Du sollst nicht begehren (SWR 2004)
Als die schöne und charismatische Osnat Harel in der Krankenstation eines israelischen Kibbuz verstirbt, scheint zunächst eine Lungenentzündung die Ursache zu sein. Doch die Obduktion bringt Ungeheuerliches ans Licht: ein tödliches Pflanzenschutzmittel hat sie umgebracht. Der Fall wird Inspektor Michael Ochajon übertragen – ein Mann, der mit Bedacht, Tiefgang und stillem Spürsinn ermittelt. Schon bald beginnt er, hinter die sorgsam gewahrte Fassade aus Gemeinschaft, Gleichheit und scheinbarer Friedfertigkeit zu blicken – und entdeckt einen Mikrokosmos aus Eifersucht, Verlangen, alten Wunden und unausgesprochenen Spannungen. Der Kibbuz wird zur Bühne eines leisen, aber umso beunruhigenderen Dramas.
Mit „Du sollst nicht begehren“ hat der SWR einen eindringlichen Kriminalhörspielstoff inszeniert, der nicht auf laute Effekte setzt, sondern auf psychologische Tiefe, subtile Zwischentöne und die besondere Atmosphäre eines in sich geschlossenen Systems. Die Vorlage stammt aus der Feder eines israelischen Autors und wurde von Mirjam Pressler einfühlsam ins Deutsche übertragen. Corinne Frottier hat die Regie übernommen und daraus ein still brennendes Stück Krimidrama geschaffen – voller Fragen nach Wahrheit, Moral und dem, was zwischen Menschen unausgesprochen gärt.
Die Handlung entwickelt sich langsam, aber stetig, mit einem Gespür für Tempo und Dramaturgie, das man in heutigen Produktionen nur noch selten findet. Wir erleben die Ermittlungen aus der Sicht von Ochajon, dessen unaufdringliche, fast melancholische Präsenz dem Stück eine ruhige, aber eindringliche Energie verleiht. Die klaustrophobische Welt des Kibbuz wird dabei nicht reißerisch überzeichnet, sondern mit präziser Beobachtung entfaltet – als Ort, in dem Ideale und menschliche Abgründe aufeinanderprallen. Der Mord steht nicht isoliert, sondern verwoben mit der Geschichte der Figuren, ihren Sehnsüchten und Brüchen.
Christian Berkel als Ochajon bringt genau die richtige Mischung aus Distanz und Empathie mit, die dieser Ermittler braucht. Hannelore Hoger glänzt als Dworka mit einer Mischung aus Schroffheit und stillem Kummer, während Christoph Bantzer, Werner Rehm und Stephan Bissmeier ihre Rollen mit Tiefe und Leben füllen. Almut Zilcher als Awigail überzeugt durch ihre Verletzlichkeit, die nie ins Sentimentale kippt. Das Ensemble wirkt durchweg hervorragend besetzt – keine Stimme fällt aus der Stimmung, alles fügt sich zu einem überzeugenden Ganzen.
Die Klanggestaltung ist zurückgenommen, aber bewusst gesetzt. Kein unnötiger Bombast, sondern fein abgestimmte Atmosphäre – das Zirpen der Grillen, ein weit entferntes Hundegebell, das leise Scharren der Schritte auf Kies. Die Geräuschkulisse erzeugt ein Gefühl von Hitze, Stille und latenter Spannung. Auch die Musik ist sparsam, aber wirkungsvoll eingesetzt. Die technische Realisierung von Christian Kühnke und Christina Ocker unterstreicht die Qualität der Inszenierung: Hier wird nicht mit Effekten gearbeitet, sondern mit Substanz.
Das Cover ist schlicht und stilisiert: Der Blick aus einem Auto hinaus auf eine karge, staubige Landschaft – ein einsames Haus in der Ferne. Die Komposition vermittelt Isolation, Distanz und das Gefühl, einem Ort näher zu kommen, den man nicht ganz versteht. Die türkisfarbene Seitenleiste mit Fußabdrücken und das SWR-Logo mit Justitia-Silhouette geben dem Design eine klare Identität. Es passt visuell perfekt zur Erzählhaltung des Stücks: zurückhaltend, aber präzise.
„Du sollst nicht begehren“ ist ein nachhallendes Hörspielerlebnis – klug, feinfühlig und beklemmend echt. Es gelingt dem Stück, weit mehr zu sein als ein bloßer Krimi. Es erzählt von Begehren und Schuld, von den Rissen in Utopien und den dunklen Seiten des Zusammenlebens. Die Produktion überzeugt auf allen Ebenen: Sprecher, Dramaturgie, technische Umsetzung und Atmosphäre greifen perfekt ineinander. Für Liebhaber anspruchsvoller Kriminalhörspiele ist dieses Werk ein Muss – und ein Beweis dafür, dass der leise Ton oft der eindringlichste ist.