Die Arwinger - 1. Kind des Pestschiffes
Johann Torn, Sohn eines Henkers im Schleswig des 15. Jahrhunderts, will seinem vorgezeichneten Schicksal entkommen. Nach dem Tod des Vaters sucht er den Ausbruch – und landet als einziger Überlebender eines Pestschiffes ausgerechnet in den Fängen einer Piratenbande. Zunächst ein Fremdkörper unter rauen Seelen, beginnt sein zäher Aufstieg in eine Welt aus Faustrecht, Loyalität und wankender Moral. Der Weg in die Reihen der berüchtigten „Arwinger“ ist kein leichter – doch Johann ist gewillt, seinen Platz in dieser neuen Welt zu behaupten.
Mit Kind des Pestschiffes startet eine der wohl atmosphärisch dichtesten deutschen Piratenhörspielreihen der letzten Jahre. Was zunächst klingt wie ein klassisches Abenteuer mit hanseatischer Kulisse, entpuppt sich als psychologisch klug erzähltes Charakterdrama, das tief in die rauen Lebensbedingungen einer untergegangenen Zeit eintaucht. Die Asgard-Produktionen lassen Historie nicht durch Exposition erklären – sie wird atmend, stinkend, lebendig erzählt. Und genau das macht den Einstieg in diese Serie so bemerkenswert.
Michael Reffi, kreativer Kopf hinter Regie, Musik und Geräuschkulisse, inszeniert die Geschichte mit filmischer Präzision. Der Rückblickrahmen – Johann Torn berichtet aus dem Kerker – verleiht dem Geschehen eine elegische Tiefe, während der eigentliche Plot mit klarer Struktur und spannungsreicher Dramaturgie voranschreitet. Reffi versteht es meisterlich, Dialogszenen mit Atmosphäre zu ummanteln: das Knarren von Planken, das Peitschen der Wellen, das dumpfe Husten eines Kranken auf dem verseuchten Schiff. Alles wird zum akustischen Erzählfaden. Der Spannungsbogen wird ruhig, aber stetig gespannt, mit gekonnt gesetzten Cliffhangern. Besonders stark gelingt der Kontrast zwischen der Enge der Kerkerzelle und der Weite des Meeres – ein Sinnbild für Johanns Seelenzustand.
Martin Sabel überzeugt in der Hauptrolle als Johann Torn mit differenzierter, verletzlicher Darstellung. Seine Stimme trägt die Geschichte, mal trotzig, mal verzweifelt, mal mit wachsendem Selbstbewusstsein. Ulrich Bähnk als verschrobener Kerkermeister bringt eine willkommene Portion Schrulligkeit ins Spiel, während Stephan Schad und Robert Kotulla mit kernigem Timbre echte Piratenfarben setzen. Janis Zaurins, Lars Ceglecki und Francisco Soria Vega füllen ihre Rollen glaubwürdig mit Leben – keine Überzeichnung, keine Klischees, sondern glaubhaft gesprochene Figuren mit Kanten. Dass viele Stimmen unbekannt sind, wirkt erfrischend – man hört den Charakter, nicht den prominenten Namen.
Die Klanggestaltung gehört zum Besten, was der deutsche Hörspielmarkt im Independent-Bereich zu bieten hat. Die Geräusche wirken wie direkt vor Ort aufgenommen – sei es das Quietschen eines Bootsblocks oder das schwappende Wasser im Bauch des Schiffes. Besonders hervorzuheben ist die Musik von Reffi selbst: mittelalterlich inspiriert, atmosphärisch, niemals aufdringlich, stets stimmig. Die Tracks weben sich wie Nebelschwaden durch das Hörspiel und verleihen dem Ganzen eine magische, fast cineastische Dichte. Der Schnitt ist präzise, der Rhythmus flüssig, ohne Hast, ohne Längen.
Das Artwork von Alexander von Wieding fängt die Stimmung der Serie mit dramatischer Klarheit ein: Eine kleine Schaluppe nähert sich einem düsteren Segler – Bedrohung und Neugier liegen in der Luft. Der Stil erinnert an klassische Ölgemälde und passt perfekt zur düsteren, historischen Grundstimmung des Hörspiels. Das Booklet ist informativ gestaltet, die Gestaltung hochwertig – einzig die Schrift auf dem Backcover fällt zu klein aus.
Mit Kind des Pestschiffes gelingt der Asgard Produktionsgesellschaft ein fesselnder Serienauftakt: atmosphärisch, historisch stimmig, klanglich brillant und erzählerisch klug aufgebaut. Es ist ein Hörspiel, das sich nicht anbiedert, sondern seine Geschichte mit Ernst, Spannung und Tiefe erzählt. Wer sich für historische Stoffe, Seefahrt, Piraten und Charakterentwicklungen interessiert, sollte hier unbedingt an Bord gehen. Dieses Schiff hat Kurs auf Großes.