Die Triffids
Ein kosmisches Schauspiel leuchtet über den Himmel von London – ein grün schimmernder Kometenschwarm, der die Menschheit begeistert in die Nacht blicken lässt. Doch am nächsten Morgen ist alles anders: Fast die gesamte Weltbevölkerung ist erblindet. Nur wenige, wie der Biologe Bill Mason, der sich während des Ereignisses in einem Krankenhaus mit verbundenen Augen befand, behalten ihr Augenlicht. In dieser postapokalyptischen Welt beginnen die Triffids – hochintelligente, bewegliche Pflanzen mit tödlichem Giftstachel – ihre Herrschaft auszudehnen. Mason kämpft nicht nur gegen die Pflanzen, sondern auch gegen den moralischen Verfall der Gesellschaft und sucht einen Weg, um das Überleben der Menschheit zu sichern.
Mit der 1968 vom Westdeutschen Rundfunk produzierten Hörspieladaption von John Wyndhams Klassiker Die Triffids liegt ein beeindruckendes Beispiel für intelligentes Science-Fiction-Erzählradio vor. In einem Zeitalter, das noch keine spektakulären Effektgeräte oder opulenten Soundkulissen kannte, verlässt sich die Inszenierung ganz auf die Kraft des Textes und der Stimmen – und genau das macht sie bis heute so eindrucksvoll. Diese radiophone Endzeitvision wirkt wie ein stilles Echo aus einer Zeit, in der Zukunft noch als Denkexperiment verstanden wurde – erschreckend, philosophisch, zurückhaltend.
Giles Coopers Hörspielbearbeitung konzentriert sich auf Rückblenden, mit denen Protagonist Bill Mason seine Geschichte nacherzählt – ein erzählerischer Rahmen, der sowohl Nähe als auch Nachdenklichkeit erzeugt. Der Schrecken der Triffids, das langsame Zerfallen der gesellschaftlichen Ordnung, die Einsamkeit der Überlebenden – all das wird mit ruhiger, fast lakonischer Distanz vermittelt. Die Geschichte entwickelt ihre Kraft nicht aus dramatischer Zuspitzung, sondern aus der nüchternen Feststellung des Unabwendbaren. Besonders stark ist die erzählerische Tiefe: Die verschiedenen Modelle von Gemeinschaft, Ordnung und Ethik, die nach dem Zusammenbruch ausprobiert werden, wirken erschreckend realistisch und bieten reichlich Raum zur Reflexion.
Hansjörg Felmy als Bill Mason ist eine Idealbesetzung. Seine Stimme strahlt Autorität, Nachdenklichkeit und emotionale Zurückhaltung aus – genau die Mischung, die diese Rolle verlangt. Margot Leonard als Josella bringt leise Wärme und Intelligenz ein, während Heinz Schimmelpfennig, Peter René Körner und viele andere aus dem klassischen WDR-Ensemble dieser Ära dem Hörspiel große Ernsthaftigkeit verleihen. Die Stimmen sind zurückgenommen, nie überzogen – und gerade dadurch so glaubwürdig. Es ist ein Sprechstil, der heute selten geworden ist: unaufdringlich, literarisch, präzise.
Was dieses Hörspiel besonders auszeichnet, ist seine Sparsamkeit. Musik ist kaum vorhanden – und wenn, dann meist dezent eingesetzt. Die Triffids bekommen eine eigene akustische Identität: zischend, raschelnd, sirrend – stets bedrohlich. Doch ansonsten herrscht Stille, die sich wie ein akustischer Nebel über das Geschehen legt. Geräusche sind punktuell gesetzt und verstärken die Atmosphäre der Isolation. Das Werk verzichtet bewusst auf Effekthascherei und gewinnt gerade dadurch seine beklemmende Wirkung. Die nüchterne Soundgestaltung unterstreicht die zentrale Frage des Hörspiels: Was bleibt vom Menschen, wenn seine Welt untergeht?
Das Cover der DAV-Edition ist grell und modernisiert: violett leuchtende Triffid-Gebilde über der Erdkugel, ein starker Kontrast zur eher reduzierten Inszenierung im Inneren. Zwar mag es visuell etwas aus der Zeit gefallen wirken, doch es zieht den Blick auf sich und gibt der Produktion eine klare visuelle Identität. Das Cover will auffallen – das Hörspiel hingegen wirkt aus der Tiefe.
Die Triffids ist kein modernes Mainstream-Hörspiel – und will es auch nicht sein. Es ist ein Meisterwerk der leisen Töne, das von seinen Stimmen, seiner zurückhaltenden Inszenierung und der Kraft der Geschichte lebt. Die Endzeit erscheint hier nicht als Spektakel, sondern als schleichende Erosion von Menschlichkeit, Ordnung und Gewissheiten. Wer Science-Fiction jenseits von Explosionen und Aliens liebt, wer das gedankliche Spiel mit Gesellschaft, Moral und Überleben sucht, findet in dieser WDR-Produktion ein fast philosophisches Hörereignis. Ein Werk für die ruhigen Stunden – und für die großen Fragen.