Tom Sawyer als Detektiv
Tom Sawyer wäre nicht Tom Sawyer, wenn er nicht auch im beschaulichen Süden der USA für Wirbel sorgen würde. In diesem spannenden Detektivabenteuer wird aus dem abenteuerlustigen Jungen ein wahrer Spürhund: Als Jack Dunlap verschwindet, ein wertvoller Diamant gestohlen wird und der Verdacht auf seinen eigenen Onkel Silas fällt, beginnt für Tom eine aufregende Spurensuche. Mit seinem treuen Freund Huckleberry Finn an der Seite deckt er nicht nur ein Verbrechen auf, sondern bewahrt seinen Onkel vor einem Justizirrtum – gerade noch rechtzeitig. In einer dramatischen Gerichtsverhandlung kommt es zur Auflösung, und Tom beweist, dass Verstand, Mut und kindlicher Eigensinn manchmal mehr zählen als Paragraphen und Vorurteile.
Dieses Kurt-Vethake-Hörspiel von 1975 ist eine liebevolle, klassische Umsetzung des eher selten adaptierten Spätwerks von Mark Twain. Anders als die bekannten Abenteuer am Mississippi steht hier der kriminalistische Spürsinn von Tom im Mittelpunkt. Das Hörspiel richtet sich an Kinder ab etwa 8 Jahren, ist aber durch seine literarische Vorlage auch für ältere Hörer ein amüsantes Zeitdokument, das sowohl Spannung als auch Milieustudie bietet – und das alles im typischen Vethake-Stil: klar, temporeich, durchsetzt mit ironischem Augenzwinkern.
Die Regie von Kurt Vethake folgt der klassischen Erzählstruktur, legt den Fokus jedoch bewusst auf Dialogführung und stimmliche Charakterzeichnung. Die einzelnen Szenen wechseln zügig zwischen ländlicher Idylle, unheimlicher Krimi-Spannung und lebendiger Gerichtsatmosphäre. Besonders eindrucksvoll gelingt die Schilderung der Gerichtsverhandlung – mit all ihrem Getöse, den überraschenden Wendungen und dem finalen Triumph des jugendlichen Helden. Vethake verzichtet auf übermäßige Effekte, setzt stattdessen auf die dramaturgische Kraft der Geschichte und den Kontrast zwischen kindlicher Neugier und erwachsener Kurzsichtigkeit. Der Erzählfluss ist angenehm ruhig, aber nie langweilig – eine Stärke, die viele seiner Produktionen auszeichnet.
Die Sprecherbesetzung ist rundum gelungen. Torsten Sense gibt einen cleveren, manchmal naseweisen Tom Sawyer, der dennoch sympathisch bleibt. Santiago Ziesmer als Huck ist frech, direkt und emotional stets greifbar – eine ideale Ergänzung. Margarethe Schön verleiht Tante Polly Autorität und Herzenswärme, während Hans Mahlau als Onkel Silas besonders in den dramatischen Momenten des Hörspiels überzeugt. In kleineren, aber einprägsamen Rollen sind u. a. Rolf Mamitz, Gerhard Zimmer und Uwe Paulsen zu hören. Erzähler Klaus Jepsen führt unaufdringlich und präzise durch die Handlung.
Die Produktion ist für ihre Zeit klar und ausgewogen abgemischt. Musik und Geräusche werden zurückhaltend eingesetzt, wirken aber an den entscheidenden Stellen sehr atmosphärisch – etwa bei nächtlichen Szenen am Fluss oder im Gerichtssaal. Die Klangqualität ist auf dem für Mitte der 70er-Jahre typischen Stand: etwas dumpfer als heutige Produktionen, aber charmant und gut verständlich.
Das Cover ist farbenfroh, verspielt und stilistisch stark an Kinderzeichnungen angelehnt. Zwei gezeichnete Jungen – offensichtlich Tom und Huck – spähen über ein Grasfeld, im Hintergrund ein Schaufelraddampfer und dunkle Silhouetten, die heimlich durchs Dickicht schleichen. Der illustrative Stil ist naiv, aber lebendig und weckt sofort Abenteuerlust. Der Schriftzug in Rot fällt ins Auge und verspricht Spannung mit einem kindgerechten Augenzwinkern.
„Tom Sawyer als Detektiv“ ist ein charmantes, lebendiges Krimi-Hörspiel für Kinder und jung gebliebene Erwachsene – mit Witz, Spannung und Herz. Die kluge Bearbeitung von Kurt Vethake nimmt die literarische Vorlage ernst, ohne schwerfällig zu wirken. Dank der hervorragenden Sprecher, der kompakten Erzählweise und des stimmigen Tons ist diese Produktion ein wunderbares Beispiel für klassische Kinderhörspiele der 70er. Ein nostalgischer Schatz – ideal für lange Nachmittage oder auf Kassette.