Der Durchbruch: Vaterland (WDR 2008)
Im zerbombten Deutschland zur Zeit des Zweiten Weltkriegs trifft ein Häftling aus dem Konzentrationslager auf einen blinden Mathematikprofessor. Zwischen ihren beiden Kellern wird ein Durchbruch geschlagen – einerseits als Fluchtweg bei Bombenangriffen, andererseits als heimlicher Begegnungsraum. Doch was der Häftling entdeckt, verändert alles: Der Professor versteckt ein jüdisches Mädchen. Zwischen den dreien entspinnt sich ein gefährliches Band aus Hoffnung, Wahrscheinlichkeiten und der Sehnsucht nach Freiheit.
Peter Steinbach gelingt mit diesem zweiteiligen Hörspiel ein eindringliches Kammerspiel, das in einer Welt der Kälte, Angst und Zerstörung einen Funken Menschlichkeit sucht. Der Titel Vaterland ist bewusst doppeldeutig: Er steht nicht nur für ein gequältes, untergegangenes Deutschland, sondern auch für die Vorstellung, dass Heimat etwas anderes sein kann als Nation. Es geht um Fluchtwege – physisch wie psychologisch. Das Hörspiel wirkt wie ein Schlag in die Magengrube und gleichzeitig wie ein Flüstern, das den Glauben an das Menschsein nicht aufgibt.
Die Geschichte konzentriert sich auf den engen Raum zwischen zwei Kellern, nutzt aber diesen begrenzten Schauplatz für eine große Geschichte über Moral, Zivilcourage und existenziellen Mut. In nüchternem Ton, mit der Wucht des Realismus, aber auch mit poetischen Bildern entwirft Steinbach ein Szenario, das erschüttert. Besonders intensiv sind die leisen, fast tastenden Dialoge zwischen dem Mathematikprofessor und dem Mädchen – sie sind das emotionale Zentrum des Stücks.
Hans-Peter Hallwachs brilliert als Professor Meyer-Grieben: verletzlich, klug, unaufdringlich tiefgründig. Katharina Thalbach gibt Frau Kieseier eine raue Menschlichkeit, während Paul Herwig als Achill – der Häftling – zwischen Abgestumpftheit und zaghaftem Hoffnungsschimmer balanciert. Anne Kanis in der Rolle der Marittel, der versteckten Jüdin, spielt ihre Rolle mit stiller Intensität. Jeder Satz sitzt, jede Stimme hat Charakter.
Die Regie von Claudia Johanna Leist setzt auf präzise Reduktion. Die Klanggestaltung ist zurückhaltend, aber effektiv – Schläge im Mauerwerk, dumpfe Detonationen, das Knirschen der Trümmer – all das schafft ein atmosphärisches Klangbild, das nie Effekthascherei betreibt. Henrik Albrechts Musik ist sensibel platziert, unterstreicht die Stimmungen, ohne je aufdringlich zu sein. Die Produktion ist durchweg hochwertig und detailgenau.
Das Cover ist ein stilles Meisterwerk. Es zeigt zerbombte Ruinen, darüber in perfekter Formation angreifende Bomberstaffeln – ein Bild, das mehr sagt als jede historische Einordnung. Kein Heldentum, keine Inszenierung – nur das nackte Resultat des Krieges. Der WDR-Schriftzug steht nüchtern darüber, als wollte er sagen: Wir dokumentieren, nicht verklären
"Der Durchbruch: Vaterland" ist kein bequemes Hörspiel. Es verlangt Aufmerksamkeit, Einfühlung und die Bereitschaft, sich mit moralischen Grenzerfahrungen auseinanderzusetzen. Doch wer sich darauf einlässt, erlebt ein kluges, tief bewegendes Werk über Mut, Menschlichkeit und stille Rebellion gegen die Unmenschlichkeit der Zeit. Es ist ein Mahnmal aus Klang – und ein eindrucksvoller Beweis, wie stark Hörspiele sein können.
