HÖRSPIELKOLUMNE "GEDANKEN EINES HÖRSPIELFANS 10/2012" – Fehlt der Branche und der Szene Mut etwas "Neues" zu wagen?

  • Nach einer kurzen Schaffenspause während des Sommermonats August möchte ich mich im September mit einer neuen Ausgabe meiner Hörspielkolumne "Gedanke eines Hörspielfans" zurück melden. Ich möchte diesmal über den Mut der Hörspielbranche, aber auch die Skepsis der Szene im Allgemeinen plaudern. Wir haben hier im Hörspieltalk eine Reihe von interessanten threads in denen wir sehr oft mit Ideen konfrontiert werden, die "neu" sind oder die sich zumindest von dem normalen und typischen Hörspielallerlei unterscheiden. Die Reaktionen darauf sind zumeist negativer Natur. Wir reagieren skeptisch und glauben nicht daran. Warum eigentlich geben wir "Neuem" keine Chance? Sind wir alle schon so in unserem gewohnten Fahrwasser unterwegs, dass wir vielleicht gar keine neuen Wege versuchen bzw. begehen wollen? Wo sind eigentlich Bill Gates, Steve Jobs oder Dietrich Mateschitz unserer Szene zu finden? Gibt es sie nicht, kann man in der Hörspielbranche keine "Revolution" hervorrufen und mit einer neuartigen Technik, Modeerscheinung, Werbung oder Finanzierungsmöglichkeiten alles bisher Dagewesene verändern und in den Schatten stellen?

    In den letzten Monaten wurde hier besonders in den threads Ankündigung Hörspielbuch "Die Verhöre der Gesche Gottfried" mit Ariane Seeger, David Nathan, Roland Hemmo u.v.a. und Neue Gruselserie von Studio Hörsturz über Finanzierungsmöglichkeiten diskutiert. Das Zauberwort heißt crowdfunding. In vielen anderen Freizeitbereichen wie Film und Computerspiele hat diese Form der Finanzierung bereits erfolgreich Einzug gehalten und Produktionen ermöglicht, die sonst nie zu realisieren gewesen wären. Auch im Hörspielbereich gibt es bereits die eine oder andere erfolgreiche Aktion. Trotzdem wird fast jede dieser vorgestellten Finanzierungsmodelle mit sehr viel Skepsis begegnet. Wäre nicht Zuversicht und Freude über ein mögliches tolles Hörerlebnis, das wir anders nicht erlebt hätten, ebenso angebracht? Hörsturz hat es allen Unkenrufen zum Trotz geschafft seine Serie zu starten. Im nach hinein betrachtet "schade" dass man es dem Label bereits im Vorfeld so schwer gemacht hat und nicht ein klein wenig positiver darauf reagiert hat.

    Auch den neuen Medien und deren Verbreitung wird sehr viel Skepsis entgegen gebracht. Gerade von "Kassetten-Dinosaurier" wie ich einer bin. Von daher muss gerade ich mich an meiner eigenen Nase nehmen und versuchen für neue Medien und mediale Verbreitungsmöglichkeiten offener zu sein. Wir haben auch hierzu einen interessanten thread im Talk Tritt MP3 die Nachfolge der CD als Medium für Hörspiele an? in dem neben den jungen, modernen Hörer/innen auch viele ältere Talker, wie ich einer bin, zu Wort kommen, die mit den neuen Errungenschaften im Hörspielbereich nur wenig anfangen können. Gerade in dieser Beziehung bewege ich mich nur sehr träge und langsam, aber auch ich versuche mich nach und nach mit download und MP3 anzufreunden. Ein sehr schwerer Gang, der noch seine Zeit braucht. Trotzdem wünsche ich mir persönlich, dass ich und auch viele andere Alt-Hörer versuchen dem ganzen etwas offener zu begegnen.

    Als letztes großes Beispiel für unsere gemeinsame Skepsis allem Neuen gegenüber möchte ich auf unsere threads verweisen, bei denen es um Werbung und Werbemöglichkeiten geht. Fast jeder Vorschlag wurde in der Vergangenheit mit einem "das geht nicht" abgeschmettert. Manchmal wäre eine "Probieren geht über Studieren" - Mentalität doch angebrachter, oder? Dabei haben wir gerade hier im Hörspieltalk bereits eine Fülle von sehr guten Ideen, die eigentlich nur darauf warten einmal ausprobiert und versucht zu werden. Es wäre schade, wenn sie nur als Ideen in einem Forumsthread versauern würden und niemand den Mut hat, diese auch einmal in der Praxis auszuprobieren. Nachzulesen gibt es diese unter anderen hier: Helft mit beim Projekt Zero....Hörspiel-Stream kostenlos auf YouTube oder Was sind/waren die bemerkenswertesten PR-Aktionen von Hörspiellabels? oder Gute und schlechte Werbung

    Zum Abschluss möchte ich noch einmal auf die Anfangs gestellte Frage zurückkehren. JA - sowohl der Branche als auch der Szene fehlt in vielen Situationen der Mut etwas neues zu probieren. Trotzdem gibt es die Mutigen, da draußen, die sich wie Don Quichote gegen die skeptischen Windmühlen stemmen und versuchen etwas Neues zu starten. Es wäre schön wenn wir diesen in der Zukunft das Leben nicht nur schwer machen würden, sondern ein wenig offener und zugänglicher begegnen könnten. Wer weiß vielleicht wäre dies die Geburtsstunde eines Bill Gates, eines Steve Jobs oder eines Dietrich Mateschitz der Hörspielbranche. Und in einem sind wir uns sicher einig: Die Hörspielbranche könnte auf alle Fälle mehr Aufmerksamkeit gebrauchen, als sie es aktuell hat. Diese werden wir nicht bekommen wenn wir nur auf alten und ausgetretenen Pfaden wandeln. Dazu müssen neue und innovative Wege gegangen werden und zwar Branche und Szene Hand in Hand. Wäre das nicht schön?!

    Über Kommentare in Form von Postings, PMs oder Emails würde ich mich freuen! #winkewinke#

  • Wie Dietrich Mateschitz einmal so schön sagte: "Wer mich kennt, der kennt mich. Der Rest kennt mich nicht!". #lach2#

    Neues und innovatives im Hörspielbereich setzt immer ein wenig Geld im Rücken voraus, es sei denn man arbeitet mit diesen, wie ich finde windigen, Rückstellungsverträgen, wo die Sprecher erst Geld bekommen, wenn ein gewisser Verkauf stattgefunden hat. Ich kenne ein paar Sprecher die gegenüber gewissen Kleinlabeln immer noch angepisst sind, weil sie niemals auch nur einen Pfennig gesehen haben, auch wenn Gewinn gemacht wurde. Schmarotzer gibt es überall.

    Und da man ja den Erfolg einer Produktion nicht garantieren kann, ist es sicher problematisch ein neues und unverbrauchtes Feld in Punkto Hörspiel anzutesten. Serien wie "Mord in Serie" und "Dark Mysteries" setzen darauf, das Krimis, selbst die ödesten Dinge wie Rutherford, Holmes und Co., schon ihren deutschen Käufer finden werden - denn der Krimi ist immer noch ein geliebtes Kind in deutschen Haushalten.

    Die "Grusel-Serie" war sich von Anfang an bewusst das sie die Ewiggestrigen mit mentalen Orgasmen versorgen würde, da sie das Verlangen nach einer einfacheren (Kindheits)Welt bedient, in der sich niemals etwas verändern wird und die MC ewig lebt.

    Innovationen findet man genug, leider jedoch fast nur im Radiohörspiel, welches in deutschen Gefilden zu oft mit dem Erziehungszeigefinger oder komatöser Kunst-Langeweile daher kommt. Dinge wie "Vor Sonnenaufgang" sind eher die Ausnahme, auch wenn dieses Hörspiel "nur Horror" ist, so ist es doch für das Radio hierzulande eine fast schon ketzerische Neuerung.

    Für mich gilt, denn ich habe dafür vollstes Verständnis: Der Hörspielproduzent, der auch gerne mal einen vollen Kühlschrank haben möchte, befasst sich mit dem Futter für die Massen, das auch gerne gefressen wird. Und auch wenn es wenige Produzenten mit der "Ich produziere Zeugs das ich zwar scheisse finde, doch so lange die Trolle es mir aus der Hand reissen!"-Einstellung gib, wird es auch weiterehin kaum Innovationen geben, denn der Markt will sie ja auch nicht wirklich da er sie zumeist eh nicht annimmt. Was der Bauer nicht kennt, das frisst er nicht. :D


    Zitat

    Zitat von Markus Aurelius, Statthalter von Hörspieltalkingen

    Und in einem sind wir uns sicher einig: Die Hörspielbranche könnte auf alle Fälle mehr Aufmerksamkeit gebrauchen, als sie es aktuell hat. Diese werden wir nicht bekommen wenn wir nur auf alten und ausgetretenen Pfaden wandeln. Dazu müssen neue und innovative Wege gegangen werden und zwar Branche und Szene Hand in Hand.

    Das wäre wünschenswert, doch mit der derzeitig existierenden Internetcommunity vollkommen illusorisch. "Gestern war alles besser!" und "Veränderung macht mir Angst!" stehen immer noch auf den Ortseingansschildern zu Hörspiekinderhausen und das wird sich auch sicher nicht so bald positiv verändern.

  • Ich für meinen Teil habe bisher oft die Erfahrung gemacht, dass bekannte Konzepte trotz oder vielleicht gerade wegen ihrer Bekanntheit zumeist besser funktionieren als neue Konzepte, denen man erst die Kinderkrankheiten austreiben muss. Aussnahmen wie z.B. Darkside Park werden auch schon kopiert. Bei Lübbe z.B. gibt es zwei ähnliche Konzepte (z.B. Lesungs-Serie Survivor gelesen von Dietmar Wunder)

    Für meinen Teil im Falle Projekt Zero muss ich zufrieden sagen, dass wir schon jetzt nach knapp 8 Monaten an der 30.000 Zugriffsmarke gekommen sind. Zahlen die mit CD- und Downloadverkäufen kaum zu erreichen sind. Zwar verdiene ich weit weniger daran, die Viralität bringt aber immer mehr Zuschauer auf das Video. Klar zieht ein Hörspiel weit weniger als ein cutes Katzenvideo, aber soweit ist das Projekt erfolgreich, muss sich aber noch weiter tragen. Ziel wäre, es mindestens auf die 100.000 zu bringen, was aber noch eine ganze Weile dauern wird (wir unterstützen will gern den Videolink mit Freunden teilen ;) http://www.youtube.com/watch?v=5TVavo2oyYw).

    Ansonsten bereiten wir für der Fluch 3-6 (wir arbeiten gerade noch am letzten Skript) ein Crowdfunding Projekt zur Produktionsunterstützung vor und sind mal gespannt auf die Reaktionen darauf.

  • Markus G.
    Immer wieder schön deine Kolumnen zu lesen. Macht wirklich Spaß und zeugt von tiefem Interesse was das Medium angeht. Bitte weiter so… #daumenhoch#

    thomas R.
    Du hast mir schon fast alles vorweggenommen, aber da ich dir insoweit in allen Punkten recht gebe, kann ich das verschmerzen. ;)

    Es gab in den letzten Jahren einige Versuche neue Serien zu etablieren. Letztendlich wurde der Großteil nicht angenommen und eingestellt. Der Grund hiefür hatte nichts mit der Qualität zu tun (zumeist), sondern an Desinteresse und aufgrund der Ansicht….man wartet erst einmal ab, weil sich schon einige Serien verabschiedet hatten. Verständlich, aber letztendlich ein Todesstoß für alles Neue! Das wird auch den meisten Newcomern so ergehen…dafür muss man kein Hellseher sein! Der Markt wird sich in den nächsten Jahren weiter bereinigen und die Flut neuer Label wird sich in grenzen halten.

    Crowdfunding ist keine schlechte Sache, wurde aber meiner Meinung nach in letzter Zeit, gerade was Hörspiele betrifft, überstrapaziert! Das Resultat ist: Fast alle Aktionen verliefen im Sand und die wenigen die dann doch auf den Markt kommen bzw. gekommen sind konnten das auf einmal selbst finanzieren. Das man da an den Sinn und Zweck zweifelt, ist für mich eindeutig! Ich kann auch kein Restaurant eröffnen und denen die bei mir essen wollen sagen: „Bezahlt im Voraus, dann kann ich Lebensmittel einkaufen und morgen bekommt ihr es dann!“ Das Crowdfunding in der Film- und Computerszene funktioniert liegt an der großen, teils sehr solventen, Community. Das in diesen Bereichen Gewinne eingefahren werden ist selbstverständlich! Die Frage ist nur wie hoch? Bei Hörspielen sieht das bekannter weise ganz anders aus…

  • Vieles wurde in der (kurzen) Vergangenheit schon diskutiert .... mein Resume :


    • ob Labels/Produzenten nun schon alles marketingmäßig, etc. ausprobiert haben oder ob sie sich selbst und anderen gegenüber nicht ehrlich genung sind, ist mir mittlerweile schnuppe
    • es gibt div. Labels, die Genre-und Storytechnisch sehr experimentierfreudig waren (Maritim und Lausch - um mal nur 2 zu nennen) und es von der "Masse" aber nicht genug Nachfrage gab
    • begrüßenswert war das Morbius-Konzept : es zu beenden, egal was komme + das Amadeus-Konzept : so zu strukturieren, dass ggf. mit 1-2 Folgen jeder Zeit beendet werden kann
    • Krimis gehen immer! Sherlock Holmes noch mehr! Sherlock Holmes & Co (Romantruhe/Winterzeit), Sherlock Holmes (Titania), Sherlock Holmes RT/WZ(maritim?), Sherlock Holmes (Maritim), Sherlock Holmes Chronicles (Winterzeit), Sherlock Holmez (Nexvz-Prod.), Sherlock Homer (Rppertide-Produce), Sherlock Flomi (Flori-Fabrik), ..............

    . #

    Die einen kennen mich #winkewinke# - die anderen können mich#pokuss#

    " Ersteller des 1. Beitrages 2010,11+12 "

  • Und da man ja den Erfolg einer Produktion nicht garantieren kann, ist es sicher problematisch ein neues und unverbrauchtes Feld in Punkto Hörspiel anzutesten. Serien wie "Mord in Serie" und "Dark Mysteries" setzen darauf, das Krimis, selbst die ödesten Dinge wie Rutherford, Holmes und Co., schon ihren deutschen Käufer finden werden - denn der Krimi ist immer noch ein geliebtes Kind in deutschen Haushalten.

    Das sieht man ja auch beim TV -- wenn was Neues angekündigt wird, ist es entweder "scripted reality" oder Krimi. Was Originalität und Innovation angeht, schlagen uns inzwischen nicht nur die Amis, sondern auch die Briten wieder weit aus dem Feld.

    Die "Grusel-Serie" war sich von Anfang an bewusst das sie die Ewiggestrigen mit mentalen Orgasmen versorgen würde, da sie das Verlangen nach einer einfacheren (Kindheits)Welt bedient, in der sich niemals etwas verändern wird und die MC ewig lebt.

    Daraus hat sie ja nie einen Hehl gemacht; aber wie ich unten noch ausführen werde, wird diese Methodik mit der jetzigen Käufergeneration aussterben, denn der Nostalgieeffekt ist nun mal auf die Kassettenkinder beschränkt. Den heute 14jährigen den "Kult"-Faktor von Carsten-Bohn-Musik nahezubringen wird wohl idR scheitern.

    Innovationen findet man genug, leider jedoch fast nur im Radiohörspiel, welches in deutschen Gefilden zu oft mit dem Erziehungszeigefinger oder komatöser Kunst-Langeweile daher kommt.

    Es ist bezeichnend, dass der Flaggenträger des Radiohörspiels in diesem Forum (Gruß an Matze!) eben nicht aus der Generation der 20jährigen kommt, die ja vielleicht "das neue Hörspiel wider die alten Zöpfe" propagieren könnte. Die "Innovationen" kommen beim jungen Publikum nicht an, weil es keine sucht. Andere Medien haben -- wie schon oft bedauert -- den Platz des Hörspiels für Leute jenseits der 10 längst eingenommen.

    Das wäre wünschenswert, doch mit der derzeitig existierenden Internetcommunity vollkommen illusorisch. "Gestern war alles besser!" und "Veränderung macht mir Angst!" stehen immer noch auf den Ortseingangsschildern zu Hörspiekinderhausen und das wird sich auch sicher nicht so bald positiv verändern.

    Das sehe ich auch so. Jede neue DDF-Folge im alten Trott zementiert den status quo und bestärkt durch die unglaublichen Verkaufszahlen, dass derjenige dumm ist, der sich inhaltlich oder formell zu weit aus dem Fenster lehnt. Und selbst milde Innovationen wie das intelligent variierte Krimiszenario mit Sigmund Freud als psychologisch sensibilisiertem Ermittler musste ja schon früh die Segel streichen. Auch Mark Brandis ist wohl kein großer Erfolg trotz oder wegen der abwechslungsreichen Storyprämissen, denn sonst gäbe es ja längst eine Konkurrenzserie.

  • pmartin: #danke#

    Zitat

    Die "Innovationen" kommen beim jungen Publikum nicht an, weil es keine sucht.

    Innovationen kommen leider schon nicht beim gestanden und älteren Publikum an. Das junge Publikum wird aktuell mMn leider fast nicht erreicht. Ich befürchte auch, dass die Hörspielhörer aussterben könnten, wenn kein junges Blut zugefügt wird. Es wäre zu wünschen, dass die Bibi Blocksberg und Bob der Baumeister Hörer dem Hörspiel treu bleiben würden. Aber da bekommen dann andere Medien, die mehr Trends setzen und attraktiver sind fast immer den Vorzug. Alleine aus diesem Grunde wäre es wünschenswert wenn besonders Labels mit einer dicken Geldbörse ein wenig in die Zukunft investieren würden und neue Wege einschlagen würden, ABER es wäre dann natürlich auch wünschenswert wenn wir Dinosaurier des Hörspiels mitziehen würden und nicht sofort dankend ablehnen. Aber ich weiß aus eigener Erfahrung, dass es nicht so einfach ist sich mit neuen Trends anzufreunden...

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