De/Vision - Citybeats (2018) - Review

  • Citybeats...was genau erwarte ich darunter? In meiner langjährigen Hörerkarriere im De/Vision-Kosmos hab ich mich nie um Albentitel geschert. Manchmal waren sie zutreffend, wie beim emotional zerütteten "Two" oder dem Producerneuland "Noob", doch ab und an schlicht dem hyperelektronischen Wohlfühlklima untergeordnet.

    Diesmal will ich mehr. Unter der Flagge des 30jährigen Jubiläums peitschen Elektrowellen durch urbane Häuserschluchten, wirbeln an gläsernen Fassaden vorbei gen, von gleißenden Neonleuchtreklamen, tapezierten Horizont. Pulsierend, lebendig und dennoch voll fragmentierter Erinnerungsfetzen auf dem dampfenden Asphaltgrund treibend.
    Das Cover verdeutlicht die gesichtslose Anonymität der klagenden Metropole in der Skizzierung streng blockhafter Häuserreihen in stahlgrauen Schablonenfarben. Hinter jedem Mauerwerk tiefgreifende Geschichten, Emotionen, Ideen.

    So die blanke Theorie. Die Ausführung stockt jedoch zunächst. Der Opener befasst sich mit der Schwüle nächtlicher Strömungen, sanfter Wind haucht durch die Stille. Illuminierte Fensterfronten, als vage Lichtpunkte in der Ferne verleiten zum Sinnieren.

    Doch das Soundbild skizziert (und das sei als Spoiler schonmal verraten) hier wie auch auf der Gesamtlänge ein melancholisch verschwommenes Gerüst, dessen bleierne Schleierwolken wie schwermütig stumme Kollosse auf die Arrangements blicken.

    Gepresste Vocoderflächen und sirenenhafte Synthiesalven befeuern die andächtig geformte Hookline von "In the still of the night", das jedoch in seiner betuchlichen Form höhepunktslos durch die Schwärze wabert. In "Joys of paradise" dominieren kathedralenhafte Glockenschläge die sinnistere Atmosphäre, blass und leer das Gemäuer, schwere Vorhänge im Dämmerlicht wiegend. Keths Gesangsstruktur bewegt sich nostalgisch eingefärbt auf stets dergleichen Ebene. Fast meint man eine Rückbesinnung in die Anfangszeiten angesichts des Jubeljahrs. "Dystopia" setzt noch einen obendrauf. Langgezogen und gespenstisch bahnt sich eine gräuliche Betonmasse von ohnmächtigen Trommelkreisen begleitet ihren Weg durch den Erdgrund, verschlingt, erschüttert das Grün. Was bleibt sind mattfarbene Industrieländereien, bevölkert von metallischen Schattenwesen

    So freudlos diese Vorstellung, so zäh und monoton leider auch die akustische Ausmalung vor dem inneren Auge. Von den erhofften Citybeats bislang zu wenig.

    Die Single "They won't silence us" bekommt eine leichte Soundpolitur, speziell am Anfang, am Ende wurde gekürzt, doch existiert ohnehin
    eine famose extended version. Gleichgeblieben ist der Umstand, es hier mit einem der stärksten De/Vision Tracks seit 8 Jahren zu tun zu haben. Ganz besonders die beschwingte erste Hälfte brilliert mit schwereloser Ästhetik im Klangraum. Vitale Synthieeffekte, ein hochmelodisch kurz angetipptes Tastenthema, Adam als sympathische Zweitstimme. Hier stimmt so vieles. Ich sehe auch flirrende Farbtupfer durch graubraune Lagerhallen tanzen, Tore durchbrechen, hinaus Richtung Skyline.
    Die zweite Halbzeit gibt sich surrend ruhiger, spricht den Hörer direkt an. Hier ist noch lange nicht Schluss.

    "Not in my nature" ist druckvoller, verwegener. Die Grunduntermalung pirscht sich an orange glimmendem Laternenschein vorbei durch verwinkelte Straßenzüge. Die Stimmung ist kühl, doch einnehmend. In der Folge wird das Tempo noch leicht erhöht, pocht elektronisch ausladend dem Nachtschatten entgegen.

    Nun folgt die stärkste Phase des Albums. "The brightest star" glänzt wie ein dunkler
    Diamantenstein in lockender Düsternis. Schwer schreitend, endlich auch elegisch schmeichelnd schmiegt sich die einnehmende Hook an Seiten der nocturnalen Instrumentalisierung.

    "Under heavy fire" ist schließlich die Erfüllung meiner citybeat-affinen Erwartungen. Es blitzt, surrt, glitzert aus den Boxen, der Refrain dazu bleibt stark haften. Keth singt energisch, die Klangwogen funkeln, wirbeln durch den Moloch. In den finalen Momenten lässt Adam den Song atmen, zaubert schon fast eine extended Fassung und zelebriert das artifizielle Momentum.

    Toll! Leider wird dieses Niveau nicht exakt gehalten. "A pawn in the game" bleibt auf der selben Temposchiene, ist jedoch ungleich weniger markant in der Ausfertigung. Die durchgehend vitale Grundstimmung ist nach dem eher schleppenden Albumstart aber zu würdigen.

    Rauchig, roh und bissig. Das folgende "A storm is rising" belebt mit rockiger Struktur Heiligtümer der Void-Dynastie, wischt die Schwermut weg. Hypnotisch und prägnant. Genau das hat das Album zu diesem Zeitpunkt gebraucht. Als Bonus gibt es ein unbeschwert synthgestütztes Motiv welches als eigenes Songoutro fungiert.

    Als Closer betitelt ist stilecht "A last goodbye" vorgesehen. Doch anstatt tragender Ballade ist der Song durchaus tanzbarer. Düstermattiert instrumentalisierte Hintergrundtöne führen den Hörer die steilen Stufen des höchsten Gebäudes inmitten des umtriebenen Cityareals hinauf. An der Spitze dieses stählernen Wächters fällt der Blick auf die entrückte Großstadt in der fahlen Abendsonne mit all ihren Geheimnissen.

    Fazit: Ich hätte mir viel mehr befreiendere Stücke gewünscht, über allem thront eine dumpfe Mechancholie. Gegen ein ruhigeres Werk ist nichts einzuwenden, ein wenig mehr Überraschung, Melodik und Tempo hätten Citybeats gutgetan, dennoch überzeugt eine generell schöne Vielseitigkeit, parallel zur Stadtthematik passend.

  • De/Vision – Citybeats (Limited Tour Edition)

    Mit Citybeats schaffen De/Vision ein urbanes Klangbild, das die pulsierende Seele der Großstadt hörbar macht – eine Metapher für das Leben zwischen Isolation und Gemeinschaft, zwischen Lärm und Stille. Die Band zeigt sich hier als Chronistin moderner Gefühlswelten: jedes Stück ein Spiegel der Gegenwart, jedes Arrangement eine Straße, ein Gebäude, ein Lichtschein im nächtlichen Regen.

    Das Album ist weniger eine Erzählung als eine Atmosphäre, ein emotionales Stadtpanorama. Die Stücke folgen keinem linearen Konzept, doch sie wirken in ihrer Gesamtheit wie Kapitel eines nächtlichen Spaziergangs durch eine Stadt, die niemals schläft. Zwischen Einsamkeit und Aufbruch, zwischen Rückzug und Rebellion entsteht ein poetisches Gleichgewicht, das Citybeats zu einem der stimmungsvollsten Werke der Band macht.

    Der Klang von Citybeats ist zugleich vertraut und neu – ein Synthpop mit gläserner Klarheit und tiefem Puls. De/Vision setzen auf warme, fließende Elektronik, die nicht von Effekten lebt, sondern von Struktur, Rhythmus und Gefühl.

    Produktionstechnisch ist das Album von einer fast minimalistischen Eleganz. Nichts wirkt überladen, nichts drängt sich auf. Jeder Ton findet seinen Platz, jede Schicht des Arrangements hat Bedeutung. Die Beats pulsieren wie das Herz einer nächtlichen Metropole, während die Melodien sich durch die Dunkelheit schlängeln – melancholisch, nachdenklich, aber stets schön.

    Besonders die Limited Tour Edition zeigt, wie bewusst De/Vision mit Raum und Dynamik umgehen. Die Bonus-Titel erweitern das Klangbild um neue Facetten: kraftvoller, düsterer, experimenteller. So wirkt das Album in dieser Edition vollständiger – wie ein Blick hinter die Fassaden der Stadt, die im Hauptalbum nur angedeutet wurde.

    1. In the Still of the Night - Ein leiser Beginn. Zarte Synthesizerflächen und sanfte Rhythmen führen in eine Nacht voller Erwartung. Die Stimmung ist melancholisch, fast filmisch – wie das Erwachen einer Stadt, die sich langsam aus der Dunkelheit erhebt.

    2. Joys of Paradise - Ein heller, melodischer Kontrast. Hoffnung und Nostalgie verschmelzen zu einer sanft treibenden Hymne. Der Song ist wie ein Sonnenaufgang über Beton: warm, verhalten, aber voller Energie.

    3. Dystopia - Ein dunkles Herzstück – klares Statement gegen Gleichgültigkeit und gesellschaftliche Entfremdung. Die Synthesizer klingen kalt, die Melodie bleibt im Kopf, der Text hallt nach. Ein Meisterstück moderner Melancholie.

    4. They Won’t Silence Us - Der zentrale Song des Albums. Kraftvoll, aufrüttelnd, zugleich zutiefst emotional. Zwischen elektronischem Puls und hymnischem Refrain entsteht ein Song über Mut, Haltung und Selbstbehauptung. Hier verdichtet sich das Konzept von Citybeats zu einem eindrucksvollen Manifest.

    5. Under Heavy Fire - Ein Stück innerer Spannung – ruhiger, bedrängender. Hier zeigt sich das Können der Band, Emotionen mit minimalistischen Mitteln zu transportieren. Die Musik scheint still zu stehen, während die Worte weiterlaufen.

    6. A Pawn in the Game - Ein Song über Anpassung, Kontrolle, das Gefühl, Spielball einer größeren Macht zu sein. Elegant, rhythmisch präzise, mit einem Refrain, der sanft nachklingt.

    7. Not in My Nature - Der vielleicht ehrlichste Song des Albums. Zart, persönlich, verletzlich. Steffen Keth singt mit einer Klarheit, die berührt, ohne Pathos, aber mit Tiefe. Ein stiller, eindringlicher Höhepunkt.

    8. Synchronize - Kühl, pulsierend, hypnotisch – fast mechanisch und doch lebendig. Ein Paradebeispiel dafür, wie De/Vision urbane Strukturen in Klang übersetzen. Der Song zieht einen in seinen Rhythmus, ohne laut zu werden.

    9. Last Goodbye - Ein leiser Abschied, getragen von Wehmut und Wärme. Die Synthflächen lösen sich langsam auf, der Gesang klingt nach, wie das Echo einer letzten Erinnerung. Ein würdiger Schluss des regulären Albums.

    Bonus-CD der Limited Tour Edition

    1. They Won’t Silence Us (Short Cut) - Eine kompaktere, fokussierte Version des Hauptsongs. Straffer, direkter, ideal für die Bühne. Der Song verliert nichts an Kraft – im Gegenteil: die Kürze verleiht ihm zusätzliche Dringlichkeit.

    2. Reclaim Your Throne - Einer der stärksten Bonus-Titel. Treibend, dunkel, energiegeladen. Die Thematik – Selbstbehauptung und innere Stärke – passt perfekt in den thematischen Kosmos des Albums. Ein Song, der die rebellische Seite von De/Vision betont und das urbane Konzept um eine kämpferische Dimension erweitert.

    3. I Don’t Believe in a Broken Heart - Ein Stück zwischen Melancholie und Hoffnung. Hier blitzt das klassische De/Vision-Gefühl auf: sanfte Melodie, klare Struktur, bittersüßer Refrain. Ein Lied über Verlust, das sich weigert, traurig zu sein – und genau darin seine Stärke findet.

    4. A Demon’s Hand, Buddha’s Heart - Der experimentellste Titel der Bonus-CD. Dunkel, spirituell aufgeladen, mit fernöstlich anmutender Klangästhetik. Der Song erzählt von Zwiespalt, inneren Kämpfen und der Suche nach Frieden – musikalisch dicht, textlich vielschichtig. Eine faszinierende Ergänzung, die Citybeats neue Tiefen verleiht.

    5. They Won’t Silence Us (Extended Version) - Das große Finale. Eine ausgedehnte, clubtaugliche Version, die den Song in seiner ganzen Kraft entfaltet. Die Struktur bleibt erhalten, doch der zusätzliche Raum lässt die Synthflächen atmen, die Beats wirken noch monumentaler. Ein würdiger Abschluss der Tour-Edition, der das urbane Konzept in pure Energie verwandelt.

    Steffen Keth bleibt der ruhende Mittelpunkt. Seine Stimme trägt das Album mit jener charakteristischen Mischung aus Melancholie, Klarheit und Sanftheit. Jeder Song lebt von seiner emotionalen Präsenz – er erzählt nicht, er spürt.

    Die Texte wirken wie Tagebucheinträge eines stillen Beobachters: leise Proteste, stille Bitten, Bekenntnisse. „They Won’t Silence Us“ steht sinnbildlich für den Wunsch nach Ausdruck in einer lauten, gleichgültigen Welt. Gleichzeitig zeigen Stücke wie „Not in My Nature“ und „I Don’t Believe in a Broken Heart“, dass Verletzlichkeit keine Schwäche ist, sondern Ausdruck von Stärke.

    Das Artwork von Citybeats ist kühl, geometrisch, anonym – und genau darin liegt seine Schönheit. Stahl, Glas, Lichtreflexe, Schatten: Es ist das visuelle Echo der Musik, die von urbaner Fremdheit und Sehnsucht erzählt. Die zurückhaltende Gestaltung spiegelt die kühle Klarheit des Albums und seine emotionale Präzision wider.

    In der Tour Edition wirkt das Gesamtpaket noch wertiger – ein schlichtes, aber ästhetisches Design, das die Modernität und Zeitlosigkeit des Albums perfekt einfängt.

    Citybeats (Limited Tour Edition) ist die vollendete Form eines ohnehin starken Albums. Wo die reguläre Version bereits als geschlossenes, atmosphärisches Werk überzeugt, erweitert die Bonus-CD das Klangspektrum um Tiefe, Mut und Experimentierfreude.

    De/Vision beweisen hier, dass sie auch nach Jahrzehnten relevant bleiben, weil sie sich treu bleiben. Citybeats ist keine Sammlung von Hits, sondern ein Gesamtwerk – ein Album, das wächst, je länger man sich ihm aussetzt. Es fordert Ruhe, Aufmerksamkeit und die Bereitschaft, zwischen den Tönen zu hören.

    Für Fans ist die Limited Tour Edition die definitive Fassung: vollständig, stimmungsvoll und emotional ausgewogen. Für alle anderen ist sie ein stiller Beweis dafür, dass Synthpop noch immer Herz haben kann.

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