Heinz Strunk - Der goldene Handschuh

  • Heinz Strunk: Der goldene Handschuh

    Hörbuch, ungekürzt, gelesen vom Autor

    Verlag: tacheles!/ROOF Music; erschienen 25. Februar 2016


    Der Comedian (obwohl er diese Bezeichnung hasst) Heinz Strunk heißt eigentlich Mathias Halfpape, wurde 1962 in Hamburg geboren und betätigt sich nebenbei (oder hauptsächlich - wie man will) als Schriftsteller. Bis vor kurzem hatte ich ihn nicht wahrgenommen. Doch da seit Wochen sein neues Buch in den höchsten Tönen gelobt wird, inzwischen auf der Bestsellerliste steht und mich dessen Thema interessierte, habe ich es mal mit dem Hörbuch versucht, das von Strunk persönlich gelesen wird (zum Glück, kann man nur sagen, aber dazu sogleich).

    In "Der goldene Handschuh" zeigt uns Strunk ein Milieu, in das sicher keiner von uns jemals hineingeraten möchte: Die Welt der heruntergekommenen, alkoholkranken Existenzen auf St. Pauli, Hamburg. Dort trieb in der ersten Hälfte der 70er Jahre der Serienmörder Fritz Honka sein Unwesen, der in seiner Wohnung vier Prostituierte ermordete, zerstückelte und in Müllsäcken aufbewahrte, bis er durch einen Zufall aufflog. Der Fall sorgte damals für einen gewaltigen Medienrummel. Sowohl Täter als auch Opfer entstammten dem Alkoholikermilieu, alle Opfer lernte Honka in der ebenso versifften wie knüppelharten Kneipe "Zum goldenen Handschuh" kennen.

    Heinz Strunk beschreibt das letztlich ausweglose Dasein von Honka und der vielen anderen armen Teufel, die aus Verzweiflung in den Handschuh oder ähnliche unterste Absteigen geraten sind und sich dort endgültig mit Kornbrand und Gewalttätigkeiten kaputtmachen. Manchmal flammt in Honka in den seltenen klaren Momenten zwischen seinen Schnapsflaschen in seiner dreckigen Kleinstwohnung in einer von Hamburgs damals übelsten Gegenden der Wille auf, doch noch in ein stinknormales Leben zu finden. Doch hat er, durch schreckliche Vorfälle in seiner Jugend ohnehin an Körper und Seele beschädigt, nie die Kraft, sich dauerhaft gegen den Abwärtsstrudel aufzubäumen. So versackt er immer wieder im "Handschuh" und nimmt dort obdachlose abgerissene alte Frauen mit, die für für ein Dach über'm Kopf und Schnaps bereit sind, sich seinen perversen Sexphantasien hinzugeben.

    Weil Heinz Strunk offenbar der Meinung war, allein die Nacherzählung der Geschichte des Mörders Honka hätte das Buch nicht getragen (zu Unrecht, finde ich), gibt es noch einen zweiten Erzählstrang aus einer (fiktiven) gehobenen Hamburger Reederfamilie, deren Mitglieder innerlich genauso verdorben oder äußerlich genau so arme Würstchen sind wie Honka und Konsorten. Hauptfiguren dabei sind der Patriarch, der wegen seiner Taten im Dritten Reich geächtet ist, ein Anwalt mit sexuellen Gewaltphantasien auf der Suche nach der "richtigen" Frau und ein Jüngelchen im Teenageralter, der hoffnungslos in ein Mädchen aus seiner Schule verknallt ist und sie, um ihr zu imponieren, zu einer Sauftour durch St. Pauli einlädt, wo sie letztlich auch im "Handschuh" landen ...

    Strunk schreibt trotz des trostlosen Themas nicht ohne Mitleid für seine Figuren. Er führt sie nicht vor, sondern zeigt nur ehrlich, wie die äußere und innere Realität dieser Menschen aussieht. Dabei scheut er konsequenterweise nicht davor zurück, das Elend genau zu beschreiben, ohne dabei in Klischees oder spekulative Gewaltorgien abzugleiten. Er hat den Fall Honka durch (ausnahmsweise gestattete) Einsicht in dessen Prozessakten genau studiert.

    Natürlich ist das kein Stoff für Zartbesaitete oder Frohnaturen, die von den Schattenseiten dieser Welt möglichst nichts wissen wollen. Wenn man das Buch gelesen bzw. gehört hat, schwankt man zwischen einem Gefühl der Bedrückung, dass es so etwas damals gab (und heute bestimmt immer noch gibt - wer mag, soll doch mal eine typische Säuferkneipe betreten) und der Erleichterung, dass man nicht so tief gesunken ist und einen die Umstände und das Schicksal wohl hoffentlich auch niemals dorthin bringen werden.

    Im Buch gibt es viel Hamburger Lokalkolorit und entsprechende Sprache. Beides kann man aber verstehen, auch ohne die Stadt zu kennen. Heinz Strunk liest im Hörbuch (da er ja selbst aus Hamburg stammt) Text und Dialoge in einem schnellen, nuscheligen Hamburger Sabbelton, durch den Figuren und Handlung noch lebensechter wirken und der daher absolut passend ist.

    Fazit: Wer sich traut, sollte sich an dieses Buch oder Hörbuch heranwagen. Aber auf eigene Gefahr, denn er wird es bestimmt nicht all zu schnell wieder vergessen ...

  • Eine sehr schöne Rezension H. Hatch. Über den Fall "Fritz Honka" hatte ich in der Vergangenheit schon etwas gelesen. Eine Dokumentation habe ich auch mal gesehen, die ihn zum Gegenstand hatte. Der Roman von Heinz Strunk scheint noch einmal ein anderes Licht auf die Sache zu werfen, bzw. andere Schwerpunkte zu setzen. Das macht ihn natürlich reizvoll.

    Beileibe nicht jeder gute Autor ist auch ein guter Vorleser. Strunk scheint aber einer von jenen Leuten zu sein, die beides draufhaben. Eine tolle Sache, zumal er ja selbst aus Hamburg stammt und sein Dialekt für zusätzliche Atmosphäre sorgt. Positiv habe ich auch zur Kenntnis genommen, dass es sich um eine ungekürzte Lesung handelt. Denn nur solche Lesungen kommen für mich überhaupt in Frage. Von den Verlagen selbstherrlich zurechtgestutzte Hörbücher gebe ich mir nicht.

    Deine Besprechung hat mich neugierig gemacht, und darum werde ich "Der goldene Handschuh" als zukünftige Anschaffung auf meine Liste setzen.

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