Als Sprecher blicke ich dieser Entwicklung natürlich recht besorgt entgegen. Dabei will ich gar nicht erst das Fass rund um eine moralische Diskussion aufmachen, sondern betrachte die ganze Sache in erster Linie auch aus künstlerischer Sicht. Christian Rode und Peter Groeger waren ja nicht nur Meister ihres Berufes, die ihr ganzes Leben dem Handwerk als Schauspieler und Sprecher gewidmet haben. Nein, es war das ganz besondere Zusammenspiel in den Rollen von Holmes und Watson, was ihre Performance dieser beiden Kultfiguren so beliebt und großartig machte. Feine Nuancen im Dialogspiel, die den Figuren eine ganz eigene Persönlichkeit und besonderen Charme gaben. Das kann eine KI nicht liefern oder gar imitieren, weil das auf ein zutiefst menschliches Zusammenspiel zurückgreift, das zu meistern einen guten Sprecher - oder wie in diesem Fall ein gutes Sprecher-Zusammenspiel auszeichnet.
Hinzu kommen weitere kleine Details, die Lebendigkeit und Charme vermittelten. Ein leises und amüsiertes Lachen von Holmes über Watson, wenn dieser wieder einmal nicht auf die für Holmes naheliegendste Lösung zu kommen schien. Holmes hörbares Ziehen an seiner Pfeife, die er wieder einmal beim Sprechen nicht aus dem Mund nahm. Ein geräuschvolles Frühstück, bei dem Holmes und Watson hörbar ihren Tee schlürften oder auch mal mit vollem Mund sprachen. Das waren absolut liebevolle und wichtige Details, die das Sprecherduo absichtlich immer wieder in die umfangreichen Dialogszenen einwarf, um den Figuren Lebendigkeit und Charme zu vermitteln. Dazu ein kleiner Seufzer hier und da, Worte die ganz bewusst in ihrer Betonung eine gewisse Zweideutigkeit äußern. Einen Subtext, den eine KI nur schwer oder gar nicht deutlich machen kann. Weil sie ihn nicht versteht. Und er im Text alleine oft nicht richtig transportiert werden kann. Oder auf Spontanität beruht, die bei einem guten Sprecher gerne einmal dafür sorgt das ein schriftlich eher farbloser Text seine ganz individuelle Farbe, seine "menschliche Note" erhält. Kurz gesagt: die hohe Kunst des guten Sprecherhandwerks auf absolut meisterlichem Niveau.
Das geht meinem Empfinden nach mit KI komplett verloren, macht die Figuren Seelenlos und zu einer stimmlichen Erinnerung, ohne auch nur im Ansatz die einstige darstellerische Tiefe und Qualität zu erreichen. Das Tempo im Dialogspiel wirkt oft unpassend, manche Betonungen greifen nicht richtig ineinander und wirken dadurch manchmal wie schlechtes Schauspiel - was dem Lebenswerk der beiden Künstler überhaupt nicht gerecht wird, im Gegenteil. Selbst wer kein gutes Ohr für diese große Änderung in der Performance haben mag, wird über kurz oder lang feststellen das hier irgendetwas fehlt. Die "schauspielerische Seele", die hohe Kunst des Handwerkes, dass man als Schauspielsprecher in diesem Bereich sein Leben lang in bestmöglicher und professioneller Form liefert. Als Hörer eines Audiowerkes ist es doch nicht nur die Stimme, die uns einschmeichelt oder die für uns einen hohen Wiedererkennungswert hat. Sie alleine ist nicht mehr als ein schönes Instrument, dessen größter und menschlichster Zauber sich jedoch erst im Spiel und nicht im Klang allein entfaltet. Und am Ende besteht das Vermächtnis eines Künstlers aus den Werken, die er uns durch sein Schaffen zu Lebzeiten hinterlässt.