert, agogische und dynamische Verläufe oft abrupt, die Farben abwechselnd grell und düster. Die Wahl der Tempi macht die unerbittliche Dringlichkeit der Verläufe spürbar, und manchmal überstürzen sich die Dinge und die Musik mit ihnen. Sie ist immer mitten im Kern des Geschehens und trägt auch immer zu dessen Deutung bei. Diese Komposition ist von hypnotischer Wirkung, minimalistisch und doch komplex, hochgradig virtuos, ungeheuer rauschhaft in den Ausbrüchen, getragen von einer tiefen Spiritualität und Innerlichkeit. Es ist schwer, sich den Reizen dieser Klangwelten zu entziehen. Flommersfelds Komposition hat viele eindrucksvolle Momente, vor allem im Lyrischen. Nach Spielerei klingt das nicht, alles findet wie selbstverständlich zueinander. Mal hallen düstere Akkorde wie von weit her, mal flirren Melodien in seltsam schillernden Farben. Die Kompositionen von Stephan Flommersfeld entspringen einem emotionalen Kontext. Am Anfang ist das fühlende Subjekt. In ihm entsteht die Musik, die dann nach außen tritt. Ihr Klang ist reine Ästhetik, abhängig von äußeren Einflüssen.

    Die "Letternmusik" erscheint als CD in der Edition Das Labor

    In der Bedeutung des Lehnworts aus dem Französischen, wo der "amateur d' art" den kenntnisreichen, enthusiastischen Liebhaber der Künste meint, bin ich ein Dilettant.

  • Einer Welt gegenüberstehend, die nicht immer verständlich ist, einer Gesellschaft angehörig, die gebrochen erscheint. Kommentierend und hadernd, reflektierend und feixend geht Haimo Hieronymus daran sich diese Welt zu erschließen, versucht er sie zu hinterfragen und zu verstehen. Streut dabei fast schon natürlich Salz in die Wunden. Früher hat er die Strukturen der Natur untersucht, über fünfzehn Jahre lang versuchte er die Beziehungen der Formen, Linien und Fraktale zu verstehen, seit einigen Jahren geht es ihm um die Strukturen der Gesellschaft und auch hier arbeitet er gewissenhaft, geht auch kleinen Verästelungen, geht den Beziehungen zwischen Menschen und ihren kleinen Sorgen nach. Kommentiert die Bilder mit spontanen Texten, Fragmenten und Wörtern. Zunächst sind diese Bilder ästhetische Erlebnisse, dann sickert langsam ein Erkennen ein. Sie wollen nichts erzwingen, sie verführen uns zum Denken.


    Haimo Hieronymus, Malerei - vom 24.01. – 20.02.2010
    Art Galerie
    Helga Oberkalkofen
    Fuerst-Johann-Moritz-Str.1
    D-57072 Siegen
    Tel.: 0271-339603

    Über Künstlerbücher unter: http://www.kultura-extra.de/literatur/lite…onymus_2007.php

    In der Bedeutung des Lehnworts aus dem Französischen, wo der "amateur d' art" den kenntnisreichen, enthusiastischen Liebhaber der Künste meint, bin ich ein Dilettant.

  • Zwischen dem so genannten 68-ern und den angeranzten Punks gibt es eine Generation zu entdecken, deren gemeinsamer Bezugspunkt die alte BRD ist.

    Entgegen der Gewohnheit von Künstlern, sich als "Gruppe" zu definieren, ein "Generationenprojekt" ausrufen zu müssen und ein "Manifest" zu proklamieren, vergaß die „blank generation“ (benannt nach einem Song von Richard Hell) jegliches kuratorische Wissen und öffnete sich neuen Lösungen. Was dabei herauskommt ist u.a. nachzulesen in der von Peter Ettl herausgegebenen Anthologie »Die inneren Fernen«. Obwohl unter den Zeltschrägen einer gemeinsamen Edition bilden die Lyriker der „blank generation“ keine einheitliche Gruppe. Es gibt keinen gemeinsamen arspoeticagleichen Ansatzpunkt als den, Literatur anders einzuordnen, um schließlich eine Art literaturkritischer Mutation hervorzuzaubern. Eben durch die Verschiedenheit der Gedichte, durch die Unvereinbarkeit der gezielten Darlegungen und dank dieser Inkompatibilität werden die Autoren selbst zum Sinnbild der gegenwärtigen Lage der kulturellen Gesellschaft. Die Lyrik ist nie homogen, sie resultiert aus zahlreichen Stimmen und Stilen, die manchmal Berührungspunkte aufweisen, manchmal aber auch nicht.

    Im 20. Jahrhundert versuchten die Autoren, sämtliche Regionen des Landes ausschöpfend zu beschreiben, nach dem 2. Weltkrieg folgte die modernistische Literatur, welche die plurale Identität der alten BRD entdeckte und sich andererseits darum bemühte, die Weimarer Traditionen wiederaufzunehmen. Die Lyriker der blank generation sind so lebendig wie vielstimmig ist, sie schreiben keine Befindlichkeitstexte, leisten dafür aber sorgfältige Spracharbeit und schreiben poetisch souverän, welterfahren und vor allem eigenwillig. Die literarische Strömung des Regionalismus wirkt der Globalisierung entgegen, weil sie eine starke Bindung zu einer Örtlichkeit und einen Bezug zur Geschichte entwickeln. Die Antwort der Lyriker auf die Globalisierung liegt in der Anthologie »Die inneren Fernen« in der Vertiefung der eigenen historischen Wurzeln.

    Der Literaturbetrieb gleicht einem Adler, der mit gebrochenen Füßen in die Lüfte steigt, die ihm jedwede Landung verwehren. Heutzutage scheint Literatur der Inbegriff des Fragmentarismus, der unsere Zeit ansteckt, dadurch charakterisiert und die typisch fin-de-siècle-belastete Verwirrung und Fassungslosigkeit der Methoden bzw. existentiellen Werkzeuge zum Ausdruck bringt. Diese Autoren wagen, jeder auf seine Art und Weise, eine Berufung der Methode einzulegen, indem sie eine Berufung der Rhetorik heraufbeschwören. Die alten Fragen der Literatur bleiben erhalten, wie etwa die nach dem Geschlechterverhältnis oder dem Rest Unerklärlichem, das sich der menschlichen Erkenntnis entzieht.

    Deshalb sollte sich die neue Literatur nicht frontal gegen die Religionen stellen. Aber sie muß die sogar bei Atheisten bislang unzureichend ausgebildete Anschauung stärken, daß Moral und Ethik keineswegs nur über religiöse Überzeugungen funktionsfähig werden. Es geht um eine Erweiterung des literarisches Feldes. Es fällt auf, daß manche lyrische Innovationen der letzten Jahre aus dem Hinterland kommen, ob aus der Edition YE Sistig in der Eifel, der Landpresse in Weilerswist, der Edition Das Labor aus Bad Mülheim oder der Silver Horse Edition aus Marklkofen, ob Peripherie Zentrum oder Zentrum Peripherie ist, entscheiden die interessierten Leserinnen und Leser mit jedem neuen Gedichtband neu.

    Mein Problem beginnt damit, daß sich die gebotene Vielfalt kaum würdigen läßt. Damit stehe ich nicht allein da, kompetente Buchkritiken werden durch geschmäcklerische Literaturtipps ersetzt. Die seriöse Buchauswahl verschwindet, stattdessen wird alles zur Geschmacksfrage degradiert. Der Markt beeinflußt die Wahl, bestimmt die Vorlieben und etabliert Werte. Selbst wenn Besprechungen nett gemeint sind, steht darin immer etwas, das erkennen läßt, daß nicht begriffen wurde, was die Autoren bei der Schreibarbeit tatsächlich beschäftigt hat. In den seltensten Fällen wird die ursprüngliche Aufgabe des Kritikers noch befolgt, über Literatur zu schreiben, bevor man sie beurteilt. Die Einzigartigkeit von Lyrik liegt, abgesehen von ihrer bestechenden Schönheit, in der Unkenntnis einer prosaischen Realität, die das Herzstück so vieler Bücher der Epoche ausmacht.

    Das beste Beispiel für kritischen Regionalismus ist der Badenser Matthias Kehle. Dieser Lyriker hat eine Reife erreicht, daß er locker in seinen »Fundus« greifen kann. Kehle versenkt sich an oft ungewöhnlichen Erinnerungsorten tief ein in die Psyche des Badischen und entwirft dabei ganz nebenbei eine Kulturgeschichte der versunkenen BRD. Anwesend ist das Abwesende bei Kehle in der Bipolarität der unentzifferten Zeichen. Fesselnde Fiktion lebt vom Spezifischen, er kompiliert klug Zitate aus Forschungs- und Populärliteratur, Reportagen und historische Anekdoten. Als Flaneur entdeckt er auf neuen Wegen das Innere von Karlsruhe und Umgebung. Mit zergliederndem Blick beobachtet er Jogger und Fahrradfahrer. Daß ihm dabei jedes poetische Mittel recht ist und er selbstredend auch den Kalauer nicht verschmäht, demonstriert die Demut und völlige Dünkellosigkeit dieses Lyrikers. Für Proust bedeutet Erinnerung die Suche nach verborgenen Augenblicken des Glücks, für Kehle sind Erinnerungen gleichsam Sammellinsen für lyrische Stoffe. Dieser Lyriker ist ein Fraktalkünstler, das große Ganze setzt er aus eigenen Miniaturen zusammen und spiegelt ein lyrisches Ich in die Welt zurück.

    Die Leser von Lyrik haben nicht den Eindruck einer Unvollständigkeit von Anthologien und einzelnen Büchern, sondern den der Unabschließbarkeit dieser Literaturgattung, die einem Leben und vor allem einem damit engvermählten Werk angemessen ist, die gleichermaßen durch ungewöhnliche Komplexität wie durch untergründige Verbindungen gekennzeichnet sind. Nachzulesen in den hervorragend ediertem Bänden der „Versnetze_. Deutschsprachige Lyrik der Gegenwart“. Jedes Jahr wählt Kutsch, die repräsentativsten und die singulärsten Gedichte aus. So entsteht ein weit gespannter Überblick zur aktuellen Lyrik, und zugleich ergeben sich neue Perspektiven von experimenteller Poesie über Naturlyrik bis zur jungen Dichtung. Auf die Frage, ob man als Herausgeber von Lyrik-Anthologien ein Masochist sein muß, antwortet der Lyriker Axel Kutsch: »Im Prinzip nicht. Aber es bleibt kaum aus, daß man im Laufe einer langjährigen Herausgebertätigkeit zum Masochisten wird. Es spricht sich schnell in Deutschland herum, wenn irgendwo seriöse Anthologien ediert werden, also Sammelbände, bei denen die Autorinnen und Autoren sich nicht finanziell zu beteiligen brauchen und ebensowenig zu Mindestabnahmen genötigt werden. Und dann hagelt es schon bald Gedichte. Manche Einsender schicken wenige Texte, andere 40 bis 50, obwohl in einer Anthologie bestenfalls ein paar Beiträge pro Autor veröffentlicht werden können. Es ist dann auch haufenweise lyrischer Schrott darunter, für dessen Lektüre man eigentlich Schmerzensgeld erhalten müßtet. Aber als engagierter Herausgeber liest man alles bis zur letzten Zeile, ärgert sich, daß so viele Dilettanten sich offenbar für Dichter halten und legt den Kram ad acta: nicht verwendungsfähig. Ja, so wird man allmählich zum Lyrikmasochisten, in den Augen der Dilettanten wohl eher zum Sadisten, weil man von ihnen nicht mal einen Dreizeiler veröffentlicht. Allerdings bleiben immer genug annehmbare bis hervorragende neue Gedichte auch weniger bekannter Verfasser übrig, mit denen man Jahr für Jahr lesenswerte und niveauvolle Anthologien füllen kann. Da kommt Entdeckerfreude auf, die für den vielen Schrott entschädigt.«

    In seinem Band »Stille Nacht nur bis acht« verknüpft der Lyriker Axel Kutsch Assoziationen zu einem Bewußtseinsvorgang, der zwischen den Zeiten vermittelt, das Vergangene hervorholt, Träume realisiert und so Gedanken ins Sprachbild bringt. Es ist diese offene Form des Schreibens, die ihn immer am meisten interessiert hat. Eine offene Form, die sich selbst bildet. Vielleicht versteht man seine Gedichte am besten, wenn man als Lesemodell das Parodiekonzept Peter Rühmkorfs in Anschlag bringt, der postuliert hat, die Parodie müsse ihren Gegenstand dialektisch vorführen, ihn eben nicht nur ironisch in Frage stellen, sondern ihn auch aufheben, aktualisieren und somit weitertradieren. Darum scheint es auch diesem Lyriker zu gehen, wenn er sich den Charme, die Suggestivkraft und den poetischen Glanz dieser anachronistischen Sprache mit stupendem stilmimetischem Talent anverwandelt. Kutsch entwirft das Bild einer chaotischen Welt, aus der einen keine Geschichtsphilosophie, Meta-Erzählung oder Religion retten kann und feiert in seinen Gedichten gerade deshalb die Freiheit des Einzelnen.

    In der Bedeutung des Lehnworts aus dem Französischen, wo der "amateur d' art" den kenntnisreichen, enthusiastischen Liebhaber der Künste meint, bin ich ein Dilettant.

  • Lyrik wäre nach allen ökonomischen Gesichtspunkten schon immer zum Aussterben verurteilt gewesen, und trotzdem hält sie sich nach wie vor, notfalls eben in der Form der Samisdat. In der Silver Horse Edition präsentiert Peter Ettl so unterschiedliche Lyriker wie Michael Arenz, Maximilian Zander, Michael Hillen, Christa Wisskirchen, Frank Milautzcki, Matthias Kehle, Axel Kutsch oder Theo Breuer. Die große Gabe von Theo Breuer, die ich in dessen Gedichtbänden »Nacht im Kreuz« und »Wortlos« erlebe, ist es, das, was ich lese, wie soeben geschehen aussehen zu lassen. Immer wieder gibt es diese Momente in seinen Gedichten, Szenen, die sich im Gedächtnis festsetzen, die nicht verlierbar sind - eine Art Triumph des Gedichts. Der Strippenzieher aus dem Hinterland über seine Zusammenarbeit mit dem Herausgeber Peter Ettl:

    „Als Peter Ettl 2006 mit dem Vorschlag an mich herantrat, einen Gedichtband in seiner neuen Lyrikreihe herauszugeben, reagierte ich zunächst abwartend. Ich hatte gerade die Herausgabe der Monographie »Aus dem Hinterland. Lyrik nach 2000« hinter mir, und mir war überhaupt nicht nach einem weiteren Buch. Ich bat um Bedenkzeit und schlug Axel Kutsch vor, bei dessen Band »Stille Nacht nur bis acht« ich das Lektorat übernahm. Das war gleichsam Initialzündung sowohl für meinen Band als auch die seitdem immer intensiver gewordene Zusammenarbeit, die 2009 in einen zweiten Band von mir in der Reihe mündete und die ich nicht mehr missen möchte. Peter Ettl ist ein gefühlvoller und zuverlässiger Herausgeber, in dessen katzenumsprungener Silver Horse Edition ich mich sauwohl fühle, zumal die Lyrikreihe von Band zu Band an Format und Profil gewinnt.“

    Theo Breuer läßt es laufen, er überläßt sich den Wörtern, er improvisiert, das Kalkül kommt erst viel später ins Spiel. Souverän knüpft er damit in seinem Band »Nacht im Kreuz« an die literarischen Avantgarden des 20. Jahrhunderts, stellvertretend sei „verinnerung an oskar p.“ genannt. Was im Lehrbuch steht, ist nur ein Ausschnitt aus der Literaturgeschichte. Lyrische Figuren haben ihr eigenes Leben, auch ihre eigene Vorgeschichte. Sie schwingt mit in den Zeilen, grundiert die Handlungen. Theo Breuer komplettiert seine Vorstellung von der lyrischen Moderne. Er entwirft, basierend auf der Literaturgeschichte, eine Art von Lyrik, die über diese literarischen Vorlagen hinausreicht. Die große Gabe von Theo Breuer ist es, das, was man liest, wie soeben geschehen aussehen zu lassen. Immer wieder gibt es diese Momente in seiner Lyrik, Szenen, die sich im Gedächtnis festsetzen, die nicht verlierbar sind - eine Art Triumph der Literatur.

    Ist Lyrik ›schwierig‹?

    Als ein Genre, welches enger als jede andere literarische Gattung an Klang und Rhythmus von Sprache gebunden sind, sind Gedichte für den Laien bisweilen schwer zu be/greifen. Gedichte sind allerdings auch kein Kreuzworträtsel, welches es zu lösen gilt. Wirtschaftlich betrachtet, ist Lyrik per se glatter Unsinn, aber Betriebswirtschaft ist im Leben eben nicht alles. Und so haben Lyrikeditoren wie die Peter Ettls besonders schwer und besonders leicht zugleich: „Es ist halt alles relativ“, wie es in Ödon von Horvaths Stück »Italienische Nacht« immer wieder heißt.

    Die Lektüre des zweisprachigen Bands »Inseln - Isole« zeigt, daß Peter Ettl mit wenigen Strichen literarische Bilder entwirft, von der Einsamkeit, der Auflösung des Individuums, vom Brachliegen aller erworbenen Fähigkeiten, von der Sehnsucht nach einem anderen Leben, aber auch vom Lebenswillen. Dieser Lyriker will, was alle Dichter wollen, die Conditio humana formal bewältigen und so momenthaft zu transzendieren und vergessen machen. Das Tröstende seines ästhetischen Spiels Versen offenbart sich nachdrücklich. Die verspielte Nonchalance und Unverkrampftheit hält er hoch. Seine Poesie ist die Kunst, auf jede Antwort noch eine Frage zu haben, alles Selbstverständliche unselbstverständlich werden zu lassen. Dieser Lyriker bewerkstelligt es, daß seine Gedichte Bewusstsein und Sendungsbewusstsein haben, daß sie sich fühlen, als hätten sie ein Selbst. Im Grunde handelt Ettls Lyrik stets auch von den anderen, um von sich selbst zu sprechen. Und dies vom Sehnsuchtsland rückgespiegelt zu bekommen hat seinen ganz eigenen Charme.

    Mit seinen Gedichten bewegt sich Wolf Doleys im Widerspruch zum Literaturbetrieb, er will den Ursprung, er will sie jedoch bewußt. Das hat die Konsequenz, wenn er sich schreibend über die Verse beugt, die Unschuld immer schon verloren ist. Doleys Gedichtband »ins blaue springen«, enthält bereits im Kern die späteren theoretischen Überlegungen, seinen Kampf gegen das Kleinbürgertum und die Konsumgesellschaft, wird hier zur lyrischen Klammer, die sein Denken zusammenspannt. Manchmal scheint es, als wolle dieser Autor in der Entwicklungsgeschichte des lyrischen Ichs die Welt an den Enterhaken nehmen. Das Schreiben ist für Doley immer auch die Emanzipation von der papiernen Welt, ist das Verlassen des akademischen Kreislaufs, der zyklisch strukturierten Welt, ist das Hineingehen in die Linearität und damit der Eintritt in die Geschichte. In »Entfant perdu« packt der vielseitige Intellektuelle Doleys sein avanciertes Wissen und seine klugen Reflexionen zum Thema „linke Utopie“ in ein Form und stöbert in einem Metaphernhaushalt der viele Facetten des Zeitgeistes aufweist. Seine Beschreibung dieser Experimente ist in ihrer Klarheit hinreißend und schient ein fernes Echo auf Ernst Blochs »Das Prinzip Hoffnung« zu sein. Wenn man seine Essays liest, meint man, die Moderne beginnt, wo der Ursprung, die Herkunft historisch und zugleich vergessen wird; sie leugnet die Verwurzelung in ewig gleicher Überlieferung und behauptet eine Geburt aus eigener Kraft. Doley pustet den Denkerstaub von Intellektuellen beiseite, die den Vogelflug einer vergänglichen Idee mit der unvergänglichen Faktizität der Geschichte verwechseln. Hier ist ein Eigendenker zugange, der den stilistischen Posaunenton als spätexpressionistisch entlarvt. Seine Essays sind vagabundierende Gedankenzüge, anregend und schillernd, immer geistreich und nie langweilig. Doley ist ein Fischer am Ufer der Kulturgeschichte. Unermüdlich zieht er sein Netz durch den Strom der Überlieferung, und geduldig fängt er ungewöhnliche Gedanken ein.

    Wie schon in dem Band „kindheit und kadaver“ verfügt Holger Benkel aus Schönebeck (bei Magdeburg) auch in seinem Band »meißelbrut und andere gedichte« über kulturelle Deutungsmuster und Übersetzungsmöglichkeiten, die anderen fehlen. Für diesen Lyriker leuchtet die Devise einer abfallgeplagten Epoche auch als Lebensdevise ein. Seine Biographie erscheint als Zwischenexistenz, als interkulturelle Existenz, aber sie dient ihm der produktiven Herausforderung und nicht irgendeiner 'Verostung'. Für jemanden, der auf dem Land zu Hause ist und der die Welt der Arbeit ganz genau kennt, der Schreibkrisen hinter sich hat und erst spät entdeckt wurde, scheint das Bild des Außenseiters wie geschaffen. Kein Buch ist für Autoren riskanter als eines, das Gefahr läuft, zu hastig gelesen zu werden. Die Gedichte von denen hier die Rede ist, behandeln einen großen, weitläufigen und einschüchternden Gegenstand, da kann Eile alles vernichten. Sorglichkeit, scheint mir, hat Benkels Umgang mit der Sprache geprägt. Das einzelne Wort, und sei es das harmloseste, besitzt bei ihm einen eigenen Wert, ist unersetzlich und kostbar. So kam er mit immer weniger Sätzen aus, und sie hatten ein immer größeres Gewicht. Der Glanz, der unvergleichliche Klang seiner Gedichte nährt sich aus dieser Ehrfurcht vor dem einfachen Wort. Seine Gedichte kreisen oft in parabolischer Form um den Tod. Bei Holger Benkel sind Selbstwahrnehmung und öffentliches Rollenklischee schon früh miteinander verschmolzen. Jeder Dichter scheint eine ihm eigene Welt zu bewohnen mit einem ihm eigenen Mobiliar, seiner Poesie. Das Typische an der Poesie von Holger Benkel liegt im eigenen Klang. Seine Gedichte verlangen nach einer alle Sinne mit einbeziehenden Lektüre, um in ihrem vollen Gehalt erfasst zu werden; sie erfordern Respekt und Ruhe. Der Magdeburger Börde, in der er geboren wurde, hält er bis heute die Treue. Auch die meisten Bewohner seiner Kreisstadt haben sich inzwischen arrangiert mit dem schreibenden Nachbarn. Mit seinen Gedichten hat er dort Fährten eingezeichnet, die nicht so schnell verblassen dürften. Von westlichem Verschwörungsdenken ebenso weit entfernt wie von östlicher Zerknirschtheit, betreibt er beinahe eine Archäologie der Lebens– und Seinsformen in der ehemaligen DDR und im Nachwendedeutschland. Er wirft einen genauen Blick auf existenzielle Grenzbereiche und Überschreitungen zwischen der sinnlichen Anschauung und der Halluzination variieren Motive der Todesmystik. Seine expressionistischen und surrealen Kunstgriffe sind keine Stilübungen oder Zitate, sondern auf einer anderen Eben zugleich Schilderungen des Erlebten. Besonders die darin dominierende Schwermut, das Dunkle und Lebensuntüchtige manövrieren den Leser mitunter an den Rand sichtlicher Erschütterung. Die literarische Gestaltung gesellschaftlicher Zustände und Prozesse kann indes beinahe nur gelingen, wenn man sie sich nicht dauernd vornimmt, sondern vielmehr aus der eigenen Erfahrung heraus schreibt. Wichtig sind für Holger Benkel Momente, die er weniger zu fixieren als vielmehr zu finden trachtet. Dabei werden sie zu einer existenziellen Erfahrung, die in einer anderen als der gefundenen Formulierung nicht aufzuheben ist: als Denkprozesse mit und in der Sprache. Diese zeugt Unterwelt und zeigt damit auf Welt, mythologisches verbindet sich mit Alltäglichem, in immer neuen Anläufen und Konstellationen und jedes Mal wieder auf völlig überraschende Weise.

    In der Bedeutung des Lehnworts aus dem Französischen, wo der "amateur d' art" den kenntnisreichen, enthusiastischen Liebhaber der Künste meint, bin ich ein Dilettant.

    Einmal editiert, zuletzt von Matze (24. Januar 2010 um 14:02)

  • Töricht, sagt Hebbel, wer vom Dichter Versöhnung der Dissonanzen verlangt. »Aber allerdings kann man fordern, daß er die Dissonanzen selbst gebe.« Sprachdichte hat noch eine andere Dimension, eine tiefer gehende Eindrücklichkeit, kann durch scheinbar unlogisches Ineinanderschieben von Erlebnis–, Gedanken– und Klage–Ebenen das Lot tiefer senken. Da erreicht es uns, „magisches Spiel in einem magischen Raum“ – uns, die wir trotz aller Warnungen des Romanciers eben doch annehmen, Literatur sei wichtiger als eine Aktie. Francisca Ricinskis Blütenpapierprosa kennt wohl die Frage, aber nicht die Antwort, es sei denn Hölderlins „Was bleibet aber, stiften die Dichter“. Manches mag dann weniger werden und vieles uns abhandenkommen, die Dichtung aber bewahrt es, indem das Verlorene zur Kunst wird. Verklärung ist nicht die Sache von Francisca Ricinski, jedoch die Entdeckung von Schönheit noch in den winzigsten Gegenständen und Gesten. Die inzwischen im Rheinland beheimatete Francisca Ricinski hat nie versucht, den sprachlichen Modismen zu folgen. Der sicherste Weg ins Unmoderne ist, das Moderne zu pflegen, weil man das morgen nicht mehr hören kann. Anhaltspunkte aus der menschlichen Wirklichkeit. Ihre Figuren sind in das Mahlwerk einer übergroßen zerstörerischen Macht geraten. Sie haben überlebt, doch nun sind ihnen Bilder eingebrannt. In zahlreichen, oft kaum merklichen Rückblenden eines zurückhaltenden Erzählers macht sich der Klammergriff bemerkbar, in dem diese Bilder die Gegenwart halten. Unbekümmert, mit feinem stilistischem Gespür mischt sie Genres, verbindet Analysen mit Impressionen, gleitet vom Heute ins Gestern und wieder zurück. Francisca Ricinski schreibt präzise und sensibel, sie versteht es, die große Geschichte mit der kleinen zu verschränken, das Persönliche ins Allgemeine laufen oder besser: stürzen zu lassen. Wenige Skizzen reichen ihr, ihren Protagonisten ein persönliches Antlitz zu geben. Nichts scheut sie so sehr wie das Pathos des Individuellen, die Überfrachtung der Poesie mit Unmengen von Privatem, auf das der Leser auch ja verstehe, welch einzigartiger Mensch da verloren geht. Aufdringliche Privatmythologie ist ihre Sache nicht, die Texte bleiben schlank. Es gibt bei ihr eine Einfachheit der Sprache, eine Natürlichkeit der Dialoge, die den Abstand zur Literatur geringer erscheinen lässt. Dabei müssen die Menschen nicht unbedingt so sprechen wie „im richtigen Leben“. Aber man spürt, daß die Worte, Sätze, die Francisca Ricinski für sie schreibt, ihnen entsprechen.

    Peter Engstlers Gedichte wenden sich radikal sich gegen alle gesellschaftlichen Normierungen, gegen den ganzen Literatubetrieb und dies auch ausdrücklich auch orthographisch, provozierend mit einer verwegenen Verknäuelung von Hybris und Demut, Tiefsinn und Posse. Seine Lyrik streift das Ephemere von den Momenten und Gelegenheiten, die sich dem dichterischen Zugriff bieten, fast vollständig ab und führt sie in Augenblicke glasklarer Beobachtung über. Ohne Rücksicht auf soziale Rituale und Reglements bricht Peter Engstler verkrustete Strukturen auf. Dieser Autor interessiert sich gleichermaßen für die Wirklichkeit, die Psyche und das Unbewusstsein, hier sucht er nach der letzten Wahrheit. Seine Texte entäußern die innere Bewegung und verinnerlichen zugleich das Äußere. Schon früh hat sich dieser Autor in das Biosphärenreservat an die Rhön zurückgezogen. Den vulkanischen Ursprung dieses Gebirgszugs ahnt man ebenso als Bodensatz seines Schreibens, wie die offenen Fernen. Aus diesem Hinterland gelingt ihm ein Transfer der Normalität ins Pathetische. Mitunter nicht ohne ironischen Nebenton, der als kritisches Element in seinem neuen Band »Strophen eins« mitschwingt. Es geht in diesem Band um die andere Wirklichkeit, die durch Literatur in die Welt kommt. Diese Lyrik ist kein Selbstzweck, sondern eine klug angelegte, tief gestaffelte Vorrichtung, in das Publikum auf Wortfelder trifft. Behutsam fächert Engstler die Variationen des Blicks auf die Gegenwart auf und lädt dazu ein, das eigene Begreifen als vorläufiges, vergängliches zu begreifen. Dies ist ein Buch voller Lebensweisheit, aber es stellt diese Weisheit an keiner Stelle zur Schau. Es geht in »Strophen eins« darum, den Lesern das Disparate nahezubringen. Mit einfachen Worten: Es geht um prismatische Wahrnehmung.

    In der Bedeutung des Lehnworts aus dem Französischen, wo der "amateur d' art" den kenntnisreichen, enthusiastischen Liebhaber der Künste meint, bin ich ein Dilettant.

  • Drei Schlagworte beleuchten das erste Künstlerbuch von Stephanie Neuhaus: Nüchtern, beobachtend und pointiert. Ihre Kombination von Wort und Strich entzieht sich jeder Ästhetisierung ebenso wie jeder geheuchelten Nähe. Wenn so etwas wie nüchterne Poesie konstatiert werden kann, dann findet man sie in diesem Künstlerbuch. Die Sauerländerin Stephanie Neuhaus verfolgt das Ideal eines Künstlerbuches, in welchem Bilder Texten gegenübergestellt werden, ohne dass sie sich jeweils illustrieren, doch sie ergeben ein folgerichtiges Ganzes. Sie untersucht das Wesen des Schattens in ihren fast spröden Gedichten wie Bildern und lässt den eigentlichen Charme ihrer Poesie erst mit dem letzten Wort zur vollen Entfaltung kommen. Ohne eigentliche dichterische Sprache, ohne die Möglichkeit, sich im Literaturbetrieb zu verständigen, ist sie abhängig von leisen Gesten. Stephanie Neuhaus ist empfindsamer für Signale, ihre eigenen und die anderer. Es liegt etwas Traumwandlerisches in den Bildern von Stephanie Neuhaus, sie erzählen Geschichten, so unwahrscheinlich und widersprüchlich, dass immer, wenn man denkt, sie begriffen zu haben, sich eine neue Geschichte, eine neue Deutung ergibt. Es sind offene Bilder, sie laden ein, darin zu wandern. Was künstlich wirkt, ist so nah an der Natur, dass die Illusion von Leben bleibt. Die Linolschnitte von Stephanie Neuhaus wirken bekannt, irgendwo schon gesehen, aber erst mit dem Rücken eines entblößten Menschen, dem Spiel des Lichts auf der Haut wird man diese Bekanntschaft erkennen. Die schlaglichtartige Ausleuchtung gibt diesem Arbeiten ihre Struktur, formt eine fließende Welt des Schattens, Formuntersuchungen trotzdem, ganz nüchtern protokolliert. Stephanie Neuhaus sucht in ihren Linolschnitten einen grafisch anmutenden Rahmen, ihre Bilder haben Fluchten und Achsen, sie geben dem Blick nicht nur eine Richtung, sondern der Szene etwas bewußt Tableauhaftes, als ob die Artistin das Beschränkte des eigenen Blicks offenlegen wollte. Dieses Erstlingswerk fordert; auch zu kritischer Teilhabe.

    Für den eingebürgerten Rheinländer A.J. Weigoni ist das Buch eine Partitur, die es in Konzerten der Sprache aufzuführen gilt. Mit hoher Konzentration komponiert er eine Elegie über die entzweiende Kraft des Eros. Seine Sprache hat Eleganz und Musikalität, und seine „Letternmusik“ ist voller Weisheit und Humanität. Wer sich die Mühe macht, die Gedichte laut zu lesen – was für diese Gattung eigentlich generell zu empfehlen ist – merkt schnell, mit welch unglaublicher Präzision und Raffinesse sie rhythmisiert sind. Das Spielen mit Wörtern und das Verschieben der Semantik mit anderen Worten generiet eine Worterotomanie, Linguistik als tanzbares Mantra. Eine Musik aus Buchstaben komprimiert: Polyphonie aus Silben und Wörtern, absolute Musik wie beim späten Monteverdi als Äquivalent für das, was mit Sprache den eigenen Beschädigungen und denen der Welt um diesen kleinen Ich–Mittelpunkt herum entgegengestellt werden kann. Die Rettung hinein ins kulturelle Gedächtnis, auch wenn der Anteil auch noch so gering ist. Für einen Moment nur, über die Konventionen unserer Vorstellungen von Lebenszeit hinaus gedacht, sich an einem bestimmten Punkt in die große Gleichzeitigkeit der Künste eintragen zu können, ist das unbescheidene Sehnsuchtsziel für A.J. Weigoni. Rhythmisch, lautmalerisch und konsonantenreich macht er Sprache als Material sichtbar. Ihm gilt seine unablässige Aufmerksamkeit: die Sprache, die vor ihm denkt und aus ihrem magischen Ursprung ihre Kraftlinien und Rhythmen mitbringt, ohne die kein dichterischer Text möglich wird. In der Bereitschaft des Lyrikers, sein Schreiben ihrer Eigenbewegung, ihrem Atem zu überantworten, ist Sprache nicht mehr nur Mitteilung oder Aussage; sie wird Evokation, wird eine Dimension von allem Geschehenden selbst, eine Dimension der Bilder, die aus der Erinnerung aufleuchten. Seine Gedichte sind präzis gearbeitete Vexierbilder, die ihre unterschiedlichen Seiten schon beim ersten Anblick erspüren lassen, um dann, bei genauerer Betrachtung, eine Tiefenschärfe bis in ihre filigrane Technik hinein zu entfalten. Diese Gedichte sind ein Sprach-Spiel mit der Aufforderung zum Mitspielen.

    Die sogenannte Provinz ist keine literarische terra incognita, kein weißer Fleck in den Atlanten der Lyrik mehr. Die Bewahrung der Poesie gewinnt für die blank generation in genau dem Moment einen historischen Sinn, in dem das Tragische seines Lebens und das der Geschichte miteinander verschmelzen. Dies ist nicht zuletzt nachzuvollziehen auf der von Michael Gratz in unermeßlichem Sammlerfleiß erstellten lyrikzeitung, die den umfassendsten Überblick über das lyrische Geschehen gibt. Gratzs Führung durchs Labyrinth der lyrischen Welt ist bewundernswert, und es fehlt dabei auch nicht an Hinweisen auf den intellektuellen Kontext, in dem sich das Leben, Denken und Dichten abspielt. Hervorragend ergänzt wird die lyrikzeitung von Andreas Heidtmanns stilvoll edierten Poetenladen. Als Herausgeber scheint er eine Art Universalpoesie im Sinn zu haben. Der Poetenladen soll weder in den Klappkasten der schöngeistigen noch der engagierten Literatur passen, hier spiegelt sich die deutschsprachige Gegenwartspoesie in all ihren Facetten und Spielarten. Nimmt man ergänzend den von Shafiq Naz edierten Lyrikkalender dazu, stellt man fest, daß wir in geistig in guten Zeiten leben, so aufregend war deutsche Lyrik seit dem Barock nicht mehr. Die fragilste der literarischen Formen gilt gemeinhin als deren teuerste, und dies im doppelten Sinn: Die Randständigkeit der Lyrik abseits des ökonomischen Gewinns steht in direkter Proportion zu der hohen symbolischen Wertschätzung, mit welcher man sie bedenkt. Lyrik scheint ein Gut zu sein, das zugleich sein eigener Marktpromoter ist. Wenn es gut geht, schafft sich Lyrik eine Gesellschaft, die bereit ist, sie am Leben zu erhalten.

    Links:
    http://www.silverhorseedition.de
    http://www.poetenladen.de
    http://lyrikzeitung.wordpress.com/
    http://www.alhambrapublishing.com/
    VerDichtung – Über das Verfertigen von Poesie: http://www.vordenker.de/weigoni/verdichtung.htm

    »Entfant perdu« von Wolf Doleys, Edition Lichtenberg, Odenthal
    »meißelbrut und andere gedichte«, Ziethen-Verlag 2009
    »Zug ohne Räder / Trenul fara roti«, lyrische Prosa, rumänisch und deutsch von Francisca Ricinski
    Editura Fundatiei Culturale Poezia
    Iasi/Rumänien 2008
    ISBN 978-973-881139-5-3
    Peter Engstler, »Strophen eins«, Medien Streu, Ostheim/Rhön 2009
    „Schattenfluss“ von Stephanie Neuhaus in der Edition Das Labor
    »Dichterloh« ist in der LYRIKEDITION 2000 erschienen (ISBN-13: 978-3865200914) und erhältlich über: info@buchmedia.de
    Die Doppel-CD 'Gedichte' von A.J. Weigoni ist erhältlich über: info@tonstudio-an-der-ruhr.de

    In der Bedeutung des Lehnworts aus dem Französischen, wo der "amateur d' art" den kenntnisreichen, enthusiastischen Liebhaber der Künste meint, bin ich ein Dilettant.

  • Seitdem das Internet mit Text befüllt wird, modifiziert sich die Buchkultur zur Schriftkultur. Die digitale Kommunikation des 21. Jahrhunderts verändert unser Denken, Schreiben und Publizieren. Die neue Schriftkultur eröffnet die Möglichkeit, zu analysieren und geschriebene Texte, Bilder und Töne zu vergleichen und fortwährend den neuesten Erkenntnissen anzupassen. Analog zur Erfindung Johannes Gutenbergs eröffnet das Internet neue Möglichkeiten der Verbreitung von Literatur, Kunst und Musik.

    Die Artisten der Edition Das Labor legen ihr gesammeltes diskursives Wissen über Kunst und deren gesellschaftlicher Begleitumstände auf den Tisch. Sie ergänzen sich, streiten und korrigieren sich – und in einigen Fällen entdecken mehrere Artisten in der Vielstimmigkeit der Argumente zugleich eine neue Position. Die klassische Autorschaft ist ebenso perdü, wie der Geniekult des 19. Jahrhunderts. Die Frage lautet nicht, wie das Netz das Denken verändert, sondern wie das künstlerische Denken das Netz formt.

    Die Artisten der Edition Das Labor bewegen sich in einem Niemandsland, einem Freiraum, in dem es keinen politischen oder ökonomischen Druck gibt und keine ästhetische Diktatur. Sie ergründen die Umstände, in welchen Situation Kunst Widerstand sein kann, ohne in opportunistische Kapitalismuskritik zu verfallen. Das Internet lässt sich aktiv statt reaktiv nutzen, es verhilft dem Kunstfreund zu finden, was er wissen möchte. Im Buch gibt es Fußnoten und Intertext, aber keinen Hypertext. Dort muss der Leser alle geistigen Vernetzungen selbst leisten. Das Internet bietet dem User eine andere Form des Umgangs. Die Benutzung von Hyperlinks läßt eine Ausstiegsmöglichkeit. Das Buch hingegen baut einen größeren Druck auf dranzubleiben.

    Die Gründer der Edition Das Labor interessieren sich für Kunst, die nicht illustriert, sondern anders politisch relevant ist, es sind Künstler, die sich für Lebensentwürfe und das Zusammenleben interessieren und nicht für standardisierte Wege. Bei diesem Netzwerk sind grundlegende Werte die Selbsthilfe, Selbstverantwortung, Demokratie, Gleichheit und Solidarität angezeigt. Die beteiligten Artisten vertrauen auf die ethischen Werte Ehrlichkeit, Offenheit, Sozialverantwortlichkeit und Interesse an anderen Menschen. Der Sinn der Edition Das Labor liegt darin, dass sich Künstlergruppen aus unterschiedlichen Regionen zusammenschließen und dem herrschenden Kulturbetrieb etwas Eigenes entgegensetzen. Diese Art zu arbeiten befreit die Gründer der Edition Das Labor von der Massenidentität, die in der globalisierten Gesellschaft entsteht. Diese Artisten machen keine Kunst, um Antihelden einer Subkultur zu sein, sondern vor allem, um die Sinngebung durch Kunst zu retten, um als Individuen zu überleben.

    Der Kulturbetrieb konfiguriert sich neu. Neben den Produktionsorten ‘Tonstudio an der Ruhr’ und der Werkstattgalerie ‘Der Bogen’ in Arnsberg, ist in 2010 als Veranstaltungsort der ‘Kunstraum Krumscheid’ in Linz am Rhein hinzugekommen. Weitere Vernetzungen mit ähnlich arbeitenden Artisten werden angestrebt. Das Sprachrohr der Artisten der Edition bildet die Plattform. Dieses Podium verschaltet das künstlerische Denken und Tun on- und offline sinnfällig.

    Die Konzentration im Kulturbetrieb schreitet im Internetzeitalter rasant voran. Kunst ist eine Ware mit besonderer Aura. Mit der Beschleunigung des Kultur-Betriebs und seiner am Mainstream orientierten Produktion hat sich auch das Feuilleton gewandelt: Konzentrierte sich das Interesse bislang auf den künstlerischen Gegenstand, so scheint zu beginn des 21. Jahrhunderts dessen Personifizierung das Maß aller Dinge zu sein. Über Vermarktungsstrategien streitet man sich bereits, seit Gutenbergs Erfindung des Bleisatzes. Der Markt für anspruchsvolle Innovationen und Entdeckungen hat sich dramatisch ausgedünnt, die Neugier auf Kunst hat in einem beängstigenden Maß nachgelassen. Pop, Glamour und Spaßkultur haben sich vor das Ernstere geschoben. Zerstreuung, Abenteuer, Selbsterfahrung, Internet verbauen den Blick auf das Wesentliche, das wir benötigen, wenn viele dieser Phänomene ihre Anziehungskraft verloren haben. Buchhändler verlangen Werbekostenzuschüsse, damit Bücher überhaupt in der Auslage präsentiert werden, die Presse ist immer stärker von den Anzeigen der Großverlage abhängig, deren Bücher sich immer ähnlicher werden und die Literaturkritik ist auf den Hund gekommen. Umgeschriebene Waschzettel beleidigen die Leser genauso wie redaktionelle Inhalte, die an Anzeigen geknüpft sind.

    Informationen sammeln, konzentrieren und als gebündeltes Wissen wieder an die Nutzer weitergeben - das ist der Mechanismus, der die Konzentration des künstlerischen Netzwerks vorantreibt. Als Werkzeug dient die Edition, eine Frischluftzufuhr für den Kulturbetrieb, eine Transparenzinitiative, die Meinung unzensiert "liefert". Kultur ist als Unterhaltung, genauer: die Anstrengung des Begriffs und Arbeit am Gegenstand. Die Artisten der Edition Das Labor nehmen den Vertrieb ihrer Produkte selbst in die Hand.


    Link: http://editiondaslabor.blogspot.com/

    In der Bedeutung des Lehnworts aus dem Französischen, wo der "amateur d' art" den kenntnisreichen, enthusiastischen Liebhaber der Künste meint, bin ich ein Dilettant.

  • Nach dem erfolgreichen Auftakt der Reihe mit dem “Heimspiel” von Klaus Krumscheid und einer Lesung von Andreas Noga steht am 19. Februar ab 17.00 Uhr die nächste Veranstaltung ins Haus, bzw. das Rheintor.
“Keine Einsicht ohne R(h)einsicht” lautet der Titel der Veranstaltung der Artistin Charlotte Kons und des Buchstabenmenschen Joachim Paul.

    Die Vielschichtigkeit der Arbeiten von Charlotte Kons läßt staunen. Man möchte es dem Theaterunternehmer Louis Jacques Mandé Daguerre gleichtun, dieser reichte bei öffentlichen Präsentationen seiner Daguerreotypien Vergrößerungsgläser herum, um das Staunen über die Detailtreue dieser Bilder noch weiter anzuheizen. Was sich in ihren bisher bekannten Arbeiten und auf anderen künstlerischen Feldern dieser vielseitigen Artistin angedeutet hat, nimmt Kons in den aktuellen Bildern auf, das konsequente Spiel mit Form und malerischer Komposition. Die Photos zu „Keine Einsicht ohne R(h)einsicht“ bildet einen Kontrapunkt jenseits des von den Polen Form und Inhalt abgesteckten Feldes in dem sie sonst operiert. Kons stellt eine weit verbreitete Vorstellung von Photografie in Frage: Als ein Spiegel der Wirklichkeit gebe sie wieder, was einmal tatsächlich so gewesen sei. Alfred Stieglitz zählte auch zu den ersten Photografen, die das Medium aus dem Dienst der Realitätswiedergabe zu befreien suchten; seine meditativen Wolkenstudien, „Equivalents“ genannt, kann man als impressionistische Stimmungsbilder deuten, die den Himmel als Projektionsfläche nutzen. Gerade durch ihren genauen Blick wird deutlich, wie zentral für Kons Arbeiten sonst Themen und Inhalte sind. Diese Artistin variiert ihre künstlerische Positionen mit starker Geste: die Flüchtigkeit aller Dinge. Die Assoziationen im Kopf des Betrachters angesichts dieser Ambivalenzen verselbständigen sich. Fügt sich ein Gesamtbild zusammen?

    Die Photos zu „Keine Einsicht ohne R(h)einsicht bewegen sich zwischen einem rheinischen Formalismus und persönlich gehaltenen Serien. Es entsteht ein Feld, das man angesichts seiner Nüchternheit, wenn nicht gar Leere nur mit Zögern ein Bild nennen möchte. Kons erbringt mit dem Einblick in ihr aktuelles Forschungslabor den Beweis für die Lebendigkeit ihres Werks. Ihre Bilder reflektierten mit dokumentarischer Coolness eine postmoderne, dem ökonomischem Kalkül völlig unterworfene Lebenswelt, dabei geht es nicht um Beanstandung, sondern um Bestandsaufnahme. Dies verleiht ihren Aufnahmen die Aura und das poetische Pathos. Photografische Wirklichkeit muß, mit allem was daraus folgt, auf dem Adjektiv betont werden. Alle diese Bilder sind dazu gemacht, unseren Blick auf hintersinnige Weise zu verführen und hierbei den Glauben an eine ins Bild getretene Wirklichkeit grundlegend zu irritieren. Und vor allem sind sie eine Aufforderung, bei Betrachtung der Photografie doch noch einmal ein Vergrößerungsglas zur Hand zu nehmen.

    Homme de lettres

    Wer dem Wort zugetan ist – und damit der Sprache, dem Geist und der Vernunft der darf mit Fug und Recht Buchstabenmensch genannt werden. Von einem Homme de lettres erwartet man ebenso wie vom Scharfrichter, daß er sich ständig entschuldigt. Dieser muß Abbitte leisten, weil er zu tödlich ist, jener, weil er nicht tödlich genug ist. Joachim Paul setzt sich bewußt mit seinen Essays zwischen die Stühle, weil er gegen den intellektuellen Mainstream bürstet. Er weist damit den Verdacht zurück, seine Essays seinen zu klein und zu nebensächlich, eine seltsame, irgendwie veraltete Form des Journalismus. Seine Essays sind kein langer Roman, auch keine wissenschaftliche Abhandlung, im Idealfall aber verbindet er die Qualitäten der Gattungen. In seinen Essays geht die abstrakte Reflexion mit der einnehmenden Anekdote einher, er spricht von Gefühlen ebenso wie von Fakten, er ist erhellend und zugleich erhebend.

    Versuchsplattform für sein Schreiben ist der vordenker.de. Gegründet wurde dieses Forum von Joachim Paul in der Mediensteinzeit 1996. Zuverlässig versammeln sich dort Dichter und Denker. Joachim Paul erforscht Gebiete, die über den Rand der Buchstaben und Texte hinausreichen. Sie dehnen sich in gewisser Weise indes sogar über die Grenzen von Geist und Vernunft hinaus aus. In der Tradition Montaignes versteht er den Essay als Versuch, gibt diesem aber den naturwissenschaftlichen Sinn des Experiments, der experimentellen Versuchsanordnung und zugleich die existenzielle Bedeutung des Lebensexperiments und vertieft beides so ins Abgründige, dass aus dem Versuch sowohl die Versuchung wie der Versucher und das Versucherische sprechen. Welche labyrinthischen Gedankengänge bei diesem Auswahl– und Transformationsprozess durchlaufen werden, wie schnell ein brauchbarer Gedanke zu Abfall und Nebensächliches fruchttragend werden kann, beschrieb Joachim Paul in seinen Essays.

    http://www.vordenker.de

    Eine Werkschau von Joachim Pauls Arbeit als Musiker findet sich unter: http://www.vordenker.de/metaphon.htm

    19. Februar ab 17.00 Uhr im Rheintor, Linz

    In der Bedeutung des Lehnworts aus dem Französischen, wo der "amateur d' art" den kenntnisreichen, enthusiastischen Liebhaber der Künste meint, bin ich ein Dilettant.

  • Wie kaum eine andere Werkstattgalerie in Deutschland hat ‘Der Bogen’ immer großen Wert auf die handwerkliche Erarbeitung von Künstlerbücherm gelegt. Von den Materialbüchern des Jürgen Diehl, über die »Schland-Box« von Peter Meilchen, bis hin zu den Haimo Hieronymus und A.J. Weigonis Erkundungen über die Möglichkeiten der Linie zwischen Schrift und Zeichnung findet sich eine Vielfalt des Ausdrucks, die ihres Gleichen sucht.

    Diese Tradition wird nun fortgesetzt durch Stephanie Neuhaus mit ihrem neuen Künstlerbuch. In »Fund a Mente« geht Stephanie Neuhaus einen Schritt weiter, nutzt Zinkplatten als Hochdruck und beschränkt sich konsequent auf die Trennschärfe zwischen Schwarz und weiß. Der Titel verweist darauf, dass die Grundlagen der Betrachtung schwankend geworden sind, was bleibt sind Schnitte und Ausschnitte. Der Betrachter konstruiert seinen Sinnzusammenhang selbst.

    Das gebrochene Schwarz der Drucke lässt das neue Künstlerbuch authentisch erscheinen, denn überall könnten diese Brüche entstehen. Mit der Zeit ‚liest’ man sich sogar in diese eigene Ästhetik ein.

    Die kurze Form ist auch Haimo Hieronymus einen Versuch wert. Seine sprachlichen »Miniaturen« gehen ins Aphoristische. Als Sprach-Bildner prägt Haimo Hieronymus visuelle Sprachskizzen, Polaroids der Erinnerung. Und dies in Form eines Künstlerbuchs, das über die Edition Das Labor bestellt werden kann.

    Am 19. Merz wird Haimo Hieronymus aus den „Miniaturen“ und seinem neuen Künstlerbuch „Aquatik“ ab 17.00 Uhr im Rheintor, Linz lesen.


    »Fund a Mente« von Stephanie Neuhaus in der Edition Das Labor 2011

    »Aquatik« von Haimo Hieronymus in der Edition Das Labor 2011
    »Miniaturen« von Haimo Hieronymus in der Edition Das Labor 2009

    In der Bedeutung des Lehnworts aus dem Französischen, wo der "amateur d' art" den kenntnisreichen, enthusiastischen Liebhaber der Künste meint, bin ich ein Dilettant.

  • Die Deutsche Kritik neigt dazu, klüger als die Kunst sein zu wollen. Sozusagen die Kunst und noch etwas mehr. Dabei ist sie natürlich immer weniger, sie reduziert das Vieldeutige, kappt den semantischen Überhang, indem sie es auf einen Nenner bringt. Auch wenn sich die Kritik selbst künstlerisch gibt, praktiziert sie Reduktion, sie schließt aus. Die Überheblichkeitsgeste der Kritik ist ihre Kompensation dieses Umstands. Sie weiß das naturgemäß selbst, und sie ärgert sich grün vor Neid. Deshalb auch oft dieser Furor sowohl des Verrisses wie des Lobs. „Ist doch nur Kunst!“, könnte man dagegenhalten, tut doch keinem weh. Aber in beiden Fällen sind es Machtdemonstration, die umso forcierter ausfallen, je deutlicher der Kritiker dem Künstler zu verstehen geben will, daß er den längeren Füller hat. Insofern steckt noch in der größten Laudatio ein Kern Verachtung.

    Dies zu ändern ist im Jahr 2001 der Kunstförderer Ulrich Peters angetreten und hat mit dem „Hungertuch“ einen Künstlerpreis gestiftet, der in den zehn Jahren seinen Bestehens von Künstlern an Künstler verliehen wurde. Es gibt im Leben unterschiedliche Formen von Erfolg. Zum einen gibt es die Auszeichnung durch Preise und Stipendien, zum anderen die Anerkennung durch die Kolleginnen und Kollegen. Dies manifestiert sich in diesem Künstlerpreis mit spielerischer Leichtigkeit.

    Die Sprache ist die stärkste Klammer, die uns zusammenhält. Ein starker Zusammenhalt angesichts der Vielfalt der geäußerten Ansichten über Sinn und Zweck des künstlerischen und kulturellen Lebens. Kants Kritik der Vernunft muß im 21. Jahrhundert zu einer Kritik der Kultur werden. Es liegt nicht ausschließlich an den Artisten, sie aber müssen gegen den Nivellierungstrend andere Maßstäbe setzen. Künstler wie Barbara Ester, Tom Täger, Peter Meilchen, Tom Liwa, Haimo Hieronymus, Manuel Quero, Almuth Hickl, Holger Benkel, Katja Butt, Pia Lund, A.J. Weigoni, Thomas Suder, Peter Engstler, Woon–Jung Chei, Denise Steger, Joachim Paul und Eva Kurowski pflegen die Kunst des Möglichen – desjenigen Möglichen, das Wirklichkeit werden kann.

    Bei aller Abgeklärtheit und Reife sind diese Artisten ein Leben lang Wahrnehmende mit der Fähigkeit, das Wunderland des Konkreten täglich neu zu entdecken: kommunikativ, intellektuell, kreativ, emotional. Wie die Forschung sind sie bereichernd für die subjektive Entwicklung und für die Visionskraft der Gemeinschaft. Sie führen eine Debatte für die gesellschaftliche Wertschätzung der Arbeit von Künstlerinnen und Künstlern – auch und gerade dann, wenn die Ergebnisse unbequem sind und uns herausfordern, irritieren oder schockieren.

    Die Dokumentation zum Künstlerpreis erscheint mit einem Originaldruck von Haimo Hieronymus bei der Edition Das Labor, Mülheim 2011

    Zu den Würdigungen im Einzelnen: http://www.vordenker.de/hungertuch/index.html

    Ein Essay zum Preis: http://www.bookrix.de/_title-de-matt…hungertuch-8220

    Dateien

    In der Bedeutung des Lehnworts aus dem Französischen, wo der "amateur d' art" den kenntnisreichen, enthusiastischen Liebhaber der Künste meint, bin ich ein Dilettant.

  • Matze: Eine schöne, vermutlich auch notwendige Initiative, danke für den Hinweis. #daumenhoch# Und Deinem ersten Abschnitt über die Kritik(er) kann ich nur zustimmen. Habe das selbst wiederholt beobachten (und auch erleben) "dürfen".


    Wer will, findet einen Weg. Wer nicht will, findet Gründe. (Götz Werner)

  • Die ersten Gäste der neuen Veranstaltungsreihe LiteraturClubDüsseldorf (LCD) sind die Berliner Schriftstellerinnen Monika Rinck und Daniela Seel, sowie die Domstädterin Marie T. Martin.

    Die Berlinerin Monika Rinck ist in der jüngeren deutschen Literatur momentan wohl die einflussreichste Dichterin, die neben dem Schreiben von Gedichten, Prosastücken und Essays, immer auch zwischen den Künsten agiert, die zeichnet und performt oder alles zusammen, wie bei der von Monika Rinck mitbegründeten "rottenkinckshow", einem furiosen Bühnenprogramm aus Kunst, Musik und Literatur.

    Die Dichterin Daniela Seel bislang vor allem als die Initiatorin und Möglichmacherin der jungen Berliner Literaturszene bekannt, als Verlegerin des kookbooks Verlages, der inzwischen eine feste Institution geworden ist, stellt in Düsseldorf ihren soeben erschienen Gedichtband „ich kann diese stelle nicht wieder finden“ vor und zeigt hier ihre wichtige, eigenständige poetische Position.

    Die Autorin Marie T. Martin, hat am Leipziger Literaturinstitut studiert und schreibt groteske Prosaminiaturen, Gedichte und Erzählungen. Diesen Frühling hat sie im Leipziger Poetenladen Verlag ihren Debütband Luftpost vorgelegt, aus dem sie am 3. Mai 2011 lesen wird. Sie erzählt darin von Luftpostbriefen sowie von Frauen, die in Kleiderschrank wohnen und von fliegenden Zitronenpressen. Ihre Erzählungen und Prosaarbeiten leuchten die kleinen menschlichen Abgründe genau aus und verblüffen auf eine höchst amüsante und leihtfüßige Art und Weise.


    3. Mai 2011, LCD - LiteraturClubDüsseldorf. Salon des Amateurs, Grabbeplatz.

    Einlass 20:00, (pünktlicher) Beginn: 20:30h, Eintritt: 5 EUR

    In der Bedeutung des Lehnworts aus dem Französischen, wo der "amateur d' art" den kenntnisreichen, enthusiastischen Liebhaber der Künste meint, bin ich ein Dilettant.

  • Ein Formerfinder trifft auf einen Allegorienschöpfer. Als gegenseitig befruchtender Dialog zwischen bildender und lyrischer Kunst sollte man das neue Künstlerbuch »Prægnarien« verstehen. Hieß es früher „Wer nicht hören will, muss fühlen.“, könnte man jetzt einfach behaupten „Wer nicht fühlend sehen will, muss lesen.“

    Idiosynkrasie, schrieb Jürgen Habermas in seiner "Theorie des kommunikativen Handelns", ist privatistisch und irrational. Letzterem zumindest scheinen A.J. Weigoni und Haimo Hieronymus zuzustimmen, wenn sie über ihr neues Künstlerbuch »Prægnarien« sagen, es habe nichts mit Logik zu tun.

    Hieronymus mag das Individuelle des Strichs, empfindet im Glattgebügelten reiner Ideenkunst beliebige Langeweile und gähnende Austauschbarkeit. Weigoni verachtet die Bewertungskultur der Medien. Beide Artisten wollen als Künstler nicht bewundert, sondern in treusorgender Ironie betrachtet werden, ein Augenzwinkern nicht ausgeschlossen.

    Als Formenfinder verknüpft Hieronymus bei dem Künstlerbuch »Prægnarien«
    Drahtzeichnungen von formierten und deformierten Figuren mit Prägedrucken.
    Bilder sind für ihn taktiler Stoff, kein abstraktes Anschauungsmaterial.
    Material, das zerstört werden kann, um es neu zu fügen, andere Gedanken zu
    formulieren, neue Zusammenhänge zu erschließen. Hieronymus zerlegt den Wert
    des Authentischen und differenziert klar nach dem, was anwesend und was
    anschaulich ist. Dabei entsteht ein subtiler Dialog zwischen Bild und
    Betrachter, zwischen Materie und Fügung. Anstatt eines beliebigen Dekors der
    Geschwindigkeit entsteht eine leise Schwingung, eine Vibration in der
    Oberfläche von Bild und Text. Diese fügt das Bild zusammen, nicht Linien
    oder Linienkonstrukte für sich: Sie sind eingebunden in eine Gesamtabsicht
    der Komposition. Aufgelöste Flächen in beständigem Schwingen, im Gespräch
    mit den Lineaturen.

    Weigoni veranstaltet in diesen »Prægnarien« ein furioses Stimmenkonzert aus
    Reimen und Kalauern, den Tücken der deutschen Grammatik und ihren
    Wortzusammensetzungen. Es gibt in diesen Gedichten Buchstaben als etwas
    Hörbares und Buchstaben als etwas Sichtbares. In der künstlerischen
    Auseinandersetzung treffen sich Weigoni und Haimo Hieronymus regelmäßig an
    der Grenzlinie, dort, wo Schrift in Zeichnung übergeht und dort, wo der
    Zeichenstift in die Notate übergeht. Unser Visualisierungssystem benutzt
    Linien, um die Dinge zu begrenzen und damit zu zeigen, dass sie da sind.
    Aber wenn das System nicht weiß, was etwas ist, dann kann es das auch nicht
    erkennen und dir sagen, was es ist. So ergibt sich für den Nutzer des Buches
    die Notwendigkeit der Begreifbarkeit eines Schattens

    Weigoni und Hieronymus gehen daran, dass Exotische zu vereinnahmen und das
    Randständige in die Lyrik des 21. Jahrhundert in Form des Künstlerbuches
    »Prægnarien« einzugemeinden. Ausnahmeweise gaben sie Habermas Recht, die
    Exekutive einer auf den privaten Raum ausgerichteten bürgerlichen
    Distinktionsmaschinerie hört gemeinhin auf den Namen "Guter Geschmack".

    Begleitet werden Weigoni und Hieronymus bei der Veranstaltung in Linz von Philip Bracht. Dieser Posaunist ist Teil der Band accord on bleu, die dieses Jahr die CD Funkreich veröffentlicht hat. Er beschäftigt sich mit Jazz und Funk Improvisationen und geht dabei meisterhaft mit seiner Hupe um. Durch die absolute Spielfreude, die Sucht nach Musik und seine fast schon penetrante Bühnenpräsenz (Fans sprechen von einer absoluten Rampensau) schafft er es die Zuhörer mitzureißen. Ihn von der Bühne zu kriegen, wenn er einmal angefangen und die richtige Laune hat, ist fast unmöglich. Bei einem seiner legendären Konzerte machte er erst nach fünf Stunden Schluss und das auch nur, weil er dazu genötigt wurde. Das kann ein heiterer Abend werden...


    30. Juli „Praegnarien“ von Haimo Hieronymus und A.J. Weigoni, ab 17.00 Uhr im Rheintor, Linz

    Ankündigungen und Künstlerportraits: http://editiondaslabor.blogspot.com/

    Das Rheintor im Netz: http://www.panoramio.com/photo/3082811

    Mehr über Künstlerbücher: http://www.bookrix.de/_title-de-matt…uenstlerbuecher

    In der Bedeutung des Lehnworts aus dem Französischen, wo der "amateur d' art" den kenntnisreichen, enthusiastischen Liebhaber der Künste meint, bin ich ein Dilettant.

  • Einer fragmentierten Welt eine neue Struktur durch Denkgitter geben, dieser Aufgabe stellt sich die Künstlerin Denise Steger. Die Flut der Bilder, die das Internetzeitalter bestimmt: Verkleinerungen und die dem entsprechende Vermehrung optischer Reize sowie die Schnelligkeit der Bildübermittlung - erfordern ein neues Sehen und ein anderes Denken, welches zukünftige Generationen sicher beherrschen werden. Ihre Werke brauchen dieses ‘neue Hinsehen’ als Voraussetzung für das Bildverständnis. Stegers Kunst liegt nicht in der Beschränkung, sondern darin, sich der Vielfalt zu stellen. Die Tendenzen der ‘Reduktion’ in der Kunst des 20. Jahrhunderts werden von ihr zu Beginn des 21. Jahrhunderts umgekehrt: Komplexität wird bei dieser Artistin zur formalen und inhaltlichen Grundlage.

    Ihr Studium der Kunst-, Literatur und Musikwissenschaften an der Universität Bonn führte die Artistin zur Auseinandersetzung mit Kunstprinzipien des Mittelalters und system-theoretischen Interpretationsansätzen. In ihren künstlerischen Arbeiten entwickelt sie Konzepte, in denen korrespondierende Bild- und Objektsysteme unter thematischen und persönlichen Aspekten ausgewählt und auf vielfältige Weise kombiniert werden. Diese Tätigkeiten erstrecken sich von kleinformatigen Zeichnungen bis zu raumgreifenden Installationen. Die Bildordnung erfolgt im ‘freien Raum’ - bestimmt durch Farbflächen und Liniengerüste.

    Ihren Denkgittern liegen Baugitter zugrunde, deren Stäbe sie teilweise herausbrach, teilweise mit Objekten und Bildern füllte, sie mitten in einen Raum stellt oder hängt. Auf diese Art und Weise ergibt sich ein durchlässiger Bildgrund, der alles, was im Raum geschieht und gesagt wird, sei es Musik, Literatur, Bewegung und natürlich den Raum selbst, in sich aufnimmt und weitergibt. Die Vielfalt der Schöpfung in ihren Systemen und in der Verbindung von Systemen ist ein Beweggrund zur Darstellung. Individualität und Einzeldarstellungen treten zurück gegenüber einer Gesamtschau jenseits der real erfassbaren Welt. Stegers Bilder und Objekte stehen nicht für sich selbst, sondern werden unter thematischen oder auch persönlichen Aspekten in größere Zusammenhänge gestellt.

    Das Brennglas der Sprache

    Wann ein Gedicht gelungen ist, läßt sich pauschal kaum mehr sagen. Eine normative Poetik ist seit 250 Jahren ein undurchsichtiges Unterfangen. Die Gedichte von Peggy Neidel sind interessant, weil sie eine Ganzheitlichkeit von sinnlicher Erfahrung und von Sprachgenauigkeit und von Welterfahrung haben. Bei ihrer polytropischen Lyrik tut sich ein Riß auf, in dem ein Abgrund sichtbar wird, in dem uns die Folgen der Aufklärung zurückgelassen haben. Die Freuden des Lebens treffen auf das Leid der Geschichte. Man liest überall Zeichen der Vergänglichkeit, der Verlassenheit und der Bedrohung des Gewöhn¬lichen und hält erschrocken inne.

    Deutungsvarianten tragen immer Unwägbarkeiten in sich. Neidel Klangrede negiert die romantische Immanenzen keineswegs. Es tönt ein von Trauerklang gefärbtes Indiz dafür, daß hier etwas zu Ende geht, was noch nicht zu Ende gelebt, geschweige denn zu Ende gedacht war: Vom Sehnen erzählen ihre Gedichte. Und genau das ist es, was hier geschieht. Die Menschen sehnen sich. Diese Augenblicke des jähen Erkennens, diese Augenblicke der Vergewis¬serung, daß die Einsam¬keit des Menschen in der Welt nicht aufhebbar ist, haben sich in die Gedichte von Peggy Neidel eingeschrieben.

    20. August “Denkgitter” von Denise Steger, mit Peggy Neidel ab 19.30 im Rheintor, Linz

Ankündigungen und Künstlerportraits: http://editiondaslabor.blogspot.com/

    Das Rheintor im Netz: http://www.panoramio.com/photo/3082811

    In der Bedeutung des Lehnworts aus dem Französischen, wo der "amateur d' art" den kenntnisreichen, enthusiastischen Liebhaber der Künste meint, bin ich ein Dilettant.

  • Katja Butts Kunst fordert den Betrachter heraus, mehr von dem, was er sieht, auch ernst zu nehmen. Wir leben in einer bilderreichen Zeit und lassen uns von einer Pixelflut durch die Tage schwemmen. Die Videokünstlerin, Zeichnerin und Photographin Katja Butt befragt die umbaute Bewegung in einem Akt der Dissidens und bringt damit Bewegung in die starre Architektur. Transformation, lautet das Stichwort.
    Die raumbezogenen Videoinstallationen von Katja Butt verwandeln die statische Architektur des Ausstellungsortes in ein dynamisches mediales Gefüge, in dem Außen und Innen, Oben und Unten, Gestern und Heute zu einer Einheit werden. Eindringlich minimalistische Videobilder werden zu rhythmisch strukturierten Sequenzen komponiert, die sich über mehrere Monitore hinweg zu einem geschlossenen Ablauf verbinden. Der einzelne Monitor funktioniert als gestalterisches Element und jenseits einer untergeordneten Funktion als neutraler Rahmen der Begrenzung eines Bildfeldes. In der Präsentation verschmelzen Raum, Bild und pointiert gesetzte Akustik zu einer neuen Dimension, zu einem eigenständigen Körper, dessen einzelne Bestandteile voneinander abhängig sind und sich gegenseitig beeinflussen. Am Ende bleibt die Kamera im wahrsten Sinne des Wortes ein Werkzeug, ein Instrument, das man beherrschen muß, um mit ihm Sinnlichkeit darzustellen. Der Eros der Kunst von Katja Butt liegt in der Biologie der Existenz: der puren Freude und der Lust an Fleisch und Geist! Es verbleiben Pfeile mit Widerhaken, die lange im Gedächtnis des Betrachters verankert bleiben.

    Heidrun Grote ist es leid, nur als Gesichtsverleiherin gefragt zu sein. Als darstellende Künstlerin, liebt sie die Literatur und leiht ihre Stimme gern einer Rolle, aber genauso gern einem Dichter. Daher ist Heidrun Grote das vernehmliche Gehör zu schenken. Diese Rezitatorin ist eine ironische Realistin, sie hat eine Stimme, die alle Nuancen der Welt- und Ich-Erfahrung aufnimmt und in Sprachklang umsetzt. Sie bringt die Ausdrucksebenen von Sprache und Gesang so amüsant wie gekonnt zum Schwingen. Grote trägt Literatur nicht einfach vor, sie gestaltet und verwirklicht sie.
    Es gibt keine Stimme, zu der wir uns neutral verhalten können: Entweder wir lieben sie oder nicht. Grote hat wie kaum eine Rezitatorin sonst begriffen, daß Literatur Mundwerk im buchstäblichen Sinn ist: Es entsteht im Rachenraum. Da zischt und schnattert, da hämmert's und gurgelt es. Manchmal versteht man nicht den Sinn, aber die Gedichte sind durch den Sprachgestus und -duktus immer evident. Unangestrengt schafft sie gesprochene Sprachkunstwerke. Das Mondäne vereinigt sich mit dem Musikalischen, der Intellekt mit dem Sinnlichen. Ihre Stimme erzeugt eine atemberaubende Intimität. Sie ist weich und schwingend wie der Körper einer Katze, und sie kann kalt leuchten wie Mondschein. Aber vor allem ist sie groß, wenn sie leise spricht. Dann bricht sie manchmal und zeigt raue Stellen; sie entzieht sich in Momenten der Heiserkeit, um dann umso schöner wiederzukommen.

    17. September „Wasserkur“ von Katja Butt, Rezitation, Heidrun Grote ab 17.00 Uhr im Rheintor, Linz

    In der Bedeutung des Lehnworts aus dem Französischen, wo der "amateur d' art" den kenntnisreichen, enthusiastischen Liebhaber der Künste meint, bin ich ein Dilettant.

  • Zu einem begehrten Sammlerstück entwickelt sich die Vorzugsausgabe von »Die Angst perfekter
    Schwiegersöhne«. Haimo Hieronymus hat das Cover mit einem Holzschnitt versehen.
    Der Artist verwendet damit eine traditionelle Drucktechnik um eine Graphik zu
    erzeugen. Zur Herstellung des Druckstocks hat der Künstler von einem glatt
    gehobelten Holzbrett mit Schneidemessern die nicht druckenden Teile entfernt
    und die erhabenen Teile danach eingefärbt und abgedruckt. Der Abdruck erfolgt
    durch eine Druckpresse. Hieronymus schneidet einen Holzblock so, daß eine etwa
    zwei bis vier Zentimeter starke Platte entsteht, deren Fasern in der Richtung
    der Bildfläche verlaufen. Am Ende dieses Prozesses bleiben die Linien und
    Flächen der Zeichnung als Grate, Stege oder Inseln stehen. Bei diesem so
    genannten Schwarzlinienschnitt wird die Figuration durch schwarze Linien auf
    weißem Grund gebildet. Den fertige Druckstock färbt Hieronymus mit Druckfarbe
    ein, was durch Aufdrücken eines faustgroßen, getränkten Ballens geschieht oder
    häufiger noch durch Überrollen mit einer Walze.

    „Liebevolles Verstehen“ möchte man diesem Eigenbrödler gerne unterstellen, doch Herr Nipp
    würde unwirsch abwinken. Das absichtlose Herumstromern in den eigenen
    Befindlichkeiten und den Bequemlichkeiten der Anderen ist im Prinzip ein Akt
    fortgesetzter Selbstvergewisserung. Mit Luhmann’scher Akribie betreibt
    Hieronymus eine Art von Mikro-Ethnologie, er fügt anschließend die Satz- und
    Wahrnehmungssplitter in »Die Angst perfekter Schwiegersöhne« zu etwas zusammen,
    das entfernt einem Handlungsablauf ähnelt. Sich dem Jetzt aussetzend, ohne die
    dahinter liegende Geschichte zu vergessen.

    Herr Nipp sucht in einer entgrenzten Welt Grenzen in sich. Es bleibt eine Vorstellung, die
    betreten werden kann. Man kann diesen Raum durchschreiten, die Welt da draußen
    vergessen, sich einfach auf die Situation einlassen, mit eigenen Bildern, den
    Gerüchen und dem leicht gedämpften Klang der Außen- und Innenwelt. Im Zeitalter
    der kulturellen Globalisierung und Traditionsverschiebungen bleibt der Mensch
    als strauchelndes Wesen auf den Straßen der Zivilisationen zurück und sucht
    nach den Bruchstücken seiner selbst. Der allseits flexible Mensch des 21.
    Jahrhunderts in seiner Geworfenheit ist das Thema von Hieronymus.

    »Die Angst perfekter Schwiegersöhne«, Edition Das Labor 2011

    Die limitierte Sonderausgabe mit Holzschnitt kostet 25,- Euro. Die Das “normale” Buch kostet 9,80 Euro.

    Ausführliche Information bietet ein Artikel im Bücher-Wiki:
    http://www.buecher-wiki.de/index.php/Buec…HieronymusHaimo

    In der Bedeutung des Lehnworts aus dem Französischen, wo der "amateur d' art" den kenntnisreichen, enthusiastischen Liebhaber der Künste meint, bin ich ein Dilettant.

  • Am 22. September 2000 startete die Wanderausstellung „UnderCover“ in Linz am Rhein, Standort Rheintor. Die nächsten Stationen waren die Werkstattgalerie Der Bogen in Arnsberg, mercure-Arts in Köln, der Kunstwechsel in Siegen, das Casino in Bad Mülheim, die Mini-Pressen-Messe in Mainz und die Galerie Andreas Brüning in Düsseldorf. Nun kehren die Arbeiten an ihren Ausgangspunkt zurück.

    Das kleine Format ist bei bildenden Künstlern nicht sehr beliebt in einer Welt, in der Aussagen nur noch auf Plakatwänden auffallen, so scheint es. Das CD-Format ist 120 x 120 mm ein, kleines Format, das einen Versuch wert ist.

    UnderCover sind und bleiben Minus-Bücher, schwarze Löcher der Buchmarktgalaxy. Sie stellen sich den Kriterien ISO 2108-1972 und DIN 1262 mit all dem entgegen, was sie auszeichnet: das Spiel mit den Gesetzen von Literatur, Handwerk und Markt.

    UnderCover lugt über Grenzen als Multiple hinaus, wenn man Sprach- und Ordnungsmotive durch die Gattungen dekliniert: Rauminstallationen entstehen mit und/oder den Objektbüchern, die einen neuerlichen Zugriff auf das Medium Sprache ermöglichen.

    10. Dezember „UnderCover“ im Kunstverein, Linz am Rhein
    mit einer Lesung von Thomas Görden

    Beteiligte Artisten: Tom Täger - Komposition & Produktion; Ioona Rauschan - Regie, A.J. Weigoni & Eva Kurowski - Rezitation; Marina Rother als Senora Nada; Lin Chung, Leeds; Klaus Urbons, Mülheim; Jürgen Diehl, Bruchhausen; Mike Grunzke, Linz am Rhein, Marcel Hardung, Düsseldorf; Margarete Hesse, Berlin; Haimo Hieronymus, Neheim; Sab Hoffmann, New York; Almuth Hickl, Düsseldorf; Karl-Heinz Hosse, Arnsberg; Klaus Krumscheid, Heeg; Mischa Kuball, Düsseldorf; Julia Lohmann, Düsseldorf; Martini, Dortmund; Peter Meilchen, Arnsberg; Stephanie Neuhaus, Niederense, Deborah Phillips, Berlin; Dietmar Pokoyski, Köln; Andreas Roseneder, Austria; Denise Steger, Linz am Rhein; Thomas Suder, Düsseldorf.

    Am 10. Dezember erscheint der Katalog »Rheintor Linz - Anno Domini 2011«, der das Rheintorprojekt dokumentiert.

    Ergänzend ein Essay als E-Book: http://www.bookrix.de/_title-de-matt…kultur-betriebs

    UnderCover: http://www.bilder-raum.de/html/werke.html

    Kunstverein Linz: http://www.kunst-verein-linz.de/am-rhein.html

    Bilder

    In der Bedeutung des Lehnworts aus dem Französischen, wo der "amateur d' art" den kenntnisreichen, enthusiastischen Liebhaber der Künste meint, bin ich ein Dilettant.

Jetzt mitmachen!

Sie haben noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registrieren Sie sich kostenlos und nehmen Sie an unserer Community teil!