Hörspiele auf der Höhe der Zeit oder: Was macht ein modernes Hörspiel aus?

  • In Diskussionen über Hörspiele lesen wir oft Begriffe wie "modern" oder auch "altbacken", aber es wird eigentlich nie so recht auseinandergedröselt, was mit den einzelnen Zuordnungen genau gemeint ist, darum möchte ich, mit Euch zusammen, mal eine kleine Bestandsaufnahme wagen.

    Was zeichnet in den 2020'er Jahren moderne Hörspiele aus? Welche Unterschiede weisen sie auf im Vergleich zu Klassikern und alten Hörspielen? Was steht in Euren Augen für modernes Erzählen? Und was geht heute gar nicht mehr?

    Dies kann sich natürlich auf inhaltliche Elemente beziehen, auch Figurenzeichnungen usw., aber vor allem auch auf Fragen der Dramaturgie und der handwerklichen Umsetzung.

    Und fallen Euch Hörspiele ein, die für die Zeit, in der sie entstanden sind, schon ziemlich modern klangen?

    Gibt es vielleicht sogar ein Hörspiel, das exemplarisch als das gelten kann, was heutzutage ein modernes Hörspiel ist?

    Und natürlich kehren wir auch gern die Frage in ihr Gegenteil: Gibt es aktuelle Hörspiele, die in Euren Augen irgendwo in der Vergangenheit stehengeblieben sind, die nach Eurem Empfinden unmodern, ja vielleicht sogar altbacken klingen? Und woran liegt das? Was fehlt ihnen, was moderne Hörspiele haben?

    Ich bin sehr gespannt auf Eure Antworten. :)

  • Ein richtig cooles Thema! #danke# #dafuer# Durchaus möglich, dass wir es hier schon mal in einer Form hatten, aber sicher nicht so aktuell.

    Ich selbst muss ein wenig auf einen längeren Beitrag von mir vertrösten. Dazu fehlt mir gerade die Zeit. Aber ich werde noch ausführlich darauf antworten. Und hoffe bis dahin weitere Antworten lesen zu können.

    Als Zusatzfrage möchte ich noch in den Raum werfen, was denn überhaupt „modern“ im Jahre 2022 in Bezug auf Hörspiel ist bzw. sein könnte?!

    Wie Akita Takeo richtig über den Hörspieltalk von morgen schrieb:

    Solange es Leute wie uns drei gibt und wir hier schreiben, bleibt es hoffentlich bestehen. Noch lange! #top#

  • Ich werde vielleicht auch nur „Sprinklerhaft“ einzelne Kommentare abliefern.

    Im Grunde genommen müsste man beim Thema noch ins Spiel bringen, über welches Genre man spricht.

    Also im Krimibereich ist für mich modern, dass man erst am Ende weiß, wer der Täter ist. Bzw. dass man als Hörer von der Erzählung her auf eine völlig falsche Fährte gelotst wird und dann der Aha-Effekt zum Tragen kommt.

    Bei alten Krimihörspielen (damals meist für Kinder wie Edgar Wallace) wird doch sehr häufig der Täter von Anfang an mit einer unsympathischen Stimme besetzt. Und man weiß natürlich ab der ersten Sekunde, wer der Verdächtige ist.

    Modern bedeutet für mich auch, daß die Sounds Kinoreif sind. Und zueinander passen. Altbacken sind Geräusche, die einen anderen Hall oder ein anderes Grundrauschen haben. Und immer die gleiche Konserve sind. Modern wäre zudem, wenn jede Folge einer Serie andere Geräusche mit sich bringt und Fußtapper in Hörspiel 1 nicht die selben sind wie in Hörspiel 2.

    Beispiele welche Kandidaten nun modern und welche nicht sind, kann ich nicht bieten. Dafür höre ich mittlerweile zu wenig. Und Radioproduktionen höre ich nie. Kann sein, dass wiederum da die Innovationen zu finden sind.

    Modern fände ich ein Hörspiel, wenn man sich mal an folgendes wagen würde: Aus einem Sachbuch ein Hörspiel basteln. Zum Beispiel würde ich mal eine Erich von Däniken Theorie als Hörspiel hören. Z.B. heißt es immer, dass die Tierwelt sich den Bedingungen der Natur angepasst hat und eine Schildkröte eines Tages einen Panzer bekam. Oder ein Tier ein Fell bekam. Aber wieso, trotz Sonnenstrahlung und anderen Dingen, hat der Mensch keine Haare überall? Oder warum ist er hellhäutig und bekommt schnell einen Sonnenbrand, aber dieses und jenes Tier bekam ein Fell? Nur als Beispiel.

    Oder hin und wieder gibt es Bücher von Michelle Obama, oder anderen Persönlichkeiten in der Spiegel Bestsellerliste. Modern fände ich nicht ein Hörbuch davon sondern ein Hörspiel über Szenen aus dem Leben des jeweiligen Autors. Sowas würde ich gerne mal hören und ist eine Marktlücke.

    Oder: Toll, dass es seit Jahrzehnten immer wieder Märchenserien gab und gibt. Aber wo sind die Märchenserien mit Geschichten, Überlieferungen und Fabeln aus Asien (Japan, China, Korea), Russland, Osmanisches Reich, Südamerika, usw.? Brüder Grimm und 1001 Nacht gibt es doch zuhauf.

    Natürlich heißt es immer: Dafür fehlt der Markt. Aber die Frage ist doch „was ist modern“? Daher lautet die Antwort: „Modern ist, nicht immer das gleiche zu machen was es zuhauf gibt“!

    ...ja, ich bin ja schon ruhig! ;)

  • Modern heißt für mich per Se einmal, dass das Hörspiel jung, dynamisch, unserer heutigen Zeit angepasst klingt. Dabei kann man sicherlich „modern“ auf verschiedene „Ebenen“ transportieren.

    Da wäre der inhaltliche Zugang - Themen aufzugreifen, die aktuell sind, die uns beschäftigen, die allgegenwärtig sind. Ich denke da zum Beispiel an Der Gewinner des HÖRSPIELTALK-Publikumspreises des Jahres 2020 heißt ARZU von Milena Aboyan, Sirius Kestel & Wolfy-Office

    Dann wäre natürlich auch die Art und Weise wie ein Hörspiel aufgebaut wird. Ich persönlich empfand Der Gewinner des HÖRSPIELTALK-Publikumspreises des Jahres 2021 heißt 113 WOLFY-APP von Thomas Plum & Wolfy-Office als sehr modern. Manche könnten hier zu Recht meinen, dass es weniger modern als innovativ war. Auch Oliver Döring verschafft es immer wieder Hörspielstoffe, die älter sind, in ein modernes Gewand zu packen, in dem er er in die Neuzeit transferiert.

    Natürlich spielt hier auch Musik, Geräuschkulisse und der Sound eine wichtige Rolle. Geräusche aus dem Archiv von anno dazumal, dazu in Mono wären das Gegenteil von modern. Hier bedarf es in jeder Hinsicht Klänge, die der heutigen Zeit angepasst sind und die, aus meiner Sicht, auch mit akustischen Effekten aufwarten können und somit Hörerlebnisse auf eine neue Ebene heben.

    Und natürlich gehört zu einem modernen Hörspiel auch eine moderne VÖ, sprich Streaming, Staffeln oder andere Methoden, die sich von den klassischen VÖs unterscheiden.

    Stecken gebliebene Hörspiele gibt es immer wieder. Hier kommen einem natürlich die Studio Körting Hörspiele und die ??? in den Sinn. Wobei man hier auch sagen muss, dass manches auch ganz bewusst so abläuft wie man es möchte, da sich die Hörer an diese Handschrift gewöhnt haben.

    Wie Akita Takeo richtig über den Hörspieltalk von morgen schrieb:

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  • Döring und Menger sind sehr modern und innovativ in dem was sie tun, auch die weisse Lilie würde ich als sehr modern bezeichnen. Was mir auch auffällt, dass die meisten modernen Hörspiele eher ohne Erzähler auskommen (auch wenn dieser nicht zwingend fehlen muss in einem modernen Hörspiel) - Ghostbox, Monster 1983, Fallen, Foster, Dorian Hunter, solche Hörspiele warten mit einer kinoreifen Bombast Soundkulisse auf, ich schätze mal, da wird nicht auf eine 0815 Geräusch Datenbank zugegriffen.

    Ich höre mir auch ab und an einen van Dusen, die Holmes Chronicles, die drei ??? an, diese Sachen sind alle nach Schema X gestrickt, sie sind dialog-lastiger, die Story wird durch das Erzählte vorrangetrieben, was passiert oder passiert ist, wird hauptsächlich durch den Dialog dargestellt.

    Bei modernen Produktionen werden Sounds und Hintergrundgeräusche wesentlich intensiver eingesetzt, bei Hunter / Sinclair Schiessereien und Kämpfe (gerade bei Sinclair wird dann hinterher aufgeklärt, was passiert ist, Verluste beklagt, etc.), bei Döring werden ganze Wohnblocks / Städte in die Luft gejagt, Ghostbox lebt von abgefahrenen ScyFy Geräuschen, die den Computer, die Roboter / Drohnen visualisieren. Hier treten Hintergrundgeräusche oft in den Vordergrund, schaffen es selbsterklärend zu sein, oder werden eben erst hinterher weiter erläutert / erklärt.

    Mein Name ist Dorian Hunter, und ich bin der Sohn des Teufels. Ich war der Sohn des Teufels, denn ich habe ihn getötet! :evil:

  • Gerade die ersten 10 - 15 Folgen von Dorian Hunter waren extrem abwechslungsreich wenn es darum geht wie und wer die Geschichte erzählt. Es wurden immer andere Erzählebene eingeführt. Man „sah“ es immer aus einer anderen Perspektive, alles lief nicht nach einem Schema sondern immer anders. Hier hatte das Duo Göllner/Erhardt wirklich Großartiges geleistet.

    Wie Akita Takeo richtig über den Hörspieltalk von morgen schrieb:

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  • Das ist eine wirklich interessante Frage, denn Begriffe wie „modern“ und „altbacken“ werden oft benutzt, aber selten genau definiert. Ich versuche mal, das für mich einzuordnen.

    Moderne Hörspiele haben oft eine filmischere Inszenierung. Das bedeutet: weniger klassische Erzählerstimmen, mehr szenische Darstellung, immersiveres Sounddesign und eine realistischere Akustik, die oft mit 3D-Sound arbeitet. Sie legen mehr Wert auf Atmosphäre und haben meist eine dynamischere Erzählweise.

    Auch die Figurenzeichnung hat sich verändert: Früher waren Charaktere oft klarer in Gut und Böse unterteilt, heute sind sie komplexer, vielschichtiger und moralisch grauer. Protagonisten haben oft Schwächen, zeigen Entwicklung und sind nicht mehr nur stereotype Helden oder Schurken.

    Dramaturgisch merkt man, dass moderne Hörspiele oft nicht mehr so linear erzählt sind. Rückblenden, parallele Erzählstränge oder Perspektivwechsel sind inzwischen weit verbreitet. Besonders in Mystery- oder Thriller-Hörspielen wird häufig mit offenen Fragen gearbeitet, sodass der Hörer aktiv mitdenken muss.

    Technisch hat sich ebenfalls viel getan. Die Tonqualität ist in den letzten Jahren massiv gestiegen, das Sounddesign ist aufwendiger geworden, und die Möglichkeiten der Postproduktion erlauben heute eine viel kinoreifere Umsetzung.

    Altbacken wirkt für mich, wenn ein Hörspiel zu sehr nach einer alten Radioproduktion klingt: zu viel Off-Erzähler, zu künstliche oder überbetonte Dialoge und ein Sounddesign, das nicht zur heutigen Hörerwartung passt. Auch manche dramaturgischen Stilmittel, wie ausgedehnte Expositionsdialoge, in denen Figuren sich Dinge erzählen, die sie eigentlich wissen müssten, wirken nicht mehr zeitgemäß.

    Ein weiteres Merkmal von altbackenen Hörspielen ist manchmal die Sprache. Während moderne Hörspiele oft eine natürliche, alltagstaugliche Sprechweise nutzen, klingen ältere Produktionen teils steif oder zu theatralisch. Das kann charmant sein, aber es passt nicht immer zur heutigen Hörerwartung.

    Gabriel Burns zum Beispiel war für seine Zeit extrem innovativ – ein düsteres, episodenübergreifendes Konzept mit starker Atmosphäre und filmischer Umsetzung. Auch Edgar Allan Poe hat eine moderne, anspruchsvolle Erzählweise etabliert, die sich von klassischen Hörspielen stark unterschied.

    Für mich ist Monster 1983 ein gutes Beispiel für modernes Erzählen. Es verbindet eine serielle Erzählweise mit starkem Sounddesign und authentischen Figuren. Auch Produktionen wie Die schwarze Somne oder Foster zeigen, wie weit sich das Medium entwickelt hat.

    Moderne Hörspiele haben sich in vielen Bereichen verändert: Sie sind filmischer, komplexer und klanglich immersiver geworden. Klassische Hörspiele haben immer noch ihren Platz, aber manche wirken im direkten Vergleich nicht mehr zeitgemäß.

  • Was wären denn aktuell für Euch „moderne“ Hörspiele? Und welche gerade produzierten Hörspiele würdet ihr auf der anderen Seite als altbacken bezeichnen? Und ganz interessant, welche Hörspiele liegen genau in der Mitte, also weder altbacken noch besonders modern?

    Wie Akita Takeo richtig über den Hörspieltalk von morgen schrieb:

    Solange es Leute wie uns drei gibt und wir hier schreiben, bleibt es hoffentlich bestehen. Noch lange! #top#

  • Ich würde Random als Beispiel für ein aktuell modernes Hörspiel bezeichnen, weil es frisch produziert ist und sich einem Thema annimmt, dass gerade die ganze Welt beschäftigt - die künstliche Intelligenz!

    Als altbacken produziert, würde ich spontan den letzten Teil von Macabros, den ich gehört habe, bezeichnen. Alles geht sehr gemächlich voran, als Thema wählt man einen Groschenroman aus den 70ern, der 1:1 umgesetzt wird.

    Die Frage was genau in der „Mitte“ liegt, ist wohl schwierig zu beantworten. Hier würde ich jedoch die aktuellen Hunter oder Sinclair Folgen bezeichnen, die sich zwar einer „altbackenen“ Romanserie annimmt, diese jedoch adaptiert und modern umsetzt.

    Wie Akita Takeo richtig über den Hörspieltalk von morgen schrieb:

    Solange es Leute wie uns drei gibt und wir hier schreiben, bleibt es hoffentlich bestehen. Noch lange! #top#

  • ****Was wären denn aktuell für Euch „moderne“ Hörspiele?****

    Ich finde, das kann man irgendwie schwer beantworten. Für mich war das Hörspiel mehr oder weniger vor 20-25 Jahren SCHON perfekt- wäre der falsche Ausdruck-, aber es war schon gut so wie es war, in allen Facetten. Es sollte sich heutzutage eben NICHT wieder Zurückentwickeln, damit wäre schon viel getan....

    The Jokes on you!

  • Klar ändern sich die Themen im Laufe der Zeit und auch gewisse Randbedingungen wie z.B. das Frauenbild, aber ich bin da bei Evil dass für mich technisch die Hörspiele aus den frühen 00ern auch schon modern sind. Von der Machart sehe ich wenige signifikante Unterschiede von z.B. der Sinclair Edi2000 zu heutigen Thriller-Hörspielen.

  • Klar ändern sich die Themen im Laufe der Zeit und auch gewisse Randbedingungen wie z.B. das Frauenbild, aber ich bin da bei Evil dass für mich technisch die Hörspiele aus den frühen 00ern auch schon modern sind. Von der Machart sehe ich wenige signifikante Unterschiede von z.B. der Sinclair Edi2000 zu heutigen Thriller-Hörspielen.

    Themen die vor zig Jahren brandaktuell waren, und dies heute wieder sind gibt es auch. Roch von den Ohrenkneifer zb. Veröffentlichungsdatum 16.03.2018. Höre ich es heute, ist die Thematik um das aufkommen der "Rechtsparteien" wieder aktuell und evtl sogar noch gruseliger in meinen Ohren 👂.

  • Themen die vor zig Jahren brandaktuell waren, und dies heute wieder sind gibt es auch. Roch von den Ohrenkneifer zb. Veröffentlichungsdatum 16.03.2018. Höre ich es heute, ist die Thematik um das aufkommen der "Rechtsparteien" wieder aktuell und evtl sogar noch gruseliger in meinen Ohren 👂.

    Das hatte ich mir auch gedacht, als ich das Hörspiel vor ein paar Monaten zum ersten Mal gehört habe... ||

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