• Die Wendeltreppe

    Helen ist jung, schweigsam – und stumm. Als sie in einem abgelegenen Landhaus eine Stelle als Dienstmädchen antritt, scheint dies zunächst ein Neuanfang. Doch bald fühlt sie sich von den Bewohnern und der düsteren Atmosphäre des Hauses zunehmend beunruhigt. In der Umgebung hat sich ein Serienmörder auf junge Frauen spezialisiert, und als ein Unwetter das Anwesen von der Außenwelt abschneidet, beginnt ein tödliches Katz-und-Maus-Spiel. Wer ist der Mörder? Und ist Helen wirklich so hilflos, wie sie scheint?

    Mit Die Wendeltreppe gelingt es Regine Ahrem, den klassischen Stoff von Ethel Lina White atmosphärisch dicht und dramaturgisch kompakt ins Hörspiel zu überführen – ganz im Geist des Film Noir und doch modern erzählt. Die Geschichte, die bereits 1945 als Film von Robert Siodmak Erfolge feierte, ist mehr als bloß ein psychologischer Thriller: Sie ist ein Kammerspiel über Angst, Einsamkeit und die stille Stärke einer jungen Frau, die von der Welt übersehen wird. Die klaustrophobische Situation eines Landhauses, isoliert durch Sturm und Dunkelheit, wird zum perfekten Brennglas für die allmählich eskalierende Spannung. Helen steht im Zentrum – eine stumme Heldin, deren Perspektive ganz ohne Worte erzählt wird. Ihre Unsicherheit wird zum emotionalen Anker des Hörers, ihre wortlose Präsenz lässt jede Szene intensiver wirken.

    Regine Ahrem inszeniert die Handlung als immersives Kopfkino, das sich voll auf Andeutung und Atmosphäre stützt. Die fehlende Erzählerstimme erweist sich als kluger Kniff – was hier zählt, sind die Stimmen im Raum, die Geräusche, die Nähe. Das Grauen wächst langsam, beinahe unmerklich, wie ein Schatten, der sich durch die Flure schiebt. Durch die Entscheidung, die Kunstkopf-Technik einzusetzen, wird der Hörraum selbst zum Teil der Geschichte: Türen knarren plötzlich hinter einem, ein Flüstern scheint direkt am Ohr vorbeizuziehen. Die Bewegung im Raum wird zur Inszenierungsebene – nicht das Gesagte, sondern das Gehörte erzählt die Geschichte weiter. Spannung entsteht hier nicht durch Schockmomente, sondern durch ein permanentes Gefühl von Bedrohung. Jede Figur trägt ein Geheimnis, jede Szene birgt eine unterschwellige Gefahr. Besonders stark sind jene Sequenzen, in denen Helen alleine durchs Haus streift – eine fast lautlose Hauptfigur, gefangen im akustischen Dunkel.

    Chris Pichler, Regina Lemnitz, Michael Mendl – das Ensemble liest sich wie ein Who's who der deutschen Hörspielkultur. Und jede dieser Stimmen wird hier klug und präzise eingesetzt. Michael Mendl gelingt es, mit wenigen Worten eine Aura von Bedrohung aufzubauen, während Regina Lemnitz der mürrischen Hausherrin eine fast übernatürliche Kälte verleiht. Chris Pichler wiederum ist das fragile Zentrum dieser düsteren Welt – mit leisen Nuancen statt lauten Ausbrüchen. Die Besetzung wirkt wie aus einem Guss, jede Stimme trägt zum Gesamtbild bei, das sich aus Spannung, Misstrauen und unterschwelliger Gewalt zusammensetzt.

    Die technische Umsetzung ist das eigentliche Herzstück dieses Hörspiels. Die Kunstkopfaufnahme sorgt für eine Präsenz, wie sie nur selten erreicht wird. Das Knistern einer Lampe, das Knarzen einer Treppenstufe, ein Atem hinter dem Hörer – Die Wendeltreppe macht das Unsichtbare hörbar. Die Geräusche sind nicht bloß Kulisse, sie sind Erzählmittel. Besonders in den nächtlichen Szenen wird das greifbar: Regen peitscht an Fensterläden, Gewitter grollen in weiter Ferne, und plötzlich – absolute Stille. Die Musik bleibt dabei sparsam und dient mehr der Verstärkung emotionaler Spannungsbögen als der Führung. Ein Hörspiel, das seinen Sound nicht aufträgt, sondern einbettet – und dadurch umso intensiver wirkt.

    Die stilisierte Wendeltreppe in Rot und Schwarz zieht sofort den Blick auf sich – sie ist sowohl Blickfang als auch Symbol für das, was das Hörspiel ausmacht: eine ständige Spirale der Bedrohung. Die Silhouette am Fuß der Treppe verstärkt das Gefühl von Isolation und Gefahr. Ein Cover, das dem Inhalt in seiner Einfachheit vollkommen gerecht wird – suggestiv und elegant.

    Die Wendeltreppe ist ein klassischer Thriller, der durch seine moderne Umsetzung und die immersive Klangtechnik einen neuen, beunruhigend intensiven Nerv trifft. Spannend, atmosphärisch und auf akustischer Ebene fast überragend – ein Hörspiel, das beweist, wie viel mehr möglich ist, wenn man weniger sagt. Ein echtes Highlight für Freunde der leisen, aber nachhaltigen Spannung – unbedingt mit Kopfhörern hören.

  • @DerPoldi : danke, dass du dir die Zeit nimmst, immer wieder Rezensionen zu schreiben.
    Ich bin nicht so regelmäßig auf Hörspieltalk, aber wenn ich da bin, lese ich deine Rezension sehr gern. Sie sind immer interessant geschrieben und man erhält einen guten Eindruck von dem Hörspiel. Bleib da weiterhin am Start!

    PS: "Die Wendeltreppe" finde ich auch ein sehr gutes 3D-Hörspiel.

  • Justin Time Vielen lieben Dank für deine Worte – das bedeutet mir wirklich viel! Es ist schön zu wissen, dass die Rezensionen gelesen und geschätzt werden. Ich schreibe sie mit großer Leidenschaft, einfach weil mir das Medium Hörspiel so am Herzen liegt. Und wenn das dann bei anderen auf Interesse stößt, ist das das schönste Feedback überhaupt.

Participate now!

Don’t have an account yet? Register yourself now and be a part of our community!