Aus einem anderen Thread:
Martin Seebeck Ich habe kürzlich das erste Mal ein Mark Brandis Buch gelesen: Salomon 76
Die Geschichte fand ich echt gut und habe mich gefragt, wieso ihr sie nicht als Hörspiel vertont habt.
Gab es dafür einen speziellen Grund?
Danke für die Frage! Bei den acht nicht vertonten Bänden gab es jeweils einen anderen Grund für das Nein. Bei Salomon 76 ist der Clou am Schluss ein „wir drehen den Computer gegen sich selbst“; eine Methode, die auch in mehreren Star-Trek-TOS-Folgen gegen künstliche Intelligenzen angewandt wurde. Das ist aber für eine Geschichte, die in der Zukunft spielt, (inzwischen) völlig unrealistisch. Jedes System ab einer bestimmten Komplexität würde aus so einer Schleife sofort aussteigen, weil es sie erkennt.
Und mir ist kein vergleichbarer „sinnvoller“ Effekt eingefallen, der die Geschichte im Hörspiel abgerundet und beendet hätte.
Martin Seebeck Die Begründung warum dieser Roman es nicht zum Hörspiel geschafft hat, war sehr interessant und nachvollziehbar.
Magst du uns vielleicht noch schreiben warum die anderen Romane nicht verhörspielt wurden?
butor
Genau das wollte ich auch schon fragen
Hier sind all diese Infos leichter auffindbar.
Also -- zu "Salomon 76":
Die Auflösung (Computerlogik bei einer Schleife: "Salomon 76 erteilt Haftbefehl gegen Salomon 76") und die Sicht auf Computer als gewünschte Allmachtsträger ist dann doch sehr wenig unser paranoides 21. Jahrhundert ... ich fand einfach keine ähnlich "simple" Auflösung der Geschichte. Ich gebe (mit Erlaubnis des Verlags) einen Ausschnitt zu lesen:
Display Spoiler
Und irgendwo in diesem Gebäude mit seinem Labyrinth von horizontalen Gängen und vertikalen Aufzugs- und Lüftungsschächten stand Metropolis I.
»Professor, Sie kennen sich hier aus! Übernehmen Sie die Führung!«
Professor Kalaschnikow gab keine Antwort. Ich wandte mich um. Mit bleichem, vom Schmerz gezeichneten Gesicht lehnte er an der Wand. Auf der rechten Brustseite war die Jacke versengt. Ein Schuß – ob gezielt oder verirrt – mußte ihn getroffen haben.
»Professor!«
Professor Kalaschnikow schüttelte langsam den Kopf.
»Es geht schon wieder. Machen Sie sich um mich keine Sorgen!«
Lieutenant Minkowski und Sergeant Dahlsen sprangen hinzu, um den Professor zu stützen, doch dieser wehrte ab:
»Sie haben anderes zu tun! Kommen Sie jetzt!«
Und der alte Mann löste sich von der Wand und ging uns voraus. Die Schmerzen, die er litt, mußten qualvoll sein – und ich kenne genug Leute, mich nicht ausgenommen, die an seiner Stelle an diesem Punkt aufgegeben hätten.
Ein unbeugsamer Wille lebte in ihm. Professor Kalaschnikow führte uns mit traumwandlerischer Sicherheit. Vor einer chromstählernen Tür blieb er schließlich stehen.
»Dahinter!« sagte er matt. »An einer solchen Tür bin ich schon einmal gescheitert. Ich bekam sie nicht schnell genug auf.«
Er lehnte sich wieder gegen die Wand. Schweiß stand in dicken Tropfen auf seiner Stirn. Er atmete schwer und keuchend.
»Achtung, Sir!«
Lieutenant Minkowski hatte das Gewehr bereits im Anschlag. Die Tür eines Fahrstuhles war aufgeschwungen, ein halbes Dutzend Polizisten stürmte auf den Gang hinaus. Lieutenant Minkowski schoss. Zwei, drei Polizisten stürzten – der Rest zog sich in den Fahrstuhl zurück.
»Sergeant Dahlsen, bekommen Sie die Tür auf?«
»Nur mit Gewalt, Sir!«
»Vorwärts!«
Sergeant Dahlsen trat einen Schritt zurück, brachte seine Waffe in Anschlag, zielte auf das Schloß und gab Dauerfeuer. Das Schloss färbte sich zunächst rot, dann weiß – und schließlich begann es zu schmelzen. Sergeant Dahlsen stieß den Lauf seines Gewehres in den Spalt, und träge und widerwillig setzte sich die schwere Tür in Bewegung. Vor uns lag das Herz der Festung, der klimatisierte, keimfreie Computerraum. In seiner Mitte thronte Metropolis I.
Ein unsichtbarer Lautsprecher quakte:
»Alarmstufe rot, Alarmstufe rot! Alle Mann zum Computerraum! Alle Mann zum Computerraum!«
Fußboden und Wände begannen zu vibrieren. Die Armee hatte sich in Marsch gesetzt.
»Sir!« schrie Lieutenant Minkowski, indem er zugleich das Gewehr wieder hochriß. »Diesmal wird's ernst!«
Der eben noch leere Gang hatte sich plötzlich mit Polizisten gefüllt.
»Halten Sie sie auf, Lieutenant!«
»Aye, aye, Sir!«
»Sergeant Dahlsen – das gilt auch für Sie! Der Lieutenant schafft's nicht allein!«
»Aye, aye, Sir!«
Sergeant Dahlsen überquerte den Gang, verbarg sich hinter einem Feuerlöscher und begann zu schießen. Professor Kalaschnikow stand vor Metropolis I. Seine Hände berührten die Klaviatur, die in ihrer Anordnung an einen elektronischen Fernschreiber erinnerte. Bis hierher hatten ihn seine Füße getragen. Nun, auf einmal, verließen ihn die Kräfte. Seine Knie gaben nach, und er sank vor dem Computer zu Boden.
»Professor«, schrie ich ihn an, »um Himmels willen – Professor! Sie können uns doch jetzt nicht im Stich lassen?«
Professor Kalaschnikow drehte mir langsam sein verzerrtes Gesicht zu, und ich sah, daß es mit ihm zu Ende ging.
»Ich kann nicht …«
»Sie müssen!«
Wenige Schritte von uns entfernt tobte die Schlacht. Lieutenant Minkowski und Sergeant Dahlsen verteidigten den Computerraum. Zwei Mann gegen eine ganze Armee! Am Ausgang dieser Schlacht war nicht zu zweifeln. Professor Kalaschnikow sank noch weiter in sich zusammen.
»Programmieren Sie, Commander!«
»Was?«
»Ich – ich sage Ihnen den Code! Er – er lautet …«
Ich warf meine Pistole fort und legte beide Hände auf die Klaviatur.
»Den Code, Professor! Den Code!«
Ein letztes Mal bewegten sich die Lippen des großen, alten Wissenschaftlers. Sie formten den Todesspruch für seinen vom Wahnsinn befallenen Sohn:
»SALOMON 76 erläßt Haftbefehl gegen SALOMON 76!«
Ich schrieb. Es war, als ob man eine Schreibmaschine bediente. Buchstabe für Buchstabe formte sich das tödliche Programm. Wirklich tödlich – oder war SALOMON 76 intelligent genug, die List zu durchschauen?
Noch während ich schrieb, erwachte Metropolis I zum Leben. Die roten, grünen und blauen Lämpchen leuchteten auf, und eine scheppernde Stimme wiederholte bestätigend Silbe um Silbe das eingefütterte Programm:
»SA LO MON SECHS UND SIEB ZIG ER LÄSST HAFT BE FEHL GE GEN SA LO MON SECHS UND SIEB ZIG!«
Die Stimme verstummte, die Lämpchen erloschen. Metropolis I fiel in sein Schweigen zurück. Und weiter? Für diesen einen lächerlichen Satz hatten wir uns bis in das Herz der Festung vorgekämpft? Ich beugte mich über Professor Kalaschnikow.
»Ist das der ganze Code? Antworten Sie, Professor! Ist das der ganze Code?«
Professor Kalaschnikow schwieg. Er war gestorben, während ich mir am Computer zu schaffen machte – gestorben zu Füßen seiner mißratenen Schöpfung. Langsam, erschüttert ließ ich ihn zurücksinken. Triumph oder Niederlage – weder das eine noch das andere rührte ihn mehr. Als ich mich aufrichtete, sah ich, daß sich Metropolis l in Rauch gehüllt hatte. Anfangs wollte ich es nicht glauben. Aber die Rauchschwaden, die aus dem Computer hervorquollen, wurden dichter und dichter. Ich atmete sie ein, hustete und rang nach Luft.
Ja, das ist sehr bildhaft und poetisch geschrieben -- aber ich sehe geradezu die 60er Jahre Deko, in der das verfilmt worden wäre. Mit dieser Auflösung hätten Jochim und ich uns im 21. Jahrhundert keine Ehre gemacht -- und dem Schöpfer der Geschichten auch nicht.
Die anderen Bände, die wir nicht vertont haben, waren
- Countdown für die Erde (naja, teilweise ... wir haben Teile der Geschichte in das inhaltlich ähnliche Abenteuer "Ikarus. Ikarus ..." eingebunden)
- Kurier zum Mars
- Der Spiegelplanet (hierzu gibt es das vollständige nicht-vertonte Hörspielskript)
- Astropolis
- Vargo-Faktor
- Astronautensonne
- Die Eismensch-Verschwörung
Ich will nicht ins Detail gehen, wenn es nicht interessiert. Ich habe diese Bände oben verlinkt; wer also wissen will, worum es in den Geschichten geht -- bitte schön!
Wen dann noch zu dem einen oder anderen Band interessiert, warum es diese Story nicht in ein Hörspiel geschafft hat, fragt hier nach, ich schreibe dann noch etwas dazu.