Buch: Wozu wir fähig waren

  • Inhalt (Klappentext):
    „Unna - eine westfälische Kleinstadt am Rande des Ruhrgebiets im Herbst 1978: Am Ufer der Ruhr brennt eine Leiche und ein Mann sieht seine Stadt aus einer ungeahnten Perspektive.
    Wir waren fünf. Vier Freunde und Udo. Er war älter und glaubte, clever zu sein.
    Ein Roman über einflussreiche Lokalpolitiker, erste Drogen, einen Benzinkanister und das Ende unserer Jugend. Wir mussten erkennen, wozu wir fähig waren.“

    Kritik:
    Nie, niemals hätte ich mir dieses Buch gekauft. Die unspektakuläre Aufmachung, der „komische“ Titel, die merkwürdige Inhaltsangabe hätten mich ob meiner Affinität zu spektakulärer Trivialliteratur einfach zu sehr abgeschreckt – oder um es verträglicher zu formulieren: Mich hätte es einfach nicht gereizt, meine mir wertvolle Zeit gerade in diesen Roman zu investieren.

    Nun hat diesen Roman aber Raimon Weber geschrieben. Für mich Grund genug, doch einmal einen Blick zu riskieren. Immerhin hat der gute Raimon als Autor doch recht prominent die exorbitant guten Hörspielserien Gabriel Burns und Point Whitmark initial auf den Weg gebracht.

    Also habe ich mich trotz der recht blassen Aufmachung ans Lesen gemacht…
    Ehrlich? Ich hatte nicht die Erwartung über ein durchschnittliches Maß hinaus „gut“ unterhalten zu werden. Ich nahm an, eine heroische Jugendstory aus den siebziger Jahren präsentiert zu bekommen, die sich in der Beschreibung von typischen Klischees der Zeit verliert und verklärte Remineszenzen an verblasste Erinnerungen lau aufwärmt. Die Rappelkiste lässt grüßen dachte ich bei näherer Betrachtung des Buchcovers. …

    Tja, wieder ein Vorurteil, das ich revidieren durfte.

    Der Roman ist nämlich ein typischer „Weber“ und transportiert einen entsprechenden Unterhaltungswert. Was das heisst?

    Der Leser bekommt hier eine vielschichtige, abwechslungsreiche, spannende, düstere und in der Auflösung zum Ende hin höchst überraschende Story geboten, die ihn vom Fleck in den Bann zu ziehen vermag. Weber entwickelt die Handlung zunächst langsam und bedächtig und verwirrt den Leser im ersten Schritt ob des eigentlichen Plots. Er nutzt die Zeit, um durch eine dezidierte Charakterzeichnung der in der Geschichte agierenden Personen eine faszinierende emotionale Grundstimmung zu generieren und den Prota- besser Antagonisten gekonnt „Leben“ einzuhauchen.

    Es geht um Jugendliche, ums Biertrinken, um gemeinsames Musikmachen, um Drogen – zumindest am Anfang der Geschichte. Hört sich profan und uninteressant an? Vertraut mir, ist es nicht! Denn der Anfang der Story ist der fesselnde Auftakt zu einem sich immer übler entwickelnden Psychodrama. Gerade fragt man sich wohin der Autor den Leser wohl auf die Reise schicken mag und was die die Zeitlinie des Erzählers aufbrechenden kurzen inhaltlichen Einschübe wohl zu bedeuten haben, da konfrontiert Weber den Leser mit dem eigentlichen Thema des Romans und lässt ihm damit keine weitere Zeit fürs Nachdenken. Plötzlich, unverhofft, abrupt, schockierend. Aus einem beschaulichen Trip ausgelassener Jugendlicher wird ein grausames Horrorszenario. Mit einem Mal kippt die Szenerie, werden die Teens mit einer Situation konfrontiert, die vollkommen surreal anmutet und für jeden einzelnen von Ihnen einen lebenslang andauernden Albtraum garantiert. By the way: Genau hier offenbart sich die wahre Bedeutung des Titels der Geschichte.

    Bombastisch! Die krasse Konfrontation von gerade noch erlebter Normalität und sich plötzlich ergebener Anormalität wirkt umso böser, als sie in einen absolut glaubhaften Kontext projiziert wird und damit einen echten, authentischen Bezug zur Lebenswelt des Lesers darstellt.

    Man ertappt sich bei Gedankenspielen und muss sich selbst letztlich zugestehen: „Scheisse“, hätte mir auch passieren können!!!!
    Damit ist das Ziel, den Leser emotional anzusprechen, aufzuwühlen, ihm die Realität des Geschehens glaubhaft zu verkaufen schon einmal erreicht. Die Erzählweise zieht den Zuhörer mitten in das Geschehen hinein – und genau das verstört ob der sich brutal offenbarenden Wahrheit.

    In diesem Sinne wird das Weiterlesen zur Sucht. Und Weber kippt das Geschehen erneut. Das Ende der Story ist irre und so unvorhersehbar, dass es einem im wahrsten Sinne des Worte kalt den Rücken herunterläuft. Und dies doch wirklich in zweierlei Hinsicht!!!

    Fazit:
    Ein faszinierender Krimi, der auf perfide Weise mit dem Leser spielt und vollkommen zu Unrecht in einer so schlechten Aufmachung daherkommt. Die Intelligenz der Story verblüfft. Insbesondere ob der unglaublichen Akribie mit der augenscheinlich im Roman präsentierte Nebensächlichkeiten zu guter Letzt handlungstragend und bedeutsam werden. Das Ende der Story lässt erahnen, dass die Geschichte, so unglaublich es erscheinen mag, wohl durchaus den ein- oder anderen authentischen Bezug zum Autor offenbart. Bloß welchen?, das werden wir wohl nicht erfahren….

    Quelle

    © Oliver Schulte
    Online: 03.12.2006

    Bezug des Romans über den Buchhandel oder Bestellung direkt unter 02303/155-00

    Ruhr.Tod.Roman
    Titel: Wozu wir fähig waren
    Autor: Raimon Weber

    Verlag: Verlag im Bücherzentrum
    ISBN: 3-9809261-1-7
    Preis: 10,- Euro

    Gruß
    Der
    Olli

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    Totgesagte leben länger!

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