Vorab: Ich kam nicht umhin, einige Punkte der Handlung unverblümt anzusprechen. Da das Hörspiel nun schon geraume Zeit auf dem Markt ist, erschien mir dies als legitim. Wer das Hörspiel noch nicht kennt und nicht gespoilert werden möchte, sollte die Rezension besser nicht lesen!
Nachdem ich unlängst RRRs aktuelles Hörspiel „Vergessene Märchen 1“ rezensiert hatte, entschied ich mich dafür, mich auch um „Ein Job wie jeder andere“ aus dem letzten Jahr zu kümmern (Besser spät als nie! ). Rückblickend hadere ich nicht mit dieser Entscheidung, da es erneut eine spannende Sache war, die Comfort Zone des Gewohnten einmal zu verlassen, um sich einer Produktion zu stellen, die ganz bewusst den nur allzu bekannten Pfaden des Mainstream-Hörspiels eine Absage erteilt. Doch ein zweites Mal werde ich mir „Ein Job wie jeder andere“ nicht anhören.
Dass sich „Ein Job wie jeder andere“ an die Rape-and-Revenge-Filme des Exploitation-Kinos anlehnt, offenbart bereits das Cover: Von Angst entstellte Gesichter, gefesselte Menschen, ein von Wunden übersäter männlicher Körper und ohnehin jede Menge nackte Haut – wer das Cover gesehen hat, kann hinterher kaum behaupten, zufällig in eines der brutalsten Hörspiele der letzten Zeit (vielleicht sogar aller Zeiten) hineingestolpert zu sein.
Bestand in RaR-Klassikern wie I Spit on Your Grave oder The Last House on the Left zu keiner Zeit ein Zweifel daran, dass jene, an denen Rache geübt wurde, dies auch verdient hatten, so ist das in „Ein Job wie jeder andere“ anders: Für Katjas Auftraggeber (Bert Stevens) steht zwar definitiv fest, dass seine Tochter Erika (Dagmar Bittner) von Thomas Bergmann (David Wehle) vergewaltigt und anschließend ermordet wurde, und es sprechen einige Dinge durchaus dafür. Allerdings kann auch Bergmanns Version der Ereignisse stimmen. Und wenn er schließlich die Tat zugibt, dann ist dieses Geständnis absolut wertlos, denn es lässt sich problemlos argumentieren, Bergmann bekenne sich lediglich schuldig, um seine Geliebte Monika (Anette Gunkel) zu retten. Die Wahrheit bleibt bis zum Schluss im Dunkeln, weshalb es an dem Hörer ist, sich seine eigene Meinung bilden und zu entscheiden, welcher Seite er schlussendlich Glauben schenken möchte. Eine durchaus interessante Konstellation, die sich Autor Udo Seelhofer da ausgedacht hat. Allerdings besitzt sie eine deutliche Kehrseite: Eine Identifikation ist mit keiner der zentralen Figuren möglich. Erikas Vater hat ein Recht auf seine Trauer und auch auf seine Wut, dass der Täter nicht zur Rechenschaft gezogen wurde. Allerdings lässt sich nicht ausschließen, dass der die Ermordung eines Unschuldigen in Auftrag gibt. Bergmann kann das Verbrechen begangen haben oder eben auch nicht. Katja (Katrin Daliot) mordet des Geldes wegen, ist dadurch ohnehin schon moralisch diskreditiert. Mit Bergmann quält und killt sie möglicherweise den Falschen. Und selbst dann, wenn man als Hörer von Bergmanns Schuld durch dessen Geständnis überzeugt ist, erlischt Katjas Status als (bezahlter) Arm der Gerechtigkeit sogleich wieder, als sie Monika auslöscht, die mit der ganzen Sache absolut nichts zu tun hatte. Udo Seelhofer und Regisseur/Ko-Autor Lars Dreyer-Winkelmann wollen dem Publikum Katja als eine Protagonistin mit ambivalenter Persönlichkeit präsentieren, die im Verlauf der Geschichte ein Wandlung durchmacht. Ein löbliches Unterfangen, das jedoch nur teilweise von Erfolg gekrönt ist. Wenn die abgebrühte Profikillerin zu einem Racheengel mutiert, der eine geradezu sadistische Freude am Quälen eines Mannes empfindet, den er für einen Vergewaltiger und Mörder hält, ist das durchaus noch nachvollziehbar. Katjas Zurückschwenken in die Verhaltensmuster einer gedungenen Mörderin (akribische Säuberung des Tatorts, Abkassieren beim Auftraggeber) ist es schon weniger. Und wenn sie in der letzten Szene von Zweifeln über ihre Tätigkeit von Gefühlen überwältigt in Tränen ausbricht, dann ist das endgültig keine schlüssige Entwicklung dieser Figur mehr. Ohnehin fällt es sehr schwer, einem Hörspiel, das über weite Strecken das Zufügen extremer körperlicher Schmerzen zelebriert, ein aufrichtiges Interesse an moralischen oder ethischen Themen abzunehmen. Wenn sie in den letzten Minuten doch noch aufgeworfen werden, dann hat das nicht mehr als Feigenblatt-Charakter. Zu sehr hat sich das Hörspiel zuvor an der expliziten Darstellung von Katjas Foltertechniken geweidet, zu sehr wurde die Bereitschaft des Publikums geprüft, dieser sich immer weiter steigernden Gewaltorgie bis zum Ende zu lauschen, als dass „Ein Job wie jeder andere“ für sich in Anspruch nehmen dürfte, eine ernstzunehmende Auseinandersetzung mit einer ethisch-moralischen Fragestellung zu sein.
Bei der Besetzung der Hauptrollen hatte RRR sicherlich eine glückliche Hand, denn Katrin Daliot und David Wehle überzeugen durch ihr intensives Spiel, während Bert Stevens eine wirklich eindrucksvolle Verkörperung des seelisch gebrochenen Vaters gelingt, von dem Katja ihren Auftrag erhält. Annette Gunkel, Dagmar Bittner, Timo Wussow, Jan Koppens komplettieren den Cast, der einen durchweg positiven Eindruck hinterlässt. Das dezente aber effektvolle Sounddesign sowie die Musik sorgen für die nötige Atmosphäre, der Schnitt und die Abmischung geben keinen Grund zur Beanstandung.
Wenn ein junges Label wie RRR ein absolutes Off-Mainstream-Hörspiel wie „Ein Job wie jeder andere“ realisiert, dann gebührt ihm dafür größtmöglicher Respekt. Denn an einen solchen Plot würden sich die etablierten Platzhirsche in 100 Jahren noch nicht herantrauen. Dieses Hörspiel hat mich herausgefordert wie schon lange kein anderes mehr. Es hat mich dreist angegrinst und gefragt: Kannst du noch oder steigst Du aus? Wohl wissend, dass ich ihm den Triumph nicht gönnen und bis zum Ende durchhalten würde. Was in der Geschichte passiert, ist widerlich, ekelhaft und teilweise regelrecht pervers. Es enttarnt den Voyeur im Hörer, setzt ihn einer gnadenlosen akustischen Tour de Force aus und schert sich dabei einen Dreck um Tabus. Wo die Masse auf Sicht fährt, lotet dieses Hörspiel rigoros Grenzen aus. Auf seine ganz eigene, rücksichtslose Art ist diese Produktion grandios; sie gehört zu haben, war eine interessante Erfahrung. „Ein Job wie jeder andere“ hat mir wieder einmal vor Augen geführt, dass es für mich in Sachen Gewaltdarstellung eine Grenze gibt, jenseits derer ich nicht mehr sagen kann, ich hätte eine Geschichte gerne gesehen, gelesen oder gehört. Diese Grenze wurde hier weit überschritten. Rezensionen enden in der Regel mit einer Empfehlung oder Warnung. Weder das eine noch das andere wird es dieses Mal von mir geben, denn dieses Hörspiel und ich passen einfach nicht zusammen. Bin ich zu weich? Möglich. Ist es zu hart? Vielleicht. Dieses Hörspiel hat zweifellos seine Existenzberechtigung - doch in jene Bereiche, in die es mutig vorstößt, möchte ich ihm kein zweites Mal folgen.