Letzte Fahrt (WDR 2008)

  • Letzte Fahrt (WDR 2008)

    In einem indonesischen Hafen nehmen drei Männer – Hosh, Herrick und Cap – ein zweifelhaftes Angebot an: Sie sollen auf einem japanischen Frachter anheuern, dessen eigentliche Crew angeblich erkrankt ist. Was als simpler Transportauftrag mit einer Whisky-Ladung beginnt, entwickelt sich zu einer alptraumhaften Reise. Je weiter das Schiff in internationale Gewässer vorstößt, desto klarer wird: Diese Fahrt ist keine gewöhnliche – und das Ziel liegt nicht nur geografisch fern. Als die brüchigen Lebensgeschichten der Männer auf offener See einander begegnen, beginnt ein Drama voller Schuld, Geheimnisse und unausweichlicher Konsequenzen.

    Letzte Fahrt ist kein klassischer Krimi, sondern ein düsteres Kammerspiel auf hoher See – ein Hörspiel, das sich in die Zwischenräume menschlicher Biografien wagt. Die Vorlage stammt von Mike Walker, einem der bedeutendsten britischen Radiodramatiker, bekannt für psychologisch dichte Stoffe mit politischem Unterton. Auch hier lotet er das Grenzgebiet zwischen Moral, Selbsttäuschung und kollektiver Verdrängung aus – atmosphärisch inszeniert vom Westdeutschen Rundfunk unter der Regie von Annette Kurth.

    Die Handlung verzichtet auf spektakuläre Wendungen oder forcierten Thrill. Vielmehr entfaltet sich das Drama in kleinen, präzisen Dialogen und flackernden Erinnerungsfetzen. Der Frachter wird zum Symbol: für Flucht und Konfrontation, für Vergangenheit und Schuld. Immer wieder blitzen Fragmente der Biografien auf – die Zeit als Blauhelmsoldat, der Drogenschmuggel, das gesunkene Schiff. Walker erzählt nie didaktisch, sondern legt Schicht für Schicht offen, was die Männer antreibt – und was sie einander verheimlichen. Das Hörspiel lebt von seinem entschleunigten Rhythmus, der klaustrophobischen Stimmung an Bord und dem Gefühl, dass jeder Windstoß die Fassade zum Einsturz bringen könnte.

    Lars Rudolph verleiht Hosh eine nervöse Brüchigkeit, die nie ganz greifbar wird. Reiner Schöne als Cap ist das raue, wettergegerbte Zentrum der Besatzung – kraftvoll, aber von innerer Erschöpfung gezeichnet. Boris Aljinovic bringt als Herrick eine fast tragische Zartheit ein. Auch die Nebenrollen sind exzellent besetzt: Laura Maire als rätselhafte Savita, Tom Zahner als Steuermann oder Maverick Quek und Sabiullah Anwar als Crewmitglieder – sie alle tragen zum realistischen Klangteppich bei. Gerade durch die ruhig gehaltene, beinahe beiläufige Spielweise wirkt vieles umso eindringlicher.

    Gertrudt Melcher und Gabriele Neugroda haben die Klanggestaltung mit viel Feingefühl umgesetzt. Das Brummen der Maschinen, das Quietschen der Bordwände, die Weite des Meeres – akustisch wird der Hörer auf das Schiff gezogen. Es ist nicht der Lärm, der beunruhigt, sondern die Leerräume: der Wind, die Pause nach einem Satz, das entfernte Kreischen eines Vogels. Die Sounddramaturgie lässt Raum für Reflexion – und verstärkt so die innere Spannung.

    Das Cover zeigt ein zur Seite gekipptes Frachtschiff, das sich wie ein Fremdkörper zwischen die Porträts der drei Männer schiebt. Die Bildmontage wirkt wie ein Fragment aus einer Erinnerung – unklar, unscharf, beunruhigend. Die bläulich-kühle Farbgebung unterstreicht die emotionale Kälte und das Ausgesetztsein der Figuren. Eine treffende visuelle Übersetzung für das, was in Letzte Fahrt in den Köpfen der Protagonisten geschieht.

    Letzte Fahrt ist ein psychologisches Seestück, das lange nachhallt. Wer Spannung im klassischen Sinne sucht, wird hier nicht fündig – wer sich jedoch auf eine leise, eindringliche Reise in die Brüche menschlicher Identität einlässt, erlebt ein dichtes, berührendes Stück Radiokunst. Ein Hörspiel, das mehr fragt als erklärt. Und das gerade deshalb so stark wirkt. Ein Highlight für Freunde tiefgründiger Stoffe mit melancholischer Wucht.

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