Beiträge von Matze

    Ein Roman und doch meint man den rheinischen Singsang im Ohr zu haben.

    Die Zeichen der Dekadenz und moralischer Verkommenheit sind im
    Rheinland offenbar. Weigoni zeichnet mit den Lokalhelden Figuren, die
    ihr Leben nicht aktiv in die Hand nehmen und darum, sich im Wortsinn auch nicht
    schuldig machen an den Ereignissen. Er fängt damit die Agonie dieser Spezies
    ein, die Rheinländer werden vom Schicksal mutwillig herausgeworfen aus
    ihrem Alltag, und ihre Schuld besteht darin, die Kraft zum Widerstand nicht
    aufgebracht zu haben. Manche sehen in diesem Romancier den letzten Polyhistor;
    manche heben aber auch seinen Dilettantismus hervor. Der Leser hätte Probleme,
    wenn er bestimmen müßte, welcher Wissenschaft Weigoni zuzurechnen sei. Ist er
    Anthropologe? Ethnologe? Historiker? Psychologe? Vergleichender
    Religionswissenschafter? Soziologe? Politologe? Er ist alles das und doch
    keines davon. Die schöpfende Kraft fliesst hier aus einer radikalen Entgrenzung
    und aus Widerstandsbestrebungen gegen erstarrte Gesellschaftsformen heraus. Das
    Denkerische der Argumentation, hier in Form eines interessanten Paradoxes
    nachvollziehbar, stellt die Qualität des Buches dar, das aufgrund dieses klaren
    Blicks auf Nuancen auch nicht ins Satirisch-Karikaturistische abrutscht, sondern
    bei seiner Sache bleibt. Seine Kenntnisse sind bewundernswert, staunenswert ist
    aber auch sein Mut, alles, was nicht unmittelbar zu seinem Thema gehört,
    einfach nicht zur Kenntnis zu nehmen. Seine Literatur erfrischt und verfeinert
    die Sinne durch eine Ermutigung. Sie zeichnet nicht allein Formen des Hörens,
    Riechens, Schmeckens vor, jenseits der uns umgebenden Abgedroschenheit. Sie
    beweist uns: Nicht unsere Wahrnehmungen sind eingeebnet in Pauschalisierung,
    die Dinge sind unverbraucht.

    Gute Fiktionen vermögen verborgene Zusammenhänge herzustellen und
    neues Licht auf ein scheinbar bekanntes Geschehen zu werfen. Weigoni erzählt er
    aus dem zerrissenen inneren Deutschland heraus. Diese Bruchstücke aus dem
    Hinterland sind so montiert, daß das Leben im Rückblick nicht in unzählige
    Einzelbilder zerfällt. Die Fragmente sind so zusammengefügt, daß sie dort Sinn
    stiften, wo doch alles ohne Folgerichtigkeit geschehen ist. Es sind
    Versuchsanordnungen, in denen die Regeln der Wirklichkeit durchbrochen werden.
    Man lent Figuren kennen, die vor ihren eigenen Unzulänglichkeiten davon laufen.
    Das beginnt mit Fitnesswahn und endet in ihren Sexualitäts– und Liebeswelten.
    Das Rheinland ist eine Gesellschaft, die einen Qualitätsstandard an
    Körperlichkeit und Liebe legt, es ist zwangsläufig eine Gesellschaft der
    Enttäuschung und Frustration sein. Weigoni verwandelt die Rheinländer zu Typen,
    die so wirken, als seien sie immer schon da gewesen. Unzerstörbar in ihrer
    Aura. Dieser Romancier versteht etwas von den Lebensverhältnissen seiner
    Figuren, zeichnet sie zärtlich und engagiert sich geduldig, unsere Welt zu
    verbessern. Ästhetik, Moral und Emotion finden bei Weigoni zu einem Dreiklang
    zusammen, wie er in der zeitgenössischen Literatur viel zu selten vernehmbar
    ist. Sein Schreiben richtet sich eindeutig gegen die Beschleunigungsmechanismen
    einer Gegenwart, die das spektakuläre Ereignis zelebriert und in Rekorden
    schwelgt. Einst war die Muße das vornehmste Gut des Menschen, an ihrer Stelle
    haben sich die postmodernen Konsumgüter eingehandelt, das Tempo und den
    wachsenden Zeitmangel.

    Die Lokalhelden atmen denselben drängenden Ton wie die
    Figuren in Abgeschlossenes Sammelgebiet. Aus den
    Suchbewegungen der frühen Prosa ist eine bravouröse Versuchsanordnung mit
    Figuren im Sog des Zeitgeistes geworden. Manches gerät zum Balanceakt zwischen
    kluger Parodie, Gesellschaftssatire und Pornografie. Gegen das Verschwinden der
    Wirklichkeit, dem Siegeszug des Vulgären und die Herrschaft des Technischen,
    schreibt Weigoni unermüdlich an. Sein Plädoyer für eine Organik des Daseins,
    für Präsenz und Dauer gewinnt im Rückzugsraum Rheinland an Plausibilität
    angesichts des rasenden Stillstands einer Gegenwart, die mittlerweile alle
    Sinnressourcen leerplündert. Die Freiheit, das eigene Leben zu wählen, ist
    universell. Fakt ist nur, daß man diese Freiheit niemandem aufzwingen kann. Die
    Rheinländer haben seit dem 2. Weltkrieg genügend Evidenz dafür gesammelt, daß
    diese Strategie nicht funktioniert. Es braucht bei den Lokalhelden
    noch nicht einmal einen narrativen Vorwand, man erfreut sich an alltäglichen
    Phänomenen der Natur und des Grossstadtlebens. Mit einer entspannten Haltung
    zum Historischen widmet sich Weigoni detailverliebt der Kunst des Bierbrauens und
    den Rheinländern, die sich ihren Weg durch das urbane Gewusel bahnen. Weit ab
    davon ein Ideologe zu sein, kommt es diesem Romancier nicht auf das
    literarische Gelingen, sondern auf die Inszenierung der Sinngebung des
    Sinnlosen an. Aus der Offenheit seines Schreibens heraus, gewinnt das
    weltanschauliche Anliegen die Überzeugungskraft.

    In Lokalhelden gelingt es ihm, einen vielstimmigen Echoraum
    zwischen individueller und kollektiver Erinnerung aufzuspannen, der durch
    sublime Querverweise auf eigene und fremde Werke vervielfacht wird. Hinter den
    einzelnen Stimmen seiner Erzählfiguren gibt es noch eine tiefere Schicht. Die
    Musik dieses Romans vermittelt genau dieselbe Vielstimmigkeit aus geschwätzigen
    Oberstimmen und einem fast unhörbaren und trotzdem eigentümlich präsenten Basso
    continuo. Die Sprachmusik des Rheinlands ist polyphon. An einigen Stellen, die
    sich aus dem Zusammenspiel der Stimmen ergeben, erzeugt sie -
    selbstverständlich nur für einen Moment - einen hinreißenden Klang, der nach
    tonaler Harmonie klingt.


    +++

    Lokalhelden, Roman
    von A. J. Weigoni, Edition Das Labor, Mülheim 2018 - Limitierte und
    handsignierte Ausgabe des Buches als Hardcover.

    Wie kaum eine andere Galerie in Deutschland hat ‘Der Bogen’ in Arnsberg immer großen Wert auf die handwerkliche Erarbeitung von Künstlerbüchern gelegt. Unbeirrt setzen diese Artisten den kulturbetrieblichen Trends die unleugbare, virtuell nicht reproduzierbare Schönheit bibliophiler Buchausgaben entgegen, verbunden mit einem entschleunigten Prozess der Entstehung des Buches und einer exklusiv begrenzten, jedoch auf Nachhaltigkeit angelegten Verbreitung.

    Das benjaminsche Diktum der Aura eines Kunstwerks reicht von den Materialbüchern des Jürgen Diehl, über die Schland-Box von Peter Meilchen, bis hin zu Haimo Hieronymus und A.J. Weigonis Erkundungen über die Möglichkeiten der Linie zwischen Schrift und Zeichnung findet sich eine Vielfalt des Ausdrucks, die ihresgleichen sucht.Das benjaminsche Diktum der Aura eines Kunstwerks reicht von den Materialbüchern des Jürgen Diehl, über die Schland-Box von Peter Meilchen, bis hin zu Haimo Hieronymus und A.J. Weigonis Erkundungen über die Möglichkeiten der Linie zwischen Schrift und Zeichnung findet sich eine Vielfalt des Ausdrucks, die ihresgleichen sucht.

    Mit dem Holzschnitt präsentiert Haimo Hieronymus eine handwerkliche Drucktechnik, er hat sie auf die jeweiligen Cover der Gedichtbände von A.J. Weigoni gestanzt hat. Bei dieser künstlerischen Gestaltung sind “Gebrauchsspuren” geradezu Voraussetzung. Man kann den Auftrag der Farbe auf dem jeweiligen Cover direkt nachvollziehen, der Schuber selber ist genietet. Und es gibt keinen Grund diese Handarbeit zu verstecken.

    Alle Exemplare sind zusammen mit dem auf vier CDs erweiterten Hörbuch erhältlich. Darauf auch die Produktion Unbehaust, sie provoziert mit einem stream–of–consciousness durch Inhalte und nicht durch Dolby–Surround. Der Mülheimer Komponist Tom Täger hat ausschließlich Papiergeräusche verwendet. Die Asiaten verehren das Papier für diese Schwäche, Papier hat sich auf die Seite unserer Verwundbarkeit und Sinnlichkeit gestellt. Papier fühlt sich angenehm an und riecht gut. Papierseiten entsprechen dem menschlichen Lesetempo, unserem Rhythmus.

    Präsentation am 22. April, ab 17:00 Uhr im Kunstraum Krumscheid, Rheintor Linz, Burgplatz 1 / 53545 Linz am Rhein

    Wie kaum eine andere Galerie in Deutschland hat ‘Der Bogen’ in Arnsberg immer großen Wert auf die handwerkliche Erarbeitung von Künstlerbüchern gelegt. Unbeirrt setzen diese Artisten den kulturbetrieblichen Trends die unleugbare, virtuell nicht reproduzierbare Schönheit bibliophiler Buchausgaben entgegen, verbunden mit einem entschleunigten Prozess der Entstehung des Buches und einer exklusiv begrenzten, jedoch auf Nachhaltigkeit angelegten Verbreitung.

    Das benjaminsche Diktum der Aura eines Kunstwerks reicht von den Materialbüchern des Jürgen Diehl, über die Schland-Box von Peter Meilchen, bis hin zu Haimo Hieronymus und A.J. Weigonis Erkundungen über die Möglichkeiten der Linie zwischen Schrift und Zeichnung findet sich eine Vielfalt des Ausdrucks, die ihresgleichen sucht.Das benjaminsche Diktum der Aura eines Kunstwerks reicht von den Materialbüchern des Jürgen Diehl, über die Schland-Box von Peter Meilchen, bis hin zu Haimo Hieronymus und A.J. Weigonis Erkundungen über die Möglichkeiten der Linie zwischen Schrift und Zeichnung findet sich eine Vielfalt des Ausdrucks, die ihresgleichen sucht.

    Mit dem Holzschnitt präsentiert Haimo Hieronymus eine handwerkliche Drucktechnik, er hat sie auf die jeweiligen Cover der Gedichtbände von A.J. Weigoni gestanzt hat. Bei dieser künstlerischen Gestaltung sind “Gebrauchsspuren” geradezu Voraussetzung. Man kann den Auftrag der Farbe auf dem jeweiligen Cover direkt nachvollziehen, der Schuber selber ist genietet. Und es gibt keinen Grund diese Handarbeit zu verstecken.

    Alle Exemplare sind zusammen mit dem auf vier CDs erweiterten Hörbuch erhältlich. Darauf auch die Produktion Unbehaust, sie provoziert mit einem stream–of–consciousness durch Inhalte und nicht durch Dolby–Surround. Der Mülheimer Komponist Tom Täger hat ausschließlich Papiergeräusche verwendet. Die Asiaten verehren das Papier für diese Schwäche, Papier hat sich auf die Seite unserer Verwundbarkeit und Sinnlichkeit gestellt. Papier fühlt sich angenehm an und riecht gut. Papierseiten entsprechen dem menschlichen Lesetempo, unserem Rhythmus.

    Eine der schwer zu erlernenden Fähigkeiten ist, poetisch verdichtete Sprache hör- und verstehbar zu machen. Die Figur Jo Chang umweht in Unbehaust eine existenzielle Fremdheit. Dieses Monodram ist ein Irrgarten des konjunktivischen Prinzips. Noch herrscht das Allbekannte, bald könnte alles anders sein. Das Grundvertrauen in die Sagbarkeit der Dinge und in die Möglichkeit poetischer Wahrheit haben ihr das Überleben ermöglicht und sie auf den Königsweg ihrer Selbsterrettung durch Poesie geführt. Für Jo Chang markieren die Erfahrungen von Expatriierung und Sprachverlust die elementaren Schicksalsdaten ihrer Existenz, sie reklamiert das lyrische Wort als das Eigenste, das selbst im Stadium tiefer Verzweiflung als lebendiges Wort angerufen werden kann. Eine unterschwellige Distanz läßt sich dieser Figur gegenüber nur dann ausräumen, wenn man dieses Langgedicht nicht als bloße Intelligenzleistung versteht. Weigoni ist nicht anmaßend genug, Antworten auf alles zu geben. Er hat sein eigenes Maß einer Gegensätzlichkeit im Sittlichen, und das bietet er mit diesem Monodram an: Ein Denkspiel und das Ausrufen unserer Fragilität in einem. Die Sprache beginnt dabei zu oszillieren, einerseits wird sie ganz besonders innerlich, gesprochen von einem leidenden, traurigen, erschöpften Menschen, andererseits wirkt sie unvorhersehbar, wiederholbar, fremdbestimmt. Dazwischen steckt das, worum es Weigoni geht: die Entleerung des Gefühls in der Welt, das Ersterben des Menschen im Glamour, die Leere, von der wir uns nähren. In ihrer Fokussierung auf das Hören, mithin das Zuhören, spricht Jo Chang eine Art der sinnlichen Wahrnehmung wie der geistigen Verarbeitung an, die mehr und mehr ins Abseits zu geraten droht – insofern ist durch diese Kunst auch eine gesellschaftspolitische Aussage getan. Unbehaust ist ein Monodram, das nachwirkt.

    Das Hörspiel Unbehaust wird am 21. Januar, ab 20:00 Uhr im Rahmen der Präsentation des Schuber Ausstellung präsentiert im:

    Makroscope / Friedrich-Ebert-Strasse 48 / 45468 Mülheim an der Ruhr.


    ***

    Der Schuber, Werkausgabe der sämtlichen Gedichte von A.J. Weigoni. Edition Das Labor, Mülheim 2017


    Die fünf Gedichtbände erscheinen in einer limitierten und handsignierten Ausgabe von 100 Exemplaren. Auf jedem Cover findet sich ein Original-Holzschnitt von Haimo Hieronymus, den der Künstler direkt auf die jeweiligen Cover gestanzt hat. Zudem liegt für die Sammler noch eine Original-Graphik des Künstlers bei.

    Alle Exemplare sind zusammen mit dem auf vier CDs erweiterten Hörbuch in einem hochwertigen Schuber aus schwarzer Kofferhartpappe erhältlich.

    Mit dem Holzschnitt präsentiert Haimo Hieronymus eine handwerkliche Drucktechnik, er hat sie auf die jeweiligen Cover der Gedichtbände von A.J. Weigoni gestanzt hat. Bei dieser künstlerischen Gestaltung sind "Gebrauchsspuren" geradezu Voraussetzung. Man kann den Auftrag der Farbe auf dem jeweiligen Cover direkt nachvollziehen, der Schuber selber ist genietet. Und es gibt keinen Grund diese Handarbeit zu verstecken. Alle Exemplare sind zusammen mit dem auf vier CDs erweiterten Hörbuch erhältlich.

    Darauf auch die Produktion Unbehaust, sie provoziert mit einem stream–of–consciousness durch Inhalte und nicht durch Dolby–Surround. Der Mülheimer Komponist Tom Täger hat ausschließlich Papiergeräusche verwendet. Die Asiaten verehren das Papier für diese Schwäche, Papier hat sich auf die Seite unserer Verwundbarkeit und Sinnlichkeit gestellt. Papier fühlt sich angenehm an und riecht gut. Papierseiten entsprechen dem menschlichen Lesetempo, unserem Rhythmus.

    Das Hörspiel Unbehaust wird am 21. Januar 2017, ab 20:00 Uhr im Rahmen der Präsentation des Schuber Ausstellung präsentiert im:

    Makroscope / Friedrich-Ebert-Strasse 48 / 45468 Mülheim an der Ruhr. *** Der Schuber, Werkausgabe der sämtlichen Gedichte von A.J. Weigoni. Edition Das Labor, Mülheim 2017

    Vor kurzem ist Heft 9 der kalmenzone erschienen, darin Franz Hofners Besprechung des Weigoni-Hörbuchs "Gedichte": http://www.kalmenzone.de (Download von der Startseite oder unter der Rubrik Hefte)

    Ein Auszug: "So bleibt die Text-Erfahrung als eine trunkene Rutschbahn über Begriffsfelder, am Ende mündet sie in ein Aufwachen wie aus einem Rausch – und das ist doch, betrachtet man es nüchtern, gar nicht wenig für ein lyrisches Werk."

    A. J. Weigoni, Gedichte. HörBuch, 4 CDs, Mülheim a. d. Ruhr: Edition Das Labor 2015. Zu beziehen über den Verlag
    (http://www.editiondaslabor.de).