ARD Radio Tatort - Allein
Als die Polizei eine verwahrloste Berliner Wohnung betritt, scheint zunächst alles harmlos. Eine abgelaufene Konserve, eine alte Zeitung, sonst nichts. Doch dann stoßen die Beamten auf eine Gefriertruhe – und entdecken darin die zerstückelte Leiche von Paul Zechner. 76 Jahre alt, verwitwet, einsam. Zehn Jahre lang hat niemand ihn vermisst. Seine Rente floss weiter, wurde regelmäßig an wechselnden Automaten abgehoben. Die Nachbarn schwiegen, der Sohn hatte den Kontakt längst abgebrochen. Die Frage, wer ihn ermordet hat, bleibt offen – bis Kommissarin Ariane Kruse und ihr Kollege Christian Wonder sich durch ein Geflecht aus Isolation, Nachlässigkeit und gescheiterter Verantwortung arbeiten.
Mit Allein legt Tom Peuckert einen ARD Radio Tatort vor, der weniger durch klassische Ermittlungsdramaturgie als vielmehr durch die melancholische Schilderung eines sozialen Vakuums besticht. Die Krimihandlung ist da – aber sie ist eingebettet in ein Porträt einer Großstadt, in der Menschen spurlos verschwinden können, ohne dass es jemand merkt. Der Fall von Paul Zechner wird zu einem bedrückenden Sinnbild für die Anonymität moderner Urbanität.
Regisseur Kai Grehn gelingt eine beklemmende und zugleich sensible Umsetzung. Die Erzählstruktur wechselt geschickt zwischen nüchternen Polizeibefragungen, inneren Monologen und atmosphärischen Momentaufnahmen. Immer wieder durchzieht ein Gefühl der Sprachlosigkeit den Dialog – als würden alle Figuren in ihren eigenen, versiegelten Welten verharren. Die Kriminalhandlung wird dabei fast nebensächlich. Der eigentliche Täter scheint die Einsamkeit selbst zu sein – unterstützt von einer Gesellschaft, die wegsieht.
Felix Kramer überzeugt als ruhiger, nachdenklicher Ermittler Wonder, während Margarita Breitkeiz mit kühler Klarheit als Ariane Kruse auftritt – ein Duo, das sich gut ergänzt, ohne auf klischeehafte Kontraste zu setzen. Oliver Korittke bringt als Nebenfigur leise Ironie ein, Christine Schorn verleiht der Geschichte durch ihre gebrochene Nebenrolle ein zutiefst menschliches Gewicht. Jede Stimme ist hier Teil eines größeren Klangbildes – fast wie das Echo eines kollektiven Schweigens.
Die akustische Gestaltung ist reduziert, dabei umso wirkungsvoller. Die Räume hallen, die Stimmen sind teils gedämpft oder entrückt. Die wenigen Geräusche – das Summen der Kühltruhe, das Ticken einer Uhr, das Klicken eines Bankautomaten – wirken wie kleine Schläge in eine beklemmende Stille. Auch die Musik ist spärlich eingesetzt, wirkt fast dokumentarisch. Es entsteht ein klaustrophobisches Klangbild, das die Isolation des Verbrechens intensiv fühlbar macht.
Die Illustration zeigt die Gefriertruhe mit dem zersägten Körper – drastisch, aber nicht effekthascherisch. Im Hintergrund: ein Wohnzimmer, verlassen, mit einem roten Sessel im Licht einer untergehenden Sonne. Die Decke über der Lehne, halb heruntergerutscht, erzählt ihre eigene Geschichte. Die Zeichnung transportiert perfekt die Stimmung des Hörspiels: Verfall, Verdrängung, Verlorenheit.
Allein ist ein stiller, erschütternder Krimi, der weit mehr erzählt als die Aufklärung eines Mordes. Es geht um das Verschwinden – nicht nur von Menschen, sondern auch von Anteilnahme, Fürsorge, Miteinander. Wer klassische Spannung sucht, wird hier eher nachdenklich zurückbleiben. Doch wer sich auf diese eindringlich gestaltete Parabel über Einsamkeit einlässt, erlebt ein berührendes, tiefgründiges Hörstück. Ein Highlight der Reihe – leise, eindrucksvoll, traurig.