Heißer Schnee (SDR 1972)

  • Heißer Schnee (SDR 1972)

    Lucy, eine junge britische Modedesignerin, wähnt sich am Beginn ihrer Karriere: Ihr erstes großes Modelabel startet mit einer Lieferung nach Norwegen. Die Kleider sollen per Spedition verschickt werden, und bald lernt Lucy den charmanten Spediteur Stephen kennen. Doch der Schein trügt – denn weder Lucy noch Stephen wissen, dass sie unwissentlich in einen Drogenschmuggel verwickelt wurden. Als Stephen in Norwegen ankommt, gibt es keine Spur von einer Kleiderbestellung. Langsam entfaltet sich ein Netz aus Täuschung, Vergangenheit und Verrat.

    „Heißer Schnee“ gehört zu jenen dichten Kriminalhörspielen der frühen 1970er, in denen Atmosphäre und leise Zwischentöne wichtiger sind als vordergründige Action. Die Geschichte nimmt sich Zeit für ihre Figuren, öffnet die Szenerie vorsichtig und lässt durch Andeutungen und stimmungsvolle Dialoge eine unterschwellige Spannung entstehen. Die Wahl der norwegischen Schauplätze trägt zur entrückten Kühle bei – ein Kontrast zur inneren Hitze, die sich zwischen den Figuren aufbaut. Jessica Hallsmiths Stoff, klug ins Deutsche übertragen, wird vom Studio 13 als psychologisch grundiertes Krimidrama inszeniert, das weniger durch Tempo als durch Charakterzeichnung besticht.

    Günther Sauer setzt auf Zurückhaltung und Spannungsaufbau durch Zwischentöne. Die Beziehungen zwischen Lucy, Stephen, Ken und Marion wirken nie plakativ, sondern changieren in Zwielicht. Die Handlung entfaltet sich organisch, mit kleinen Irritationen, verpassten Momenten und flüchtigen Andeutungen, die sich im Kopf der Hörer zusammensetzen. Die Tonregie arbeitet dezent, mit leisen Hintergrundgeräuschen, Hafenklängen, Telefonstimmen – selten drängt sich etwas in den Vordergrund. Diese Ruhe verstärkt das Unheimliche. Die Musik ist spärlich, fast unscheinbar eingesetzt – ein Kontrapunkt zur allmählich steigenden Bedrohung. Besonders gelungen ist die Gegenüberstellung von öffentlicher Geschäftigkeit und persönlicher Isolation: Lucy steht allein inmitten einer betrügerischen Welt.

    Marianne Mosa gibt Lucy eine Mischung aus Neugier, Verletzlichkeit und wachsender Entschlossenheit – ein stimmlich sehr wandelbarer Auftritt. Charles Wirths als Stephen ist überzeugend zwischen Charme und Zweifel, sein Ton wird im Verlauf nachdenklicher. Horst Michael Neutze verleiht dem zwielichtigen Fahrer Ken eine bedrohliche Nonchalance, während Rosemarie Fendel als Marion eine Mischung aus undurchsichtiger Fürsorge und Manipulation einbringt. In den Nebenrollen brillieren u.a. Dieter Eppler, Hans-Peter Bögel und Rebecca Völz mit markanten Kurzauftritten, die das Milieu plastisch gestalten.

    Die technische Realisation unter Walter Jost und Gerda Schimmel bleibt unaufdringlich, aber präzise. Der Klangraum wirkt realistisch, sei es bei Telefonaten, in der Spedition oder auf dem Hafen – nie überinszeniert, aber glaubhaft. Die Geräusche verstärken die Stimmung subtil, besonders in den Passagen, in denen Unsicherheit und Misstrauen dominieren. Die wenigen Musikakzente sind sparsam und gezielt gewählt, was die Dramatik der Handlung nicht stört, sondern verstärkt. Auch Pausen und Stille werden dramaturgisch bewusst eingesetzt – ein seltenes Stilmittel, das hier hervorragend wirkt.

    Das Foto – ein künstlerisch verwischtes Porträt einer Frau in Weiß – passt hervorragend zur Handlung: Identitätsunschärfe, Täuschung, Fragmentierung. Es wirkt wie ein Echo der Hauptfigur, die versucht, sich aus den Nebeln des Betrugs zu befreien. Kein klassisches Krimi-Motiv, sondern ein symbolisches – und gerade deshalb so treffend.

    „Heißer Schnee“ ist ein feinsinniges, psychologisch unterlegtes Kriminalhörspiel mit stiller Wucht. Die Handlung entfaltet sich langsam, aber mit steter Steigerung, getragen von exzellenten Sprechern und einer atmosphärisch klugen Regie. Kein lauter Reißer – sondern ein subtiles Drama über Täuschung, Vertrauen und Verrat. Ein starkes Stück Radiokunst aus dem Jahr 1972 – und ein kleines Juwel in der Reihe Aus Studio 13.

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